Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

DOI Artikel:
Hartlaub, Gustav Friedrich: Ethos der neuen Baukunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0329

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ETHOS DER NEUEN BAUKUNST

i.

Die religiöse Bewußtseinslage des primitiven
und archaischen Menschen besaß ohne Frage
das primärste, das im höchsten Maße schöp-
ferische Verhältnis zur Gesamtheit der bildenden
Kunst: sie allein erzeugte eine monumentale
Sakralbaukunst, von deren Formensprache dann
hierarchisch-einheitlich die gesamte Program-
matik in allen gestaltenden Tätigkeiten diktiert
werden konnte. Alle Bekundungen und Einrichtun-
gen des archaisch religiösen Bewußtseins (und
Unterbewußtseins) sind der Entfaltung stilbilden-
der Baukunst besonders günstig. So vor allem
der „Universismus" (de Groot) Alt-Chinas,
Alt-Babyloniens, Alt-Indiens, Alt-Amerikas mit
der großartigen Architektonik seines Astralkos-
mos, mit seinem Analogiezwang zwischen Mikro-
und Makrokosmos, der auch die Tempelbau- und
Grabmalbaukunst zum Abbild des Weltgebäudes
machte oder sie doch orientierend in das kos-
mische Achsensystem einbezog. Sodann das
Haften der zauberisch-sakralen Wirkung am
Erdinnern, die merkwürdige Gedächtniskraft ge-
heiligter Orte für alle zauberischen und reli-
giösen Begebenheiten in ihrem Umkreis: die ge-
samte chthonische Magie, die allen mannigfaltig
unterschiedenen Lokalkulten Anlaß und Baugele-
genheit gab und die damit — im Zusammenhang
mit der auf der ganzen Welt verbreiteten Reli-
quienverehrung — umfassende Möglichkeiten für
kryptisch untergründete Sakralbaukunst schuf.
Überhaupt war die zauberische Macht von Ritus,
Opfer, Sakrament und Wunder aller Art, die ok-
kulte Kraft der Reliquien, das Geheimnis der
„Orte" voll direkter und indirekter Anregung für
die Tätigkeit des Architekten und bildenden
Künstlers, — ebenso wie gerade die Vielheit der
Götter, Heroen und Heiligen mit ihren mannig-
fachen Kultbedürfnissen eine architektonische
und bildkünstlerische Differenzierung sonderglei-
chen mit sich brachte. Selbst die künstlerische
Konzeption als solche scheint in solchen Epochen
„magisch" im eigentlichen Sinn gewesen zu sein.
Der Künstler und Bauherr berechnete und kon-
struierte nicht seinen Bau, sondern plante ihn
bildhaft, — „eidetisch", wie wir heute mit
Jaensch sagen würden. Zahlreiche Bausagen

aus heidnischer und christlicher Zeit berichten
uns von geträumten Grundrissen und Bauauf-
trägen. Endlich finden wir natürlich nur bei
diesen magisch-religiös gebundenen Kulturen
jene grundlegende Einheit von Gott, Priester-
schaft und Königtum, jene Hierarchie und damit
jene Stufenordnung der menschlichen Gesell-
schaft, die auch die sozialen und wirtschaft-
lichen Vorbedingungen sakraler Massenarchitek-
tur geschaffen hat.

Bauen und Glauben gehören auf der archai-
schen Stufe zusammen. Vom heutigen „pro-
testantischen" Standpunkt aus, der infolge immer
tiefer gedrungener kritisch-historischer, sowie
ethisch-reformatorischer Besinnung einen Groß-
teil naiven Glaubens ins Unterbewußtsein ver-
drängt hat, erscheint gerade das sogenannte
abergläubische (also zauberische, magi-
sche) Element als das für viele Jahrtausende
vor allem kunstschöpferische und stilbildende.
Diese Erkenntnis ist ebenso unausweichlich wie
grundlegend.

Kein Zweifel, daß gerade auch die Glaubens-
welt der katholischen Kirche entscheidende
Bestandteile dieses „Aberglaubens" bewahrt
hat. Man hat den Katholizismus nicht mit Un-
recht als das Fortleben des alten Orients auf
abendländischem Boden bezeichnet und dies,
obgleich das Christentum seiner ursprünglichen
Richtung nach außerweltlich, verinnerlichend.
dem Sinnlichen gegenüber indifferent, wenn nicht
gar asketisch war — um erst wieder durch die
Organisation der Kirche auf altorientalischem
und nordisch-barbarischem Boden in die bekann-
ten Eigenschaften eines wohl unausrottbaren
magischen Materialismus zurückzuverfallen. Es
genügt, daran zu erinnern, was der Märtyrer- und
Heiligenkultus, die Reliquienverehrung als Bau-
anlaß auch gerade für die katholische Kirche be-
deutet und wie sie Grund- und Aufriß des
Kirchenbaues entscheidend beeinflußt haben.
Man bedenke, welche Rolle das Altarsakrament,
die Trennung von Gemeinde und Priesterschaft,
der umfängliche Apparat der Liturgie für die Innen-
raumentwicklung der Kirche gespielt haben. Man
nehme der katholischen Kirche ihre verhüllte
Vielgötterei, ihre sakramentalen Mysterien (ins-

273
 
Annotationen