1932
Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seit
durch Richard Riemerschmid zum erstenmal die
Idee der großen Werkbundausstellung auf der
Bremer Tagung verkündigt wurde. Von der Ar-
beit, die seither im Werkbund geleistet wurde,
den Überlegungen und Verhandlungen, auch
Kämpfen und Konflikten, ist nur das Wenigste
nach außen gedrungen, und das war auch besser
so. Noch war der Augenblick nicht gekommen,
um in öffentlicher Diskussion die Grundfragen
der Ausstellung zu erörtern. Erst mußte einmal
der reale Boden bereitet werden, — wie es ja
auch in den letzten Monaten durch das Wirken
von Ernst Jäckh gelungen ist. Und wenn auch
die formale Beschlußfassung der Reichsregie-
rung noch nicht möglich geworden ist, so kann
man doch wohl sagen, daß die Durchführung des
Planes der internationalen Werkbundausstellung
„Die Neue Zeit" gesichert ist.
Nun haben wir noch drei Jahre der Vorberei-
tung vor uns, wahrlich eine lange Zeit, wenn man
an die Eile denkt, mit der sonst große Ausstel-
lungen vorbereitet zu werden pflegen, — und
doch ist keine Zeit mehr zu verlieren, will man
die Sicherheit dafür haben, daß der Plan auch
wirklich bis zur Reife durchdacht worden ist,
wenn einmal die Zeit der Verwirklichung naht.
Daher ist jetzt auch für die Zeitschrift des Werk-
bunds der Augenblick gekommen, da sie über tat-
sächliche Mitteilungen und gelegentliche Anre-
gungen hinaus in grundsätzliche Erörterungen
eintritt.
Es hat schon viele Ausstellungen großen Um-
fangs gegeben, denen ein heimliches oder aus-
gesprochenes Programm ideellen Charakters zu-
grunde lag, doch niemals war eine Ausstellungs-
idee so umfassend und anspruchsvoll wie die-
jenige, die in dem Namen „Die Neue Zeit" ihren
Ausdruck gefunden hat. Es liegt der Idee ein
gewaltiger Glaube zugrunde: daß wir an der
Schwelle eines neuen Zeitalters stehen, dessen
Antlitz sich deutlich genug von dem der letzten
Vergangenheit abhebt, — und daß es möglich ist,
im Rahmen einer Ausstellung ein Bild zu zeigen,
das in der Tat die wesentlichen Züge des neuen
Zeitalters deutlich macht. Noch nie hat man von
einer Ausstellung so viel gefordert!
Man kann nicht sagen, daß das Wissen um
die tiefe, unüberbrückbare Kluft, die die Gegen-
wart von einer keineswegs entfernten Vergan-
genheit — deren letzte Phasen die Älteren unter
uns noch mit Bewußtsein erlebt haben — schei-
det, heute schon Gemeingut derer ist, die inner-
und außerhalb des Werkbunds zur Mitarbeit an
der Ausstellung berufen sind. Die Kluft bedeutet
ja nicht, daß alles drüben Gelegene dem Blick
entschwunden ist: noch lebt die große Kunst des
19. Jahrhunderts und der älteren Zeiten und
wird, wie wir hoffen, weiterleben. Noch haben
sich Formen der Sitte und Gesellschaft erhalten,
die der Welt jenseits der Kluft entstammen, und
wenn auch manche dieser Formen erstarrt,
andere in ganz allmählicher Umgestaltung be-
griffen sind, so braucht das noch nicht jedem
zum Bewußtsein zu kommen. Es ist ja schon
seltsam genug, daß wir überhaupt um die Kluft
wissen, daß nicht die ganze Umformung, so wie
es früher gewesen ist, uns unbewußt vor sich
geht. Aber die Bewußtheit ist nun einmal unser
Schicksal, und wenn wir auch sicher nicht die
Wandlung heute schon in ihrer ganzen Tiefe be-
greifen — vielleicht geht auch heute noch die
gewaltigste Wandlung im Unbewußten vor
sich! —, so kennen wir doch zahlreiche Sym-
ptome, und haben die Pflicht, offenen Auges die
Entwicklung zu verfolgen und unsere ganze
Arbeit nicht dem Vergehenden, sondern dem Ent-
stehenden zu weihen; wobei freilich nicht jede
„Neuerung", nicht jede Wandlung der Mode und
des Geschmacks gleich wichtig genommen wer-
den darf. Auf die Idee der Ausstellung angewen-
det würde das bedeuten, daß auch sie nur dem
„Entstehenden" zu dienen hätte, und daß unter
den vielen „Berufenen" diejenigen in erster Linie
als zur Mitarbeit „auserwählt" zu gelten hätten,
deren schöpferische Kraft dem Entstehenden zu-
gewandt ist, oder die, mit dem zuverlässigsten
Urteil begabt, sicheren Blickes das Bleibende,
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Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seit
durch Richard Riemerschmid zum erstenmal die
Idee der großen Werkbundausstellung auf der
Bremer Tagung verkündigt wurde. Von der Ar-
beit, die seither im Werkbund geleistet wurde,
den Überlegungen und Verhandlungen, auch
Kämpfen und Konflikten, ist nur das Wenigste
nach außen gedrungen, und das war auch besser
so. Noch war der Augenblick nicht gekommen,
um in öffentlicher Diskussion die Grundfragen
der Ausstellung zu erörtern. Erst mußte einmal
der reale Boden bereitet werden, — wie es ja
auch in den letzten Monaten durch das Wirken
von Ernst Jäckh gelungen ist. Und wenn auch
die formale Beschlußfassung der Reichsregie-
rung noch nicht möglich geworden ist, so kann
man doch wohl sagen, daß die Durchführung des
Planes der internationalen Werkbundausstellung
„Die Neue Zeit" gesichert ist.
Nun haben wir noch drei Jahre der Vorberei-
tung vor uns, wahrlich eine lange Zeit, wenn man
an die Eile denkt, mit der sonst große Ausstel-
lungen vorbereitet zu werden pflegen, — und
doch ist keine Zeit mehr zu verlieren, will man
die Sicherheit dafür haben, daß der Plan auch
wirklich bis zur Reife durchdacht worden ist,
wenn einmal die Zeit der Verwirklichung naht.
Daher ist jetzt auch für die Zeitschrift des Werk-
bunds der Augenblick gekommen, da sie über tat-
sächliche Mitteilungen und gelegentliche Anre-
gungen hinaus in grundsätzliche Erörterungen
eintritt.
Es hat schon viele Ausstellungen großen Um-
fangs gegeben, denen ein heimliches oder aus-
gesprochenes Programm ideellen Charakters zu-
grunde lag, doch niemals war eine Ausstellungs-
idee so umfassend und anspruchsvoll wie die-
jenige, die in dem Namen „Die Neue Zeit" ihren
Ausdruck gefunden hat. Es liegt der Idee ein
gewaltiger Glaube zugrunde: daß wir an der
Schwelle eines neuen Zeitalters stehen, dessen
Antlitz sich deutlich genug von dem der letzten
Vergangenheit abhebt, — und daß es möglich ist,
im Rahmen einer Ausstellung ein Bild zu zeigen,
das in der Tat die wesentlichen Züge des neuen
Zeitalters deutlich macht. Noch nie hat man von
einer Ausstellung so viel gefordert!
Man kann nicht sagen, daß das Wissen um
die tiefe, unüberbrückbare Kluft, die die Gegen-
wart von einer keineswegs entfernten Vergan-
genheit — deren letzte Phasen die Älteren unter
uns noch mit Bewußtsein erlebt haben — schei-
det, heute schon Gemeingut derer ist, die inner-
und außerhalb des Werkbunds zur Mitarbeit an
der Ausstellung berufen sind. Die Kluft bedeutet
ja nicht, daß alles drüben Gelegene dem Blick
entschwunden ist: noch lebt die große Kunst des
19. Jahrhunderts und der älteren Zeiten und
wird, wie wir hoffen, weiterleben. Noch haben
sich Formen der Sitte und Gesellschaft erhalten,
die der Welt jenseits der Kluft entstammen, und
wenn auch manche dieser Formen erstarrt,
andere in ganz allmählicher Umgestaltung be-
griffen sind, so braucht das noch nicht jedem
zum Bewußtsein zu kommen. Es ist ja schon
seltsam genug, daß wir überhaupt um die Kluft
wissen, daß nicht die ganze Umformung, so wie
es früher gewesen ist, uns unbewußt vor sich
geht. Aber die Bewußtheit ist nun einmal unser
Schicksal, und wenn wir auch sicher nicht die
Wandlung heute schon in ihrer ganzen Tiefe be-
greifen — vielleicht geht auch heute noch die
gewaltigste Wandlung im Unbewußten vor
sich! —, so kennen wir doch zahlreiche Sym-
ptome, und haben die Pflicht, offenen Auges die
Entwicklung zu verfolgen und unsere ganze
Arbeit nicht dem Vergehenden, sondern dem Ent-
stehenden zu weihen; wobei freilich nicht jede
„Neuerung", nicht jede Wandlung der Mode und
des Geschmacks gleich wichtig genommen wer-
den darf. Auf die Idee der Ausstellung angewen-
det würde das bedeuten, daß auch sie nur dem
„Entstehenden" zu dienen hätte, und daß unter
den vielen „Berufenen" diejenigen in erster Linie
als zur Mitarbeit „auserwählt" zu gelten hätten,
deren schöpferische Kraft dem Entstehenden zu-
gewandt ist, oder die, mit dem zuverlässigsten
Urteil begabt, sicheren Blickes das Bleibende,
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