Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0723
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Riezler, Walter: Die "Bremen"
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DIE „BREMEN
Nach der ausgesprochen konservativen Hal-
tung, die der „Norddeutsche Lloyd" bisher bei
der Ausstattung seiner großen Dampfer — bis
zum „Columbus"! — eingenommen hatte, mußte
man gespannt sein, wie sich die Reederei bei
der „Bremen" verhalten würde, nachdem der ge-
radezu sensationelle Erfolg, den Frankreich mit
der „modernen" Ausstattung der ,,lle de France"
(über die hier seinerzeit Bruno Paul berichtet
hat) errungen hatte, die letzten Bedenken hatte
zerstreuen müssen. In der Tat: man hat nun auch
hier den Schritt gewagt, den die Hapag schon
bald nach dem Kriege mit dem „Albert Ballin" ge-
tan hatte und der auch früher schon in Einzel-
fällen, bei den von den „Deutschen Werkstätten"
ausgestatteten Schiffsräumen da und dort getan
worden war; man hat auf die Anwendung der
geheiligten historischen Formen verzichtet und
hat sich mit Begeisterung dem „modernen Kunst-
gewerbe" in die Arme geworfen. Freilich wäre
dieser Schritt an sich noch nicht sehr wichtig
zu nehmen. Denn nicht nur der „Albert Ballin",
sondern auch noch die „lle de France" hat ge-
zeigt, daß man auch mit „modernen" Formen
ein Schiff als „schwimmendes Hotel" gestalten
kann, womit im Grunde nichts erreicht ist, jeden-
falls nicht das, was uns das Wesentliche er-
scheint: daß man sich aller der Formen enthält,
die ihre Herkunft aus den konstruktiven Bedin-
gungen des Hausbaus, also vor allem aus dem
Verhältnis von Stütze und Last deutlich zu erken-
nen geben. Vor allem auf der „lle de France" gibt
es in dieser Hinsicht wahre Musterbeispiele, so-
gar mächtige Säulenstellungen und dergleichen.
Es ist keine Frage, daß die „Bremen" dem
gegenüber einen wesentlichen Fortschritt bedeu-
tet: Formen von ausgesprochen architektoni-
schem Charakter in altem Sinne sind vermieden,
vor allem sind die durch die Konstruktion des
Schiffs bedingten, durch die verschiedenen
Decks durchlaufenden Stützen nur so weit ver-
kleidet, daß sie nicht als Säulen oder Pfeiler wir-
ken, die die Decken tragen. Auch ist die Profi-
lierung der Wände meistens so gehalten, daß
diese nicht als tragend, sondern als hineinge-
stellt oder aufgehängt wirken. Das ist zweifel-
los ein Fortschritt, und auch die Form der Räume,
vor allem der großen, durch zwei Decks gehen-
den Gesellschaftsräume ist so, daß man nicht
eigentlich an einen solide gebauten Saal denkt.
Nur die Treppen sind überraschend stark einge-
baut, wie wenn es Treppenhäuser wären, wäh-
rend man doch gerade da so deutlich zeigen
könnte, wie die Treppe frei in der Konstruktion
hängt, — vielleicht glaubte man hier besondere
Rücksicht auf die Passagiere nehmen zu müssen,
die gerade auf den Treppen das Gefühl größter
Sicherheit haben sollen.
Es ist wichtig genug, daß nun wenigstens nicht
mehr die fatale Illusion des festgebauten Hauses
— die noch zur Zeit, da der „Columbus" entstand,
im Interesse des Wohlbefindens der Passagiere
für unentbehrlich gehalten wurde — entsteht.
Wahrscheinlich ist es schon bald so weit, daß
diese Illusion gar nicht mehr gewünscht, son-
Die Rettungsboote der „Bremen"
619
Nach der ausgesprochen konservativen Hal-
tung, die der „Norddeutsche Lloyd" bisher bei
der Ausstattung seiner großen Dampfer — bis
zum „Columbus"! — eingenommen hatte, mußte
man gespannt sein, wie sich die Reederei bei
der „Bremen" verhalten würde, nachdem der ge-
radezu sensationelle Erfolg, den Frankreich mit
der „modernen" Ausstattung der ,,lle de France"
(über die hier seinerzeit Bruno Paul berichtet
hat) errungen hatte, die letzten Bedenken hatte
zerstreuen müssen. In der Tat: man hat nun auch
hier den Schritt gewagt, den die Hapag schon
bald nach dem Kriege mit dem „Albert Ballin" ge-
tan hatte und der auch früher schon in Einzel-
fällen, bei den von den „Deutschen Werkstätten"
ausgestatteten Schiffsräumen da und dort getan
worden war; man hat auf die Anwendung der
geheiligten historischen Formen verzichtet und
hat sich mit Begeisterung dem „modernen Kunst-
gewerbe" in die Arme geworfen. Freilich wäre
dieser Schritt an sich noch nicht sehr wichtig
zu nehmen. Denn nicht nur der „Albert Ballin",
sondern auch noch die „lle de France" hat ge-
zeigt, daß man auch mit „modernen" Formen
ein Schiff als „schwimmendes Hotel" gestalten
kann, womit im Grunde nichts erreicht ist, jeden-
falls nicht das, was uns das Wesentliche er-
scheint: daß man sich aller der Formen enthält,
die ihre Herkunft aus den konstruktiven Bedin-
gungen des Hausbaus, also vor allem aus dem
Verhältnis von Stütze und Last deutlich zu erken-
nen geben. Vor allem auf der „lle de France" gibt
es in dieser Hinsicht wahre Musterbeispiele, so-
gar mächtige Säulenstellungen und dergleichen.
Es ist keine Frage, daß die „Bremen" dem
gegenüber einen wesentlichen Fortschritt bedeu-
tet: Formen von ausgesprochen architektoni-
schem Charakter in altem Sinne sind vermieden,
vor allem sind die durch die Konstruktion des
Schiffs bedingten, durch die verschiedenen
Decks durchlaufenden Stützen nur so weit ver-
kleidet, daß sie nicht als Säulen oder Pfeiler wir-
ken, die die Decken tragen. Auch ist die Profi-
lierung der Wände meistens so gehalten, daß
diese nicht als tragend, sondern als hineinge-
stellt oder aufgehängt wirken. Das ist zweifel-
los ein Fortschritt, und auch die Form der Räume,
vor allem der großen, durch zwei Decks gehen-
den Gesellschaftsräume ist so, daß man nicht
eigentlich an einen solide gebauten Saal denkt.
Nur die Treppen sind überraschend stark einge-
baut, wie wenn es Treppenhäuser wären, wäh-
rend man doch gerade da so deutlich zeigen
könnte, wie die Treppe frei in der Konstruktion
hängt, — vielleicht glaubte man hier besondere
Rücksicht auf die Passagiere nehmen zu müssen,
die gerade auf den Treppen das Gefühl größter
Sicherheit haben sollen.
Es ist wichtig genug, daß nun wenigstens nicht
mehr die fatale Illusion des festgebauten Hauses
— die noch zur Zeit, da der „Columbus" entstand,
im Interesse des Wohlbefindens der Passagiere
für unentbehrlich gehalten wurde — entsteht.
Wahrscheinlich ist es schon bald so weit, daß
diese Illusion gar nicht mehr gewünscht, son-
Die Rettungsboote der „Bremen"
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