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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Riemerschmid, Richard: 1932: Brief Richard Riemerschmids an W. Riezler
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0156
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gern herangeholt haben. Aber wir sollten uns doch
klar bleiben, daß das neue Stadtviertel, von dem
Sie sprechen, auch nur eine Schaubarkeit bleibt
und zum Erlebnis erst dann wird, wenn man in den
Wohnungen wohnen, in den Krankenhäusern Krank-
heiten überstehen, in den Schulen Unterricht ge-
nießen würde. So weit es möglich ist, also nur her
mit diesen Erweiterungen — in den Verkehrsfragen
können sie z. B. wirklich, indem die Ausstellungs-
besucher zur Ausstellung heran- und weggeführt
werden, in jeder Form zum zugehörigen Erlebnis
ausgestaltet werden. Aber verlieren wir die Wirk-
lichkeit nicht aus dem Auge: Es wird sich kaum
in irgendeiner Stadt, weder in Köln noch sonstwo,
ermöglichen lassen, Schulen, Krankenhäuser, Sport-
plätze usw. fertig an den bestgeeigneten Platz hin-
gestellt, zugleich so bequem mit dem Ausstellungs-
gelände in Verbindung zu bringen, daß es nicht in
vielen Fällen als die besser dienliche Lösung er-

scheint, die bezeichnendsten Teile und Räume oder
Raumfolgen in die Ausstellungshallen selber einge-
baut zu zeigen. Zu einer guten Ausstellung gehört
als wichtige Forderung auch die bequeme Übersicht-
lichkeit und leichte Vergleichbarkeit. Man darf dem
Ausstellungsbesucher nicht ein so großes Fassungs-
und Leistungsvermögen zutrauen, daß keiner ihm
genügen kann.

Das sind so einige von den Bedenken, die mir
durch den Kopf gehen und die ich gerade Ihnen
gegenüber nicht unausgesprochen lassen wollte;
nicht die einzigen Bedenken; aber es gibt sich wohl
Gelegenheit — und die werde ich dann gern beim
Schopf fassen — noch manches zur Ergänzung zu
sagen.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr

Richard Riemerschmid

Wir möchten unseren Lesern auch die folgenden Ausführungen nicht vorenthalten. Sie sind entnommen
der Nr. 4 der „Bauzeitung". Die Äußerungen sprechen für sich.

„W ir kritisieren ein Programm! Wie
die neue Zeit aussehen wird, darüber soll uns die
internationale Werkbundausstellung ,Die neue Zeit'
Köln 1932 belehren.

In der ,FORM', der Zeitschrift des Deutschen
Werkbundes, spricht sich der Stettiner Museums-
direktor, Dr. Riezler, über das Programm näher aus.

Nicht ohne ein gewisses Staunen liest man diese
Ausführungen, denn ein großer Teil dieser Schau
wird — der Technik eingeräumt. Der gesamte Ver-
kehr zur und auf der Ausstellung — Flugzeuge,
Schiffe, Bahnen — soll mitbenützt werden. Es ist
geplant, die gesamte Ausstellung ,mit den unerhör-
testen technischen Dingen' zu durchsetzen, und viel-
leicht ergibt es auch ein glücklicher Zufall, daß in
der Nähe des Ausstellungsplatzes ein technisch-
industrielles Werk, etwa ein Großkraftwerk errich-
tet, das für die Zeit der Ausstellung zugänglich ge-
macht werden kann, so etwa läßt sich Dr. Riezler
aus. Zugleich findet auch die Jubiläumsausstellung
des ,Verbands der rheinischen Industriellen' statt.

Das Ganze also in der Hauptsache eine technisch-
industrielle Ausstellung!

Ob hierfür der Werkbund mit seinen Mitgliedern,
die vor allem aus Kunstgewerblern, Kunstgelehrten,
auch Architekten, wenigen Industriellen und fast gar
keinen Technikern sich zusammensetzen, die rich-
tige Organisation ist, erscheint uns etwas zweifel-
haft. Hoffentlich wird man dabei keine Maschinen-
Ästhetik treiben!

Daneben sollen Theater, neue Musik und Philo-
sophie nicht fehlen, Gebiete, die, wie allmählich
jeder Mitteleuropäer merkt, sich auf dem absteigen-
den Ast befinden. Oder war vielleicht die Frank-
furter moderne Musikausstellung ein großer Erfolg?
Auch die modernsten Fragen der Physik und Mathe-

matik werden behandelt. Wo sind im Werkbund die
universellen Köpfe, die ohne in hoffnungslose Ro-
mantik sich zu verlieren, all diese Gebiete frucht-
bar zusammenfassen können? An führender Stelle
wird man sie wohl kaum antreffen.

Am Schluß kommt auch noch das Kunstgewerbe,
einst die ,Säule' des Werkbunds. Es gehöre nicht zu
den entstehenden Dingen und sei nicht eigentlich
bezeichnend für die neue Zeit, das stehe fest, meint
Dr. Riezler. Trotzdem dürfe es nicht fehlen. Jeden-
falls nimmt man an, daß auch dieses Kerngebiet des
Werkbunds sich auf der absteigenden Linie bewegt,
und deshalb hat man sich der aufsteigenden Macht
der Technik in die Arme geworfen, obwohl ausge-
rechnet im Werkbund unter allen Organisationen
ähnlicher Art die wenigsten Techniker anzutreffen
sind.

Die Architektur soll, wie es scheint, stiefmütter-
lich behandelt werden. Nach unserer Ansicht ist
aber gerade der Architekt in Zusammenarbeit mit
dem Ingenieur in der Lage, den inneren Zusammen-
hang zwischen Technik, Kunst und Menschlichkeit
zu schaffen, den man auf dieser Ausstellung auch
,andeuten' will.

Seine Ausführungen sollen nichts sein wie ein
Versuch und das Problem müsse nun in gemeinsamer
Arbeit durchdacht werden, sagt Dr. Riezler. Das
ist begrüßenswert, denn manchmal kann man sich
des Eindrucks nicht erwehren, als ob Museumsdirek-
tor Dr. Riezler und auch andere Herren vom Werk-
bund dem eigentlichen Ringen der Geister, insbeson-
dere der Ingenieure, noch etwas einseitig gegen-
überstehen. Es wird da noch allerhand aufklärende
Arbeit notwendig sein, damit ,Die neue Zeit' sich
nicht schließlich als eine wunderschöne Ausstellung
der alten Zeit entpuppt. E."

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