Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0155
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Riemerschmid, Richard: 1932: Brief Richard Riemerschmids an W. Riezler
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RUNDSCHAU
Bereits das letzte Heft enthielt 28 Seiten statt 24 wie bisher. Wir sind dem Verlag für diese Erweite-
rung dankbar. Sie gibt uns Gelegenheit, vor allem die Rundschau auszubauen, was wir für besonders
wichtig halten. Wir können so nicht nur über Tagesereignisse berichten, sondern auch grundsätzliche
Fragen in der heute beim Leser besonders beliebten Form kurzer Notizen behandeln. Hier werden wir
auch Themen, die in früheren Heften angeschnitten worden sind, ab und zu wieder beleuchten. Und das
ist nötig, denn all diese Dinge, mit denen wir uns beschäftigen, sind ständig im Fluß. Im Hinblick auf die
Ausstellung 1932 werden wir künftig noch mehr bestrebt sein, unsere Leser auch mit Ereignissen und
Schöpfungen im Ausland bekannt zu machen. Die Schriftleitung
1932
Brief Richard Riemerschmids an W. Riezier
Lieber Herr Dr. Riezier!
Zu dem Aufsatz „1932" muß ich Ihnen einiges
sagen, eben weil dieser „Versuch, den augenblick-
lichen Stand des Problems, so wie Sie ihn sehen, zu
bezeichnen," an dieser Stelle doch mehr ist: es ist
ein Programm und zwar das erste, das der Öffent-
lichkeit zugänglich gemacht wird. Dabei habe ich
einzuwenden, daß diejenigen, welche die verschie-
denen Besprechungen nicht mitgemacht haben, von
den ersten Programmvorschlägen nur durch ein paar
flüchtige Andeutungen etwas erfahren, ohne sie zu
kennen, so daß der öfter wiederholte Ausdruck
„schaubar" hier fast etwas karikiert wirkt. Und doch
muß ich dabei bleiben, daß mit den Erweiterungen,
die herbeigetragen werden, ein Vorzug einge-
schränkt und gefährdet wird, von dem ich glaube,
daß wir nicht auf ihn verzichten sollten: Ich meine
eine wirkliche, bis in den Kern ehrliche Sachlichkeit
(nicht jene Sachlichkeit, die als Redensart so gern
auftaucht, wo sie grad verwendbar erscheint). Sie
nennen selber als Idee, die gestaltet werden soll:
„im Rahmen einer Ausstellung ein Bild zu zei-
gen, das die wesentlichen Züge des neuen Zeit-
alters deutlich macht". Ist das nicht — nur mit an-
deren Worten ausgedrückt — dasselbe, wie wenn
ausgesprochen wird, daß es sich hier um „das
Schaubare" des neuen Zeitalters handelt? Dann
wird aber in den weiteren Ausführungen der Rahmen
mehr als einmal gesprengt. Da glaube ich einen
Fehler zu sehen. Der Absicht, „die wesentlichen
Züge des neuen Zeitalters" zu zeigen, stimme ich
ohne Einschränkung zu. Nur darf nicht verkannt wer-
den, daß, wo das Schaubare ganz zur Seite gescho-
ben wird, auch der Rahmen der Ausstellung über-
schritten ist. Ich meine nicht, daß man ängstlich und
pedantisch sein soll. Warum z. B. soll die neue
Musik fehlen? Warum soll nicht einmal auch das
Hörbare herangezogen werden? Aber ich halte es
freilich für bedenklich, auch diese Seite des gro-
ßen Problems mit einer gewissen Vollständigkeit
vorführen zu wollen „durch eine Reihe großer Musik-
feste"; solche Uberfülle wird notwendig mit Ober-
flächlichkeit und Abstumpfung beantwortet werden.
Also halte ich es für besser, dahin zu arbeiten, daß
man dem Ausschnitt, der eben im Rahmen
einer Ausstellung gezeigt werden kann, alle Sorg-
falt und Gewissenhaftigkeit zuwendet, ihn in allen
seinen Teilen zu hoher Qualität und zu möglichster
Vollständigkeit hinaufsteigert, aber daß man auch
mit dem Ausschnitt — aus dem Bedürfnis nach Sach-
lichkeit — sich begnügt.
Die Unterscheidung zwischen Schaubarkeit und
Erlebnis lasse ich durchaus gelten. Soviel nur zum
„Erlebnis" umgewandelt werden kann, möchte ich
121
Bereits das letzte Heft enthielt 28 Seiten statt 24 wie bisher. Wir sind dem Verlag für diese Erweite-
rung dankbar. Sie gibt uns Gelegenheit, vor allem die Rundschau auszubauen, was wir für besonders
wichtig halten. Wir können so nicht nur über Tagesereignisse berichten, sondern auch grundsätzliche
Fragen in der heute beim Leser besonders beliebten Form kurzer Notizen behandeln. Hier werden wir
auch Themen, die in früheren Heften angeschnitten worden sind, ab und zu wieder beleuchten. Und das
ist nötig, denn all diese Dinge, mit denen wir uns beschäftigen, sind ständig im Fluß. Im Hinblick auf die
Ausstellung 1932 werden wir künftig noch mehr bestrebt sein, unsere Leser auch mit Ereignissen und
Schöpfungen im Ausland bekannt zu machen. Die Schriftleitung
1932
Brief Richard Riemerschmids an W. Riezier
Lieber Herr Dr. Riezier!
Zu dem Aufsatz „1932" muß ich Ihnen einiges
sagen, eben weil dieser „Versuch, den augenblick-
lichen Stand des Problems, so wie Sie ihn sehen, zu
bezeichnen," an dieser Stelle doch mehr ist: es ist
ein Programm und zwar das erste, das der Öffent-
lichkeit zugänglich gemacht wird. Dabei habe ich
einzuwenden, daß diejenigen, welche die verschie-
denen Besprechungen nicht mitgemacht haben, von
den ersten Programmvorschlägen nur durch ein paar
flüchtige Andeutungen etwas erfahren, ohne sie zu
kennen, so daß der öfter wiederholte Ausdruck
„schaubar" hier fast etwas karikiert wirkt. Und doch
muß ich dabei bleiben, daß mit den Erweiterungen,
die herbeigetragen werden, ein Vorzug einge-
schränkt und gefährdet wird, von dem ich glaube,
daß wir nicht auf ihn verzichten sollten: Ich meine
eine wirkliche, bis in den Kern ehrliche Sachlichkeit
(nicht jene Sachlichkeit, die als Redensart so gern
auftaucht, wo sie grad verwendbar erscheint). Sie
nennen selber als Idee, die gestaltet werden soll:
„im Rahmen einer Ausstellung ein Bild zu zei-
gen, das die wesentlichen Züge des neuen Zeit-
alters deutlich macht". Ist das nicht — nur mit an-
deren Worten ausgedrückt — dasselbe, wie wenn
ausgesprochen wird, daß es sich hier um „das
Schaubare" des neuen Zeitalters handelt? Dann
wird aber in den weiteren Ausführungen der Rahmen
mehr als einmal gesprengt. Da glaube ich einen
Fehler zu sehen. Der Absicht, „die wesentlichen
Züge des neuen Zeitalters" zu zeigen, stimme ich
ohne Einschränkung zu. Nur darf nicht verkannt wer-
den, daß, wo das Schaubare ganz zur Seite gescho-
ben wird, auch der Rahmen der Ausstellung über-
schritten ist. Ich meine nicht, daß man ängstlich und
pedantisch sein soll. Warum z. B. soll die neue
Musik fehlen? Warum soll nicht einmal auch das
Hörbare herangezogen werden? Aber ich halte es
freilich für bedenklich, auch diese Seite des gro-
ßen Problems mit einer gewissen Vollständigkeit
vorführen zu wollen „durch eine Reihe großer Musik-
feste"; solche Uberfülle wird notwendig mit Ober-
flächlichkeit und Abstumpfung beantwortet werden.
Also halte ich es für besser, dahin zu arbeiten, daß
man dem Ausschnitt, der eben im Rahmen
einer Ausstellung gezeigt werden kann, alle Sorg-
falt und Gewissenhaftigkeit zuwendet, ihn in allen
seinen Teilen zu hoher Qualität und zu möglichster
Vollständigkeit hinaufsteigert, aber daß man auch
mit dem Ausschnitt — aus dem Bedürfnis nach Sach-
lichkeit — sich begnügt.
Die Unterscheidung zwischen Schaubarkeit und
Erlebnis lasse ich durchaus gelten. Soviel nur zum
„Erlebnis" umgewandelt werden kann, möchte ich
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