STÄDTEBAU UND WOHNUNGSBAU
auf der Technischen Tagung der Reichsforschungsgesellschaft
Die Voraussetzungen des Wohnungs- und Städte-
baus haben sich völlig verändert; namentlich durch
ein verstärktes soziales Verantwortungsgefühl, die
Forderungen der Hygieniker und die Wünsche der
Hausfrauen. Was wenige Einsichtige seit Jahren
erstrebt haben und was bis vor kürzester Zeit noch
aufs äußerste bekämpft wurde, ist heute gewisser-
maßen Voraussetzung aller Verhandlungen. Es ist
das Verdienst der Reichsforschungsgesellschaft,
durch die Technische Tagung Gelegenheit zu einer
prinzipiellen Auseinandersetzung gegeben zu haben,
wenn auch gesagt werden muß, daß zur Lösung der
Probleme selbst durch die Reichsforschungsgesell-
schaft nicht viel geschehen ist. Im Gegenteil: die
von ihr geförderte Gagfah-Siedlung im Fischtalgrund
in Zehlendorf muß geradezu als ein Protest gegen
die neuen Forderungen des Wohnungsbaus bezeich-
net werden.
Auf der Technischen Tagung der Reichsfor-
schungsgesellschaft wurde u. a. zum erstenmal der
Versuch gemacht, in breitester Öffentlichkeit die
allgemein interessierenden Fragen des Wohnungs-
und Städtebaus zu diskutieren. Eine gemeinsame
Aussprache aller Interessenten ist notwendige Vor-
bedingung zur produktiven Leistung. Leider kam
man zu keiner allgemeinen Klärung, aber dieses
Negativum zeitigte als Ergebnis die Erkenntnis, daß
endlich mit positiver Arbeit begonnen werden muß.
In städtebaulicher Hinsicht wurde in bewußter
Begrenzung auf das Technisch-Hygienische die weit-
gehendste Einmütigkeit erzielt. Während man noch
bis in die neueste Zeit Siedlungspläne unter dem
Gesichtspunkt, malerische Platz- und Straßenbilder
zu erreichen, bearbeitete, tritt heute auch im Städte-
bau das funktionelle Moment in den Vordergrund.
Die städtebauliche Planung erfolgt unter den Ge-
sichtspunkten der Wohnlage zur Sonne und des
Herausverlegens der Hauptverkehrsstraßen aus den
Wohnquartieren. Statt der Blockbebauung findet
der Zeilenbau allgemeine Anwendung, wenn auch
Oberbaurat Serini, Nürnberg, die Blockbebauung
nicht aufgegeben wissen will. Der Zeilenbau ist
aber in hygienischer, wirtschaftlicher und wohnungs-
technischer Hinsicht dem Blockbau durchaus vor-
zuziehen, besonders dann, wenn, was unbedingt er-
strebt werden sollte, hinsichtlich des Abstandes
kein Unterschied zwischen den beiden Hausfronten
gemacht wird. Von großem Interesse ist die Fest-
stellung Serinis, daß die sogenannte offene Bau-
weise außerordentlich überschätzt wurde. Die seit-
lichen Abstände verbrauchen Freiflächen, ohne zur
Belichtung der Wohnung wesentlich beizutragen.
Diese Freiflächen werden zweckmäßiger der
zwischen den Häusern liegenden Fläche zugeschla-
gen, um die Abstände zwischen den Hauszeilen zu
vergrößern. Die offene Bauweise sollte daher bei
Stockwerkswohnungen überhaupt nicht angewandt
werden und bei Einfamilienhäusern nur dann, wenn
die Zuteilung großer Gartenflächen die offene Bau-
weise verlangt und rechtfertigt.
Als das wichtigste Ergebnis in städtebaulicher
Hinsicht muß die Feststellung von Oberbaurat
Heiligenthal, Karlsruhe, bezüglich der Beziehung
zwischen Hausabstand und Besonnung bezeichnet
werden. „Unter deutschen Verhältnissen (50 Grad
nördlicher Breite) ist bei Anlage von Nord-Süd-
Straßen eine Straßenbreite (zwischen den Bau-
fluchten) gleich der iy2fachen Gebäudehöhe (ge-
messen bis zur Trauflinie) notwendig, um am 21. De-
zember noch eine zweistündige Besonnung der
Hauswände zu erzielen. Bei Anlage von Diagonal-
straßen zu den Himmelsrichtungen wächst das not-
wendige Maß der Straßenbreite auf das 2fache und
bei Anlage von Ost-West-Straßen auf 2V2fache Ge-
bäudehöhe." Diese Abstände stimmen allerdings
nur, wenn das Dach keine stärkere Neigung als 12°
erhält. Eine bessere Bestätigung für die Richtig-
keit des flachen Daches läßt sich wohl nicht er-
bringen, da das Steildach, ohne der Besonnung der
Wohnung zu nützen, größere Abstände erfordert.
Wichtig ist es auch, bei den Baublocks möglichst
Vorsprünge zu vermeiden, deren Schatten die Be-
sonnung der Räume verhindern. Es ist ein Irrtum,
zu glauben, daß einfache Balkone die darunter lie-
genden Räume nicht verdunkeln, wohingegen eine
Loggia in einem Wohnungsgrundriß so angeordnet
werden kann, daß sie eigentliche Wohnräume nicht
verschattet.
Ob Hoch- oder Flachbau ist eine der umstritten-
sten Fragen des Wohnungsbaus. Es ist falsch, diese
Frage als ein Entweder-Oder zu stellen. Sowohl der
Hoch- als auch der Flachbau haben ihre Berechti-
gung. Das Ziel muß sein, nach Möglichkeit jedem
die Wahl seiner Wohnform freizustellen. Eine dahin-
gehende Rundfrage brachte das bei der heute üb-
lichen Propagierung des Flachbaus überraschende
Ergebnis, daß nur 35 v. H. der Befragten den Wunsch
nach einem Einzelhaus haben, 65 v. H. der Befragten
dagegen die gut eingerichtete Stockwerkswohnung
bevorzugen. Diese Ablehnung des Einfamilienhauses
hängt aber wesentlich mit seiner heutigen schlech-
ten Form zusammen, die die Räume einer Klein-
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auf der Technischen Tagung der Reichsforschungsgesellschaft
Die Voraussetzungen des Wohnungs- und Städte-
baus haben sich völlig verändert; namentlich durch
ein verstärktes soziales Verantwortungsgefühl, die
Forderungen der Hygieniker und die Wünsche der
Hausfrauen. Was wenige Einsichtige seit Jahren
erstrebt haben und was bis vor kürzester Zeit noch
aufs äußerste bekämpft wurde, ist heute gewisser-
maßen Voraussetzung aller Verhandlungen. Es ist
das Verdienst der Reichsforschungsgesellschaft,
durch die Technische Tagung Gelegenheit zu einer
prinzipiellen Auseinandersetzung gegeben zu haben,
wenn auch gesagt werden muß, daß zur Lösung der
Probleme selbst durch die Reichsforschungsgesell-
schaft nicht viel geschehen ist. Im Gegenteil: die
von ihr geförderte Gagfah-Siedlung im Fischtalgrund
in Zehlendorf muß geradezu als ein Protest gegen
die neuen Forderungen des Wohnungsbaus bezeich-
net werden.
Auf der Technischen Tagung der Reichsfor-
schungsgesellschaft wurde u. a. zum erstenmal der
Versuch gemacht, in breitester Öffentlichkeit die
allgemein interessierenden Fragen des Wohnungs-
und Städtebaus zu diskutieren. Eine gemeinsame
Aussprache aller Interessenten ist notwendige Vor-
bedingung zur produktiven Leistung. Leider kam
man zu keiner allgemeinen Klärung, aber dieses
Negativum zeitigte als Ergebnis die Erkenntnis, daß
endlich mit positiver Arbeit begonnen werden muß.
In städtebaulicher Hinsicht wurde in bewußter
Begrenzung auf das Technisch-Hygienische die weit-
gehendste Einmütigkeit erzielt. Während man noch
bis in die neueste Zeit Siedlungspläne unter dem
Gesichtspunkt, malerische Platz- und Straßenbilder
zu erreichen, bearbeitete, tritt heute auch im Städte-
bau das funktionelle Moment in den Vordergrund.
Die städtebauliche Planung erfolgt unter den Ge-
sichtspunkten der Wohnlage zur Sonne und des
Herausverlegens der Hauptverkehrsstraßen aus den
Wohnquartieren. Statt der Blockbebauung findet
der Zeilenbau allgemeine Anwendung, wenn auch
Oberbaurat Serini, Nürnberg, die Blockbebauung
nicht aufgegeben wissen will. Der Zeilenbau ist
aber in hygienischer, wirtschaftlicher und wohnungs-
technischer Hinsicht dem Blockbau durchaus vor-
zuziehen, besonders dann, wenn, was unbedingt er-
strebt werden sollte, hinsichtlich des Abstandes
kein Unterschied zwischen den beiden Hausfronten
gemacht wird. Von großem Interesse ist die Fest-
stellung Serinis, daß die sogenannte offene Bau-
weise außerordentlich überschätzt wurde. Die seit-
lichen Abstände verbrauchen Freiflächen, ohne zur
Belichtung der Wohnung wesentlich beizutragen.
Diese Freiflächen werden zweckmäßiger der
zwischen den Häusern liegenden Fläche zugeschla-
gen, um die Abstände zwischen den Hauszeilen zu
vergrößern. Die offene Bauweise sollte daher bei
Stockwerkswohnungen überhaupt nicht angewandt
werden und bei Einfamilienhäusern nur dann, wenn
die Zuteilung großer Gartenflächen die offene Bau-
weise verlangt und rechtfertigt.
Als das wichtigste Ergebnis in städtebaulicher
Hinsicht muß die Feststellung von Oberbaurat
Heiligenthal, Karlsruhe, bezüglich der Beziehung
zwischen Hausabstand und Besonnung bezeichnet
werden. „Unter deutschen Verhältnissen (50 Grad
nördlicher Breite) ist bei Anlage von Nord-Süd-
Straßen eine Straßenbreite (zwischen den Bau-
fluchten) gleich der iy2fachen Gebäudehöhe (ge-
messen bis zur Trauflinie) notwendig, um am 21. De-
zember noch eine zweistündige Besonnung der
Hauswände zu erzielen. Bei Anlage von Diagonal-
straßen zu den Himmelsrichtungen wächst das not-
wendige Maß der Straßenbreite auf das 2fache und
bei Anlage von Ost-West-Straßen auf 2V2fache Ge-
bäudehöhe." Diese Abstände stimmen allerdings
nur, wenn das Dach keine stärkere Neigung als 12°
erhält. Eine bessere Bestätigung für die Richtig-
keit des flachen Daches läßt sich wohl nicht er-
bringen, da das Steildach, ohne der Besonnung der
Wohnung zu nützen, größere Abstände erfordert.
Wichtig ist es auch, bei den Baublocks möglichst
Vorsprünge zu vermeiden, deren Schatten die Be-
sonnung der Räume verhindern. Es ist ein Irrtum,
zu glauben, daß einfache Balkone die darunter lie-
genden Räume nicht verdunkeln, wohingegen eine
Loggia in einem Wohnungsgrundriß so angeordnet
werden kann, daß sie eigentliche Wohnräume nicht
verschattet.
Ob Hoch- oder Flachbau ist eine der umstritten-
sten Fragen des Wohnungsbaus. Es ist falsch, diese
Frage als ein Entweder-Oder zu stellen. Sowohl der
Hoch- als auch der Flachbau haben ihre Berechti-
gung. Das Ziel muß sein, nach Möglichkeit jedem
die Wahl seiner Wohnform freizustellen. Eine dahin-
gehende Rundfrage brachte das bei der heute üb-
lichen Propagierung des Flachbaus überraschende
Ergebnis, daß nur 35 v. H. der Befragten den Wunsch
nach einem Einzelhaus haben, 65 v. H. der Befragten
dagegen die gut eingerichtete Stockwerkswohnung
bevorzugen. Diese Ablehnung des Einfamilienhauses
hängt aber wesentlich mit seiner heutigen schlech-
ten Form zusammen, die die Räume einer Klein-
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