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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Bier, Justus: Mies van der Rohes Reichspavillon in Barcelona
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0499

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MIES VAN DER ROHES REICHSPAVILLON
IN BARCELONA

Die Aufgabe war eine heute ganz ungewohnte:
ein Gebäude ohne Zweck, wenigstens ohne
ersichtlichen, greifbaren, sich aufdrängenden
Zweck. Ein Bau, der Repräsentation gewidmet,
leerer Raum, und eben darum Raum an sich, Ar-
chitektur als freie Kunst, Ausdruck geistiger Ver-
pflichtung. Es ist zu begrüßen, daß dieser Auf-
trag in die Hände Mies van der Rohes gelangte,
Deutschland sich durch einen Bau der neuen
Architektur repräsentieren ließ.

Die Wahl des Architekten war besonders
glücklich, weil sie einen der Männer traf, die die
Elemente des neuen Bauens von Grund auf ent-
wickelt und Jahrzehnte um ihre Durchsetzung
gekämpft haben, einen der Pioniere und zugleich
einen Künstler von einer hohen, humanen Le-
bensstimmung, der die innere Eignung besaß
„etwas Bedeutendes mit Würde zu sagen".

Der Bau, den Mies van der Rohe in Barcelona
errichtet hat, weist denn auch neue Wege, denen
für die fernere Entwicklung der Architektur ent-
scheidende Bedeutung zukommen kann. Er zeigt,
daß Repräsentation ohne falsche Pathetik mög-
lich ist, daß Adel und belebte Fülle der Erschei-
nung keiner dekorativen Zutaten bedarf, daß mit
den strengen Mitteln der neuen Architektur ein
großer Reichtum an räumlichen Erlebnissen mög-
lich ist, ein außerordentlich bewegter Wechsel
der Gefühle im Durchschreiten der Räume her-
vorgerufen werden kann.

Zunächst: der Bau entbehrt der symmetri-
schen Axialität. Wie die innere Raumfolge ein
freies Wandeln gestattet, so trägt auch die
äußere Erscheinung ein freies Gleichgewicht
der Massen, in dem die kühlen, herben Linien
der Dachplatte zusammen mit den strengen
Flächen der umgreifenden Mauern den Ton
angeben. Die Treppe, die auf die Terrasse em-
porführt, ist seitlich angelegt, die Mitte öffnet

sich als ein seltsam lockendes Dunkel, aus dem
Glas und Chromgestänge vor edlen Marmor-
flächen blitzt.

Mies van der Rohe entstammt einer Steinmetz-
familie, und die als Knabe schon gewonnene
Kenntnis der Steinsorten und die Leidenschaft
für edle Steine und überhaupt edle Materialien
hat sich bei dem Barcelonaer Pavillon in einer
feinfühligen Abstimmung der Baustoffe auf
Farbe, Struktur und die ihrem Charakter gemäße
Beanspruchung ausgewirkt. Die Terrasse und der
gesamte Sockel samt der Treppe und allen hel-
len Wänden ist in Travertin gefügt, mit denen in
der Erscheinung die weiße Massivdecke zusam-
mengeht, die auf acht schlanken blitzenden
kreuzförmigen verchromten Stützen ruht. Diesen
verchromten Stützen entsprechen im Material die
gleichfalls verchromten Fassungen der Glas-
wände, die den Hauptraum nach außen hin und
gegen den Wasserhof begrenzen. Schon in die-
sen Glaswänden kommt die Farbe zu Wort. Ist
die vordere Wand noch aus großen farblosen
Spiegelglasscheiben gefügt, so ist für die hin-
tere Wand mausgraues Spiegelglas und für die
Wand am Wasserhof olivgrünes Spiegelglas in
hohen Scheiben verwendet, Wände, die raumbe-
stimmend wirken ohne abzuschließen, von einer
eigentümlichen ungreifbaren Materialität. Von den
beiden Wasserbecken liegt das größere helle, mit
Wasserpflanzen besetzte, in dem das Wasser
lichtgrün steht, frei auf der Terrasse, während
das kleinere mit schwarzem Glas ausgelegt, „un-
heimlich wie ein Maar", von Wänden aus grü-
nem geädertem Tinos-Marmor umzogen wird.
Aus diesem Wasserbecken steigt eine Frauen-
gestalt von Georg Kolbe auf, nicht in die Mitte,
sondern seitlich gerückt, in der Achse des Gan-
ges an der grauen Glaswand, dem Rauminnern
zugewendet. Die Figur hebt sich in hellem Stein

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