Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

DOI Artikel:
Haesler, Otto: Zum Wohnproblem
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0691

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZUM WOHNPROBLEM

„Sachlich" und „zeitgemäß" laufen Ge-
fahr, zum Schlagwort zu werden und ihren rich-
tigen Inhalt zu verlieren, denn auch hier beginnt
die lebendige Bedeutung des Wortes zu verblas-
sen, wenn es beziehungslos nur als äußerer Be-
griff gedacht und ausgesprochen wird.

„Sachlich" und „zeitgemäß" — die
Wirklichkeit vorfühlend zu erfassen — ist aber im
Augenblick notwendiger denn je, und die Objekti-
vierung der Jäckhschen Idee „Die Neue Zeit"
ist nicht denkbar ohne die volle lebendige Bedeu-
tung dieser Zeitbegriffe.

Wo sich eine Gesamterscheinung aus dem
lebendigen Zusammenspiel verschiedener Fak-
toren ergibt, ist es eben unerläßlich, auch alle
Einzelbegriffe in ihren wechselvollen Beziehun-
gen aus dem fluktuierenden Lebensprozeß her-
auszuschälen, in ihrer stärksten Auswirkung zu
erfassen und so lange beweglich zu lassen, bis
die Lösung in Form des harmonischen Ausgleichs
— begrenzt durch das Zeitnotwendige und Zeit-
mögliche — realisiert werden kann. Grundsätz-
liche Forderung bleibt in diesem Sinne auch die
totale Erfassung des Wohnproblems mit dem
Ausgangspunkt: der Mensch.

Die soziologische Erfassung seiner Lebensbe-
dingungen steht im Vordergrund. Sie liegen in
der veränderten Arbeitsteilung und erhöhten
Arbeitsleistung. Sie bewirken die Einbeziehung
fast aller Familienmitglieder in den volkswirt-
schaftlichen Arbeitsprozeß, gebieten eine früh-
zeitige, gleichgerichtete Erziehung jedes einzel-
nen zur größtmöglichen Selbständigkeit und for-
dern für den gesundheitlichen Ausgleich der
täglichen Leistung die Nutzbarmachung aller
hygienischen Möglichkeiten und zur Entlastung
die Heranziehung aller erreichbaren neuzeitlichen
Einrichtungen.

Diese grundlegenden soziologischen Erkennt-
nisse bedingen bei dem zeitgemäß zu realisieren-
den Wohnungsbau das Prinzip der Reihung
gleichartiger und gleichwertiger Räume für jeden
einzelnen und das Dominieren geeigneter Räume
für das Gemeinschaftsleben der Familie.

Erhöhte Wohngesundheit steht bei der Ge-
staltung im Vordergrund. Zu fordern ist die beste
hygienische Raumformung und Durchbildung bei
zweckmäßiger Besonnung, Zusammenfassung
der einzelnen Räume zu lebensfähigen Wohn-
organismen unter erweiterter Erschließung der
Innenräume und stärkerer Einbeziehung der
äußeren Umwelt.

Die Verwirklichung solcher zeitgemäßen For-
derungen im Rahmen eines harmonischen Aus-
gleichs gebietet mehr als bisher auf die Größe
der Familie und gleichzeitig auch auf die wirt-
schaftliche Stärke der Familiengruppen einzu-
gehen. Notwendig ist deshalb eine erhöhte Zahl
von Raumtypen in Form von Bettentypen, der
Zahl der Familienmitglieder, und von Wohntypen,
der verschiedenen wirtschaftlichen Stärke der
Familiengruppen entsprechend. Damit ist die
Grundlage für die Minimalwohnung als Wohnung
für die wirtschaftlich schwächste Familiengruppe
unabhängig von deren Größe gegeben. Sie stellt
den zeitgemäß engsten, aber auch zeitgemäß ein-
wandfreien Wohntyp dar.

Ihre Tragbarkeit ist im Rahmen des harmoni-
schen Ausgleichs nur möglich unter Einschal-
tung einer entsprechenden beweglicheren Finan-
zierungsart, ausgehend von der kinderlosen als
der wirtschaftlich stärkeren und der kinderrei-
chen als der wirtschaftlich schwächeren Familie
mit dem Anspruch auf stärkere Beleihung mit
verbilligten Mitteln.

591
 
Annotationen