DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
überspringend, Blau, Gelb, Grün auf. Das sechste kleinere Fenster läßt dann in ruhiger Folge die Far-
ben in dunkleren Tönen verklingen. Die Wirkung dieser Farben Verteilung ist von keinem anderen
mehr erreicht und auch von niemandem bestritten worden.
In den 12 neutestamentlichen Begebenheiten der Chorfenster kommt die gewaltige Gestaltungs-
kraft Thorn-Prikkers zum Ausdruck. Jede Darstellung trägt ihren eigenen Charakter. Der Künstler
erschöpft sich nicht in geistesarmen Wiederholungen; immer wieder neue Gedanken brechen hervor
und offenbaren seine reiche Phantasie. Und doch wahrt er den inneren Zusammenhang der künstleri-
schen Formen. Vom Einfachen schreitet er folgerichtig zur reicheren Entwicklung, schafft dadurch
wundervolle Gegenstücke und weiß die große Linie zu wahren, die das gesamte Glasgemälde durchzieht.
Jedes einzelne Bild ist durch eine künstlerische Aufteilung in den Raum hineingesetzt. Da gibt es keine
Zufälligkeiten. Alles ist in strengen Maßen verteilt und gegeneinander abgewogen, sodaß selbst die
einzelne Scheibe etwas von der inneren Schönheit und Harmonie des Ganzen ausatmet.
Mit souveräner Überlegenheit begegnet er der starren Form der Fensterkreuze, indem er durch
kühne Überschneidungen die Wirkung der zwei schmalen Hälften der hohen gotischen Fenster auf-
löst und in den Bann seiner Kunst zieht. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die unvergleichlich kühne
Art der Darstellung der Kreuzigung im obersten Mittelfenster. Der Künstler führte den Kreuzesbalken
als Diagonale quer durch den ganzen Bildraum, milderte diese wuchtige Linie durch den Querbalken
in entgegengesetzter Richtung und läßt diese Durchschneidung durch die Schächerkreuze horizontal
verklingen. Mit welchen Auffassungen Thorn-Prikker gearbeitet hat, zeigt das schmerzdurchdrungene
und doch göttlich erhabene Ecce homo. Dem groß aufragenden Christus stand Pilatus im linken Fen-
sterteil zur Seite. Als das Glasbild fertig vor ihm stand, störte ihn die Gestalt des schwachen Pilatus.
Christus sollte allein das ganze Bild beherrschen, und in der Tat hebt sich der Schmerzensmann jetzt
wundervoll in seiner Einsamkeit von dem dunklen Hintergrund des dunklen Gewandes und dem dun-
kel gehaltenen Strahlenkranz ab. Welch feine Empfindung zeigt Geburt und Anbetung des Heilandes:
in der ersten Darstellung der Kopf Mariä in Anbetung gesenkt im obersten Fenster, im unteren das
Christkind in der Krippe schlafend, im zweiten Bild der Kopf der Mutter in innigster Liebe an das
Köpfchen des Kindes gelehnt. Wundervolle Gegenstücke sind Auferstehung und Himmelfahrt Christi:
Dort das Grab in grauen kubischen Formen gehalten, darüber heraufschwebend der auferstehende Hei-
land, im Begriffe, das Totengewand abzustreifen. Ein Glorienkranz, davon Strahlen ausgehen, umgibt
ihn gleichsam in gehaltener Glorie. Hier ragt Christus in entgegengesetzter Haltung mit seinem Haupte
bis an den Bildrand, zu Füßen bewegtes Gewölk in Weiß und Blau, das Gewand in strahlendem Gold,
und von seinem Haupte und Leibe und der Triumphfahne brechen Strahlen hervor. Steigt die Mor-
gensonne durch diese Fenster, dann durchdringt ein schneeweißer Glanz den Auferstandenen, und eine
goldene Wolke hüllt wahrhaftig den zum Himmel Fahrenden ein und entzieht ihn den Blicken. Je
länger man sich in die Betrachtung der farbigen Darstellungen versenkt, um so mehr entfaltet sich die
herrliche Formensprache, die hier ein Künstler in den Fenstern eines Gotteshauses für seine Zeit ge-
funden hat.
Im Mai 1914 stand ich in dem von Alfred Fischer erbauten Raum der Werkbundausstellung zu
Köln den Chorfenstern in ihrer Gesamtheit zum erstenmal gegenüber. Bisher hatte ich nur einzelne
Darstellungen gesehen. Nun stand das Ganze überwältigend vor mir und präsentierte sich wirklich als
das großzügig entworfene, in Stil, Linie und Farbe einheitlich durchkomponierte Glasgemälde, ein
wahrhaft klassisches Kunstwerk, zu welchem Gottfried Heinersdorff mit seinem geschulten Arbei-
terstab eine glänzende Technik hinzugetragen hatte.
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überspringend, Blau, Gelb, Grün auf. Das sechste kleinere Fenster läßt dann in ruhiger Folge die Far-
ben in dunkleren Tönen verklingen. Die Wirkung dieser Farben Verteilung ist von keinem anderen
mehr erreicht und auch von niemandem bestritten worden.
In den 12 neutestamentlichen Begebenheiten der Chorfenster kommt die gewaltige Gestaltungs-
kraft Thorn-Prikkers zum Ausdruck. Jede Darstellung trägt ihren eigenen Charakter. Der Künstler
erschöpft sich nicht in geistesarmen Wiederholungen; immer wieder neue Gedanken brechen hervor
und offenbaren seine reiche Phantasie. Und doch wahrt er den inneren Zusammenhang der künstleri-
schen Formen. Vom Einfachen schreitet er folgerichtig zur reicheren Entwicklung, schafft dadurch
wundervolle Gegenstücke und weiß die große Linie zu wahren, die das gesamte Glasgemälde durchzieht.
Jedes einzelne Bild ist durch eine künstlerische Aufteilung in den Raum hineingesetzt. Da gibt es keine
Zufälligkeiten. Alles ist in strengen Maßen verteilt und gegeneinander abgewogen, sodaß selbst die
einzelne Scheibe etwas von der inneren Schönheit und Harmonie des Ganzen ausatmet.
Mit souveräner Überlegenheit begegnet er der starren Form der Fensterkreuze, indem er durch
kühne Überschneidungen die Wirkung der zwei schmalen Hälften der hohen gotischen Fenster auf-
löst und in den Bann seiner Kunst zieht. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die unvergleichlich kühne
Art der Darstellung der Kreuzigung im obersten Mittelfenster. Der Künstler führte den Kreuzesbalken
als Diagonale quer durch den ganzen Bildraum, milderte diese wuchtige Linie durch den Querbalken
in entgegengesetzter Richtung und läßt diese Durchschneidung durch die Schächerkreuze horizontal
verklingen. Mit welchen Auffassungen Thorn-Prikker gearbeitet hat, zeigt das schmerzdurchdrungene
und doch göttlich erhabene Ecce homo. Dem groß aufragenden Christus stand Pilatus im linken Fen-
sterteil zur Seite. Als das Glasbild fertig vor ihm stand, störte ihn die Gestalt des schwachen Pilatus.
Christus sollte allein das ganze Bild beherrschen, und in der Tat hebt sich der Schmerzensmann jetzt
wundervoll in seiner Einsamkeit von dem dunklen Hintergrund des dunklen Gewandes und dem dun-
kel gehaltenen Strahlenkranz ab. Welch feine Empfindung zeigt Geburt und Anbetung des Heilandes:
in der ersten Darstellung der Kopf Mariä in Anbetung gesenkt im obersten Fenster, im unteren das
Christkind in der Krippe schlafend, im zweiten Bild der Kopf der Mutter in innigster Liebe an das
Köpfchen des Kindes gelehnt. Wundervolle Gegenstücke sind Auferstehung und Himmelfahrt Christi:
Dort das Grab in grauen kubischen Formen gehalten, darüber heraufschwebend der auferstehende Hei-
land, im Begriffe, das Totengewand abzustreifen. Ein Glorienkranz, davon Strahlen ausgehen, umgibt
ihn gleichsam in gehaltener Glorie. Hier ragt Christus in entgegengesetzter Haltung mit seinem Haupte
bis an den Bildrand, zu Füßen bewegtes Gewölk in Weiß und Blau, das Gewand in strahlendem Gold,
und von seinem Haupte und Leibe und der Triumphfahne brechen Strahlen hervor. Steigt die Mor-
gensonne durch diese Fenster, dann durchdringt ein schneeweißer Glanz den Auferstandenen, und eine
goldene Wolke hüllt wahrhaftig den zum Himmel Fahrenden ein und entzieht ihn den Blicken. Je
länger man sich in die Betrachtung der farbigen Darstellungen versenkt, um so mehr entfaltet sich die
herrliche Formensprache, die hier ein Künstler in den Fenstern eines Gotteshauses für seine Zeit ge-
funden hat.
Im Mai 1914 stand ich in dem von Alfred Fischer erbauten Raum der Werkbundausstellung zu
Köln den Chorfenstern in ihrer Gesamtheit zum erstenmal gegenüber. Bisher hatte ich nur einzelne
Darstellungen gesehen. Nun stand das Ganze überwältigend vor mir und präsentierte sich wirklich als
das großzügig entworfene, in Stil, Linie und Farbe einheitlich durchkomponierte Glasgemälde, ein
wahrhaft klassisches Kunstwerk, zu welchem Gottfried Heinersdorff mit seinem geschulten Arbei-
terstab eine glänzende Technik hinzugetragen hatte.
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