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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Le Corbusier: Das Haus des "Centrosoyus" in Moskau: Union der Konsumgenossenschaft U.R.S.S.
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DAS HAUS DES „CENTROSOYUS" IN MOSKAU

Union der Konsumgenossenschaft U. R. S. S.

Das große Gebäude soll die 2500 Funktionäre
des Zentralbüros der Union der russischen Kon-
sumgenossenschaften aufnehmen. Die Gelände-
arbeiten sind im Gang. Mit der Ausführung der
Arbeit sind die Architekten Le Corbusier und Pierre
Jeanneret beauftragt worden. Dieses Haus wird der
größte Bau werden, den das neue Regime bisher
ausgeführt hat. Dieser Aufgabe ist eine ganz beson-
dere Sorgfalt seitens der Beteiligten gewidmet wor-
den. Es war die Absicht der Leiter des Unterneh-
mens, damit der russischen Architekturbewegung
eine ganz charakteristische Wegweisung zu geben.

1927 wurde ein erster großer Wettbewerb unter
den Architekten von Moskau und Leningrad ausge-
schrieben, dem alsdann ein beschränkter, internatio-
naler Wettbewerb folgte, der für Moskau eine neue
Reihe von Plänen lieferte, die namhaften österrei-
chischen, deutschen, französischen und englischen
Ateliers entstammen. Auf das Projekt von Le Cor-
busier und P. Jeanneret wurde zurückgegriffen. Le
Corbusier reiste im Oktober 1928 nach Moskau, wo
er an Ort und Stelle ein zweites Projekt liefern
mußte, das den örtlichen Bedingungen genau Rech-
nung tragen mußte. Endlich im Februar 1929 wurde
der endgültige Plan (das hier abgebildete dritte Pro-
jekt) angenommen*). Architekten aus Moskau kamen
nach Paris, um dort unter Kenntnis der Moskauer
Bauordnungen zu arbeiten. Diese Bauordnungen
sind übrigens in der Hauptsache ausgezeichnet und
entsprechen der modernen Entwicklung der Städte.
Andere Architekten werden im Verlauf der Arbeiten,
die fast zwei Jahre dauern, nach Paris kommen und
bei Le Corbusier und P. Jeanneret arbeiten, um sich
vollständig mit den westlichen Arbeitsmethoden und
besonders mit Betonarbeiten vertraut zu machen.
Das Pariser Ministerium für Auswärtige Angelegen-
heiten und die französische Gesandtschaft in Mos-
kau verfolgen diese Arbeiten mit großem Interesse
und Sympathie.

Die Instruktion, die den Architekten von den Mos-
kauer Auftraggebern erteilt wurde, lautet: „Ihr müßt
uns alles bringen, was die moderne Technik an wirk-
samen Vorteilen in der Bauindustrie geschaffen hat.'"
Das Problem war also in einer charakteristischen
Weise und aus vernünftigen Gesichtspunkten aufge-
stellt worden.

So haben die Architekten einen Bau ersinnen kön-
nen, in dem, dank der Freiheiten, die der Betonbau
gebracht hat, die Lösung des Ventilationsproblems
im Innern des Gebäudes (dessen Belüftung den
Kampf gegen Kälte und Wärme zuläßt) zu einer For-
mel führt,die schlechthin für ausgesprochen moderne
Bürobauten gültig ist. Besonders ist es der Kampf
gegen die heftige Kälte in Moskau (bis 40 Grad unter
Null), die zur Schaffung von isothermen Gebäuden
geführt hat. Sie sind fest und unempfindlich gegen
Kälte und gegen Wärme, wirkliche Typen von Ge-
bäuden, gleich brauchbar in den Tropen wie auch in

*) Das zweite Projekt wurde In der Zeitschrift „Das Neue Frank-
furt" Heft 2/1929 veröffentlicht.

den Polargegenden. Die Zusammenfassung des
Patents Gustave Lyons (aeration ponctuelle) und
des Patents L. C. und P. J. (murs neutralisants) wird
die übliche Heizung der Innenräume gänzlich umge-
stalten. Das vorher als aeration ponctuelle bezeich-
nete System erzeugt durch Ventilatoren einen ge-
schlossenen Strom von reiner Luft von 18 Grad, der
80 Liter Luft pro Person in der Minute liefert. Dieser
Luftstrom, der langsam zirkuliert, wird durch ein wis-
senschaftliches Verfahren regeneriert und nimmt
seinen Umlauf wieder auf, nachdem er jedesmal auf
eine konstante Temperatur von 18 Grad gebracht
worden ist. Der gleiche Vorgang spielt sich sowohl
im Sommer wie im Winter ab.

Das vorher als murs neutralisants bezeichnete
System gestattet die Anbringung von doppelten
Wandhäuten, zwischen denen ein Hohlraum von
10 cm Breite liegt. Diese Wandhäute bestimmen die
Hülle des Gebäudes. Sie sind aus Glas, Ziegel oder
Steinputz, oder teils aus Glas und teils aus Ziegel.
Um die Wände aus Glas zu reinigen, sind Reinigungs-
leitern angebracht, die in Schienen oben und unten
laufen. Für jede Glasfassade ist eine Leiter be-
stimmt. Die Fassaden sind in Klarglas gedacht.
In diesem Hohlraum, der durch die beiden Wände
gebildet wird, läßt man mit regulierbarer Geschwin-
digkeit einen im Winter heißen und im Sommer küh-
len Luftstrom fließen.

Über die Brauchbarkeit dieser Luft für die Atmung
des Menschen braucht man sich in diesem Fall keine
Sorge zu machen, weil sie vollkommen eingeschlos-
sen ist.

Die Folge ist, daß es keine Fenster, sondern nur
Glasmauern gibt, was die Baukosten beträchtlich
vermindert.

Es gibt keine Heizung, sondern nur Belüftung, was
die Unterhaltungs- und Instandhaltungskosten be-
trächtlich verringert.

Solche Methoden bringen zwangsläufigerweise für
die Architektur folgende Forderungen:

Die Bauten werden auf den Stand von Typen ge-
bracht, Bürotypen, Typen von Versammlungssälen
usw. Ihre Umhüllung wird zu glatten Flächen (dop-
pelten Wandhäuten). Diese Flächen sind ganz aus
Glas, ganz aus Stein oder teils aus Stein und teils
aus Glas. Entsprechend den Gegebenheiten der
örtlichkeit ist das Flachdach angewandt mit Ab-
fluß für das Regen- und Schneewasser nach innen
zu, nach der Wärme, die sich durch die Zentralhei-
zung oder noch wirksamerer Heizmethoden bildet.
Die Baukörper stehen auf Pfählen, sozusagen in der
Luft, ab vom Boden, so daß der Wagen- und Fuß-
gängerverkehr darunter hindurchfluten kann.

Es ergibt sich eine klare Trennung der aufsteigen-
den und senkrechten Elemente wie Treppen und
Rampen von den horizontalen Elementen, den Büro-
räumen.

Nunmehr werden gewaltige Massen auf ein-
fache Struktur bis zu kristallinischer Reinheit ge-
bracht werden.

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