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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Hilberseimer, Ludwig: Glasarchitektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0609

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GLASARCHITEKTUR

„Wir leben zumeist in geschlossenen Räumen.
Diese bilden das Milieu, aus dem unsere Kultur
herauswächst. Unsere Kultur ist gewissermaßen
ein Produkt unserer Architektur. Wollen wir
unsere Kultur auf ein höheres Niveau bringen,
so sind wir wohl oder übel gezwungen, unsere
Architektur umzuwandeln. Und dieses wird uns
nur dann möglich sein, wenn wir den Räumen,
in denen wir leben, das Geschlossene nehmen.
Das aber können wir nur durch Einführung der

Glasarchitektur____" Mit diesen Worten leitet

Paul Scheerbart sein 1914 erschienenes Buch
„Glasarchitektur" (Verlag Der Sturm, Berlin) ein,
in denen das Wesentlichste, was zu dem Problem
Glasarchitektur zu sagen ist, bereits ausge-
sprochen ist. Wie denn Paul Scheerbart über-
haupt einer der wenigen ist, der viele Möglich-
keiten der neuen Architektur vorausgesehen hat.
Allerdings geht auf ihn auch jene romantische
Bewegung zurück, für die das Glas mehr ein
dekoratives als ein konstruktives Mittel war. In
mißverstandener Weise wurden dichterische
Visionen real ausgedeutet und Scheerbarts halb
scherzhafte Verse „ohne einen Glaspalast ist
das Leben eine Last" allzu wörtlich genommen.
Es begann eine Glasarchitektur-Romantik, deren
einzig Gutes war, daß sie zum Unterschied von
sonstigen architektonischen Romantizismen
nicht realisiert werden konnte.

Das Glas war immer ein wichtiges architekto-
nisches Mittel. Die gotische Kathedrale zeigt
zum erstenmal die Anwendungsmöglichkeit des
Glases in großen Flächen, die zwar aus kleinen
Einzelteilen zusammengesetzt sind, aber durch-
aus als Einheit wirken. Die Renaissance,
hat diese Entwicklung durch ihre retrospektive
Einstellung unterbrochen, aber gerade in den
nordischen Ländern, wo durch das Klima das
Leben sich weniger im Freien als in geschlos-
senen Räumen abspielt, war das Bedürfnis nach
großen Fensteröffnungen immer vorhanden.
Allerdings wegen der Kostbarkeit des Glases ein
Luxus, den sich nur Reiche leisten konnten. —

Wie sehr Fenster bewundert wurden, zeigt bei-
spielsweise die Bezeichnung eines Traktes des
Heidelberger Schlosses mit „Gläserner Saai-
bau", obwohl die Fenster dort nach unseren Be-
griffen keineswegs von besonderem Ausmaß
sind. Mit der Vervollkommnung und Verbilli-
gung der Produktionstechnik nahmen auch die
Fenster an Größe zu. Namentlich das Barock
erstrebt eine Reduzierung des Mauerwerks zu-
gunsten der Öffnung, wie z. B. bei dem Musee
Carnavalet in Paris oder noch weitgehender bei
den Zwinger-Pavillons in Dresden, wo ähnlich
wie in der Gotik das Mauerwerk einen skelett-
artigen Charakter annimmt. Wie denn überhaupt
die von der Antike abgeleiteten Stilarten sich
im Norden auf Grund der anderen Bedürfnisse
anders auswirkten als im Süden. — Das Barock,
dem es raumkünstlerisch vor allem auf illusio-
nistische Wirkungen ankam, verwandte auch das
Glas, vor allen Dingen Spiegel, für diese Zwecke.
Wie etwa in der Galerie des Glaces in Versailles
oder auch bei kirchlichen Bauten.

Durch die Möglichkeiten des Eisenskelettbaus
hat sich im 19. Jahrhundert eine Entwicklung
vollzogen, die es gestattete, mit den Gepflogen-
heiten des Steinbaus vollkommen zu brechen.
Die Bauten des 19. Jahrhunderts, ihre großen
Spannweiten, ihr Bedürfnis nach Licht, haben
die Entwicklung des Glasbaues außerordentlich
begünstigt. Der 1850 für die Londoner
Internationale Industrie - Ausstellung errichtete
Kristallpalast zeigt zum erstenmal die Möglich-
keiten des Eisen-Glasbaus. Ein Gebäude aus
verglastem eisernen Gitterwerk, ein reines
Linien- und Flächengebilde, das das Bewußtsein
der Schwere aufhebt. Der alte Gegensatz von
Licht und Schatten, der die Architektur der Ver-
gangenheit proportionierend formte, ist hier ver-
schwunden. Er hat einer gleichmäßig verteilten
Helle Platz gemacht, einen Raum von schatten-
losem Licht geschaffen. Der Kristallpalast in
London ist bezeichnenderweise nicht das Werk
eines Architekten, sondern eines Gärtners. Die

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