RUNDSCHAU
1932
Das Programm für die Internationale Werkbundausstellung „Die Neue Zeit" Köln 1932, das Ernst Jäckh
zunächst als Rahmenprogramm aufgestellt hat, ist vor der Mitgliederversammlung in Breslau vorgetragen
und in Heft 15/1929 der „Form" veröffentlicht worden*).
Es ist nunmehr Aufgabe unserer Zeitschrift, all die Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die wirklich zu
diesem Programm etwas zu sagen haben, sei es kritischer, anregender oder ergänzender Art.
In Übereinstimmung mit dem Generalkommissar fordern wir auf zur Meinungsäußerung, zu positiven Vor-
schlägen und vor allem zur Nennung von Persönlichkeiten, die mitarbeiten können an der ausstellungsmä-
ßigen Sichtbarmachung der Probleme, die dieses Programm enthält. Die Schriftleitung
Das Programm, das Ernst Jäckh für die Ausstel-
lung „Die Neue Zeit" aufgestellt hat, hat viele durch
das Ausmaß des geistigen Stoffes erschreckt. Als
gutes Zeichen aber muß es gewertet werden, daß
bisher niemand gefragt hat, was der Werkbund mit
all diesen Fragen zu tun hat. Wenn der Werkbund
es gewagt hat, einer Ausstellung diesen Namen zu
geben, so muß der Ausgangspunkt der Glaube an
eine hereinbrechende neue Epoche der Menschheits-
geschichte sein. Wer die Technik und die moderne
Architektur bejaht, muß notwendigerweise an tiefere
geschichtliche Kräfte glauben, die diese Erscheinun-
gen als vorwärtsweisende, kündende Symptome zei-
tigen. Jeder weiß, daß hinter den „Formen" der
Technik und der Architektur Probleme wirtschaft-
licher, sozialer und allgemein menschlicher Art
stehen. So ist es höchste Zeit gewesen, daß Jäckh
mit seinem Programm gezeigt hat, auf welchen Pro-
blemen der Werkbund-Gedanke fußt und wie eng er
mit den anderen großen Ideen unserer Zeit verbun-
den ist.
Die Siebenerteilung, die Jäckh gefunden hat,
stellt ohne Zweifel eine sehr glückliche Aufteilung
des Materials dar, in dem die Ideen und die Erschei-
nungen versteckt liegen. Diese Gliederung des
Materials, die wirklich eine überraschende Vollstän-
digkeit für das, was sie einschließen soll, zeigt, hat
wohl Dr. Gantner in Breslau zu der sehr richtigen
Frage veranlaßt, ob es sich bei der Ausstellung um
eine Enzyklopädie der neuen Zeit, um eine vollstän-
dige Darstellung der Erscheinungen handeln soll
oder um ein ganz bewußtes Hervorheben bestimmter
Wege, an die man glaubt und die man für richtig hält,
also um ein Lexikon oder um ein Manifest. Wird, so
etwa fragte er, in der sechsten Gruppe Sowjet-
Rußland, wie England, wie der Faschismus gezeigt
werden oder soll eine ganz bestimmte Staatsform,
mag sie im Augenblick noch so utopisch erscheinen,
gewissermaßen propagandistisch herausgestellt
werden, ähnlich wie man in Stuttgart versucht hat,
den Begriff der neuen Architektur zu verkörpern?
Mit dieser Frage scheint mir ein Einwand sehr
verwandt zu sein, den Dr. Schwab in seiner Kor-
respondenz „Europa - Dienst" gegen den Punkt
„Bauen und Wohnen" des Jäckhschen Programms
getan hat. Er findet, daß die Bezeichnung „Bauen
und Wohnen" nicht den vollen Inhalt dessen wieder-
gibt, was im Zusammenhang mit dem ganzen Plan
hier gemeint sein müsse. Ihm fehlt .schon in der Be-
zeichnung die Orientierung nach der sozialen Pro-
blematik unserer Zeit.
Diesen beiden Äußerungen nach scheint es doch
so zu sein, daß gerade die jüngere Generation von
einer solchen großen Unternehmung, wie es „Die
Neue Zeit" werden soll, mehr verlangt als Konsta-
tierung des Vorhandenen und Erreichten. Sie ver-
langt ein Bekenntnis und darüber hinaus eine Weg-
weisung, selbst wenn, rein historisch genommen,
manches unter den Tisch fallen mag. Es ist mög-
lich, daß von den Fragestellern die sieben Einschrän-
kungen, die Jäckh seinem Programm vorausgestellt
hat, nicht genügend beachtet wurden, denn es wird
dort gesagt, daß nur das überzeugend und zwingend
Symptomatische und Symbolhafte der neuen Zeit
unter themagemäßer und zielbewußter Fragestellung
und Problemförderung ausgestellt werden soll. Aber
ich glaube, daß trotzdem in dem ganzen Programm
Jäckhs das Ziel nach dem Enzyklopädischen sehr
stark hervortritt. Sicher ist das Ganze aus einem
starken Glauben an die neue Zeit und an einen
neuen Menschen und vor allem an die Möglichkeit
einer besseren und geordneteren Gemeinschaft her-
vorgegangen. Aber das Programm hat als Ganzes
etwas von wissenschaftlicher Forschungsmethode.
Man wili versuchen, das, was an Kräften einer neuen
Zeit vorhanden ist, herauszulösen und zur Darstel-
lung zu bringen. Wäre es nun nicht herrlich, wenn
man versuchen würde, auf all den Gebieten nach
solchen Dingen zu suchen, die in unserer Zeit noch
nicht gelöst und fertig dastehen, sondern die noch
einer Lösung harren, um dann zu versuchen, auf der
Ausstellung diesen Dingen eine große Lösung zu
geben. Diese Lösung mag noch so bescheiden sein,
irgend etwas, was zwanzig Jahre weiter hinaus-
weist, wird sie doch bringen. Bei vielen Dingen wird
es leider so sein müssen, daß sie nur auf dem Papier
oder im Modell zu zeigen sein werden, wie etwa eine
ganz neue Lösung der Großstadtbebauung oder der
*) In diesem gedruckten Bericht sind folgende Druckfehler zu korrigieren: Es muß heißen:
Seite 413 Spalte 1 Zeile 14 von unten „ethnischen" statt ,,ethischen",
Seite 415 Spalte 2 Zeile 16 von unten „Beziehung" statt „Bezeichnung",
Seite 417 Spalte 1 Zeile 16 von unten „als" statt „die"
Seite 418 Spalte 2 Zeile 10 von oben „ineinander" statt „übereinander",
Seite 419 Spalte 1 Zeile 2 von oben „müßte" statt „mußte",
Seite 420 Spalte 1 Zeile 7 von oben „mönchischer" statt „monarchischer".
439
1932
Das Programm für die Internationale Werkbundausstellung „Die Neue Zeit" Köln 1932, das Ernst Jäckh
zunächst als Rahmenprogramm aufgestellt hat, ist vor der Mitgliederversammlung in Breslau vorgetragen
und in Heft 15/1929 der „Form" veröffentlicht worden*).
Es ist nunmehr Aufgabe unserer Zeitschrift, all die Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die wirklich zu
diesem Programm etwas zu sagen haben, sei es kritischer, anregender oder ergänzender Art.
In Übereinstimmung mit dem Generalkommissar fordern wir auf zur Meinungsäußerung, zu positiven Vor-
schlägen und vor allem zur Nennung von Persönlichkeiten, die mitarbeiten können an der ausstellungsmä-
ßigen Sichtbarmachung der Probleme, die dieses Programm enthält. Die Schriftleitung
Das Programm, das Ernst Jäckh für die Ausstel-
lung „Die Neue Zeit" aufgestellt hat, hat viele durch
das Ausmaß des geistigen Stoffes erschreckt. Als
gutes Zeichen aber muß es gewertet werden, daß
bisher niemand gefragt hat, was der Werkbund mit
all diesen Fragen zu tun hat. Wenn der Werkbund
es gewagt hat, einer Ausstellung diesen Namen zu
geben, so muß der Ausgangspunkt der Glaube an
eine hereinbrechende neue Epoche der Menschheits-
geschichte sein. Wer die Technik und die moderne
Architektur bejaht, muß notwendigerweise an tiefere
geschichtliche Kräfte glauben, die diese Erscheinun-
gen als vorwärtsweisende, kündende Symptome zei-
tigen. Jeder weiß, daß hinter den „Formen" der
Technik und der Architektur Probleme wirtschaft-
licher, sozialer und allgemein menschlicher Art
stehen. So ist es höchste Zeit gewesen, daß Jäckh
mit seinem Programm gezeigt hat, auf welchen Pro-
blemen der Werkbund-Gedanke fußt und wie eng er
mit den anderen großen Ideen unserer Zeit verbun-
den ist.
Die Siebenerteilung, die Jäckh gefunden hat,
stellt ohne Zweifel eine sehr glückliche Aufteilung
des Materials dar, in dem die Ideen und die Erschei-
nungen versteckt liegen. Diese Gliederung des
Materials, die wirklich eine überraschende Vollstän-
digkeit für das, was sie einschließen soll, zeigt, hat
wohl Dr. Gantner in Breslau zu der sehr richtigen
Frage veranlaßt, ob es sich bei der Ausstellung um
eine Enzyklopädie der neuen Zeit, um eine vollstän-
dige Darstellung der Erscheinungen handeln soll
oder um ein ganz bewußtes Hervorheben bestimmter
Wege, an die man glaubt und die man für richtig hält,
also um ein Lexikon oder um ein Manifest. Wird, so
etwa fragte er, in der sechsten Gruppe Sowjet-
Rußland, wie England, wie der Faschismus gezeigt
werden oder soll eine ganz bestimmte Staatsform,
mag sie im Augenblick noch so utopisch erscheinen,
gewissermaßen propagandistisch herausgestellt
werden, ähnlich wie man in Stuttgart versucht hat,
den Begriff der neuen Architektur zu verkörpern?
Mit dieser Frage scheint mir ein Einwand sehr
verwandt zu sein, den Dr. Schwab in seiner Kor-
respondenz „Europa - Dienst" gegen den Punkt
„Bauen und Wohnen" des Jäckhschen Programms
getan hat. Er findet, daß die Bezeichnung „Bauen
und Wohnen" nicht den vollen Inhalt dessen wieder-
gibt, was im Zusammenhang mit dem ganzen Plan
hier gemeint sein müsse. Ihm fehlt .schon in der Be-
zeichnung die Orientierung nach der sozialen Pro-
blematik unserer Zeit.
Diesen beiden Äußerungen nach scheint es doch
so zu sein, daß gerade die jüngere Generation von
einer solchen großen Unternehmung, wie es „Die
Neue Zeit" werden soll, mehr verlangt als Konsta-
tierung des Vorhandenen und Erreichten. Sie ver-
langt ein Bekenntnis und darüber hinaus eine Weg-
weisung, selbst wenn, rein historisch genommen,
manches unter den Tisch fallen mag. Es ist mög-
lich, daß von den Fragestellern die sieben Einschrän-
kungen, die Jäckh seinem Programm vorausgestellt
hat, nicht genügend beachtet wurden, denn es wird
dort gesagt, daß nur das überzeugend und zwingend
Symptomatische und Symbolhafte der neuen Zeit
unter themagemäßer und zielbewußter Fragestellung
und Problemförderung ausgestellt werden soll. Aber
ich glaube, daß trotzdem in dem ganzen Programm
Jäckhs das Ziel nach dem Enzyklopädischen sehr
stark hervortritt. Sicher ist das Ganze aus einem
starken Glauben an die neue Zeit und an einen
neuen Menschen und vor allem an die Möglichkeit
einer besseren und geordneteren Gemeinschaft her-
vorgegangen. Aber das Programm hat als Ganzes
etwas von wissenschaftlicher Forschungsmethode.
Man wili versuchen, das, was an Kräften einer neuen
Zeit vorhanden ist, herauszulösen und zur Darstel-
lung zu bringen. Wäre es nun nicht herrlich, wenn
man versuchen würde, auf all den Gebieten nach
solchen Dingen zu suchen, die in unserer Zeit noch
nicht gelöst und fertig dastehen, sondern die noch
einer Lösung harren, um dann zu versuchen, auf der
Ausstellung diesen Dingen eine große Lösung zu
geben. Diese Lösung mag noch so bescheiden sein,
irgend etwas, was zwanzig Jahre weiter hinaus-
weist, wird sie doch bringen. Bei vielen Dingen wird
es leider so sein müssen, daß sie nur auf dem Papier
oder im Modell zu zeigen sein werden, wie etwa eine
ganz neue Lösung der Großstadtbebauung oder der
*) In diesem gedruckten Bericht sind folgende Druckfehler zu korrigieren: Es muß heißen:
Seite 413 Spalte 1 Zeile 14 von unten „ethnischen" statt ,,ethischen",
Seite 415 Spalte 2 Zeile 16 von unten „Beziehung" statt „Bezeichnung",
Seite 417 Spalte 1 Zeile 16 von unten „als" statt „die"
Seite 418 Spalte 2 Zeile 10 von oben „ineinander" statt „übereinander",
Seite 419 Spalte 1 Zeile 2 von oben „müßte" statt „mußte",
Seite 420 Spalte 1 Zeile 7 von oben „mönchischer" statt „monarchischer".
439