Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0139
DOI article:
Lotz, Wilhelm: Das Objekt im Film: zu Pudowkins "Sturm über Asien"
DOI Page / Citation link: https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0139
DAS OBJEKT IM FILM
Zu Pudowkins „Sturm über Asien"
Die moderne Fotografie beschäftigt sich gern
mit der Aufnahme einfacher alltäglicher Objekte.
Man kann fast sagen, daß mit dem Aufgreifen
dieser Motive die entscheidende Revolution in
der Fotografie vor sich gegangen ist. Damit
schied literarischer Einschlag und romantisch-
sentimentale Ausdeutung aus. An dieser Revo-
lution war — was im Rahmen dieser Betrachtung
weniger wichtig erscheint — ebenso stark auch
die Abkehr von der Darstellung des Objekts
überhaupt beteiligt, wie sie sich in den kamera-
losen Aufnahmen am prägnantesten zeigt. Diese
Darstellung des alltäglichen Objekts findet eine
Parallele in einer Erscheinung der modernen
Malerei, auf die die Bezeichnung ,,neue Sach-
lichkeit" am besten paßt, beispielsweise jene
Stilleben, die Kanoldt, Mense, Seewald und an-
dere aus diesem Kreis geschaffen haben. Bei
allen diesen Malern wird das Objekt nie Stilleben
im alten Sinn, die Objekte: der Gummibaum, der
Apfel, die Fische sind raumbildende Faktoren; mit
diesen Objekten bauen jene Maler den Raum-
ausschnitt, der ihnen durch das Bild gegeben
ist. Immerhin liegt auch bei der Darstellung ali-
täglicher Gegenstände die Gefahr der Monumen-
talisierung oder Symbolisierung des Einfachen
nahe. In der Malerei wird im allgemeinen diese
Gefahr vermieden, weil es nicht so sehr auf das
Objekt wie auf das räumliche Bilden ankommt.
In der Fotografie jedoch führt die Vereinzelung
und Hervorhebung des Objekts, besonders bei
vielen Nachläufern, zu einer Steigerung ins Un-
sachliche; die Art der Darstellung appelliert an
Gefühl, an Erinnerung, an Literatur. Man darf
behaupten, daß damit die Fotografie einen ähn-
lich falschen Weg betritt, wie wenn sie durch
allzu malerisch tonige Behandlung des Drucks
ins Bildhafte im alten Sinn gerät.
Im neuen russischen Film begegnen wir einer
Erscheinung, die eine gewisse Ähnlichkeit mit
der hervorgehobenen Vereinzelung des Objekts
in der Fotografie aufweist. Aus der Sphäre der
Geschehnisse der Welt, die um den Menschen
und mit ihm sich ereignen, und der sozusagen
die körperliche Erscheinung des Menschen als
Maßstab zugrunde liegt, gleitet die Kamera
hinaus in die Welt der kleinen Objekte, so wie
in dem Potemkin-Film der Kneifer des Arztes
kurz gezeigt wird, nachdem sein Besitzer in das
Wasser geworfen ist, und im ,,Sturm über Asien"
die Goldfische erscheinen. Hans Richter deu-
tete kürzlich in seinem ausgezeichneten Auf-
satz über „Neue Mittel der Filmgestaltung" in
dieser Zeitschrift auf die Rolle des sonst im
Leben unbeachteten Objekts im Film hin. Er be-
zeichnet das in der Unterschrift zu den Bildern
aus dem ,,Ballet mecanique" von Leger als eine
Befreiung des alltäglichen Gegenstandes aus
Aus dem Film „Sturm über
**sien l^^^^^WjiBWWmMHlM^BWPMr?ffif^
105
Zu Pudowkins „Sturm über Asien"
Die moderne Fotografie beschäftigt sich gern
mit der Aufnahme einfacher alltäglicher Objekte.
Man kann fast sagen, daß mit dem Aufgreifen
dieser Motive die entscheidende Revolution in
der Fotografie vor sich gegangen ist. Damit
schied literarischer Einschlag und romantisch-
sentimentale Ausdeutung aus. An dieser Revo-
lution war — was im Rahmen dieser Betrachtung
weniger wichtig erscheint — ebenso stark auch
die Abkehr von der Darstellung des Objekts
überhaupt beteiligt, wie sie sich in den kamera-
losen Aufnahmen am prägnantesten zeigt. Diese
Darstellung des alltäglichen Objekts findet eine
Parallele in einer Erscheinung der modernen
Malerei, auf die die Bezeichnung ,,neue Sach-
lichkeit" am besten paßt, beispielsweise jene
Stilleben, die Kanoldt, Mense, Seewald und an-
dere aus diesem Kreis geschaffen haben. Bei
allen diesen Malern wird das Objekt nie Stilleben
im alten Sinn, die Objekte: der Gummibaum, der
Apfel, die Fische sind raumbildende Faktoren; mit
diesen Objekten bauen jene Maler den Raum-
ausschnitt, der ihnen durch das Bild gegeben
ist. Immerhin liegt auch bei der Darstellung ali-
täglicher Gegenstände die Gefahr der Monumen-
talisierung oder Symbolisierung des Einfachen
nahe. In der Malerei wird im allgemeinen diese
Gefahr vermieden, weil es nicht so sehr auf das
Objekt wie auf das räumliche Bilden ankommt.
In der Fotografie jedoch führt die Vereinzelung
und Hervorhebung des Objekts, besonders bei
vielen Nachläufern, zu einer Steigerung ins Un-
sachliche; die Art der Darstellung appelliert an
Gefühl, an Erinnerung, an Literatur. Man darf
behaupten, daß damit die Fotografie einen ähn-
lich falschen Weg betritt, wie wenn sie durch
allzu malerisch tonige Behandlung des Drucks
ins Bildhafte im alten Sinn gerät.
Im neuen russischen Film begegnen wir einer
Erscheinung, die eine gewisse Ähnlichkeit mit
der hervorgehobenen Vereinzelung des Objekts
in der Fotografie aufweist. Aus der Sphäre der
Geschehnisse der Welt, die um den Menschen
und mit ihm sich ereignen, und der sozusagen
die körperliche Erscheinung des Menschen als
Maßstab zugrunde liegt, gleitet die Kamera
hinaus in die Welt der kleinen Objekte, so wie
in dem Potemkin-Film der Kneifer des Arztes
kurz gezeigt wird, nachdem sein Besitzer in das
Wasser geworfen ist, und im ,,Sturm über Asien"
die Goldfische erscheinen. Hans Richter deu-
tete kürzlich in seinem ausgezeichneten Auf-
satz über „Neue Mittel der Filmgestaltung" in
dieser Zeitschrift auf die Rolle des sonst im
Leben unbeachteten Objekts im Film hin. Er be-
zeichnet das in der Unterschrift zu den Bildern
aus dem ,,Ballet mecanique" von Leger als eine
Befreiung des alltäglichen Gegenstandes aus
Aus dem Film „Sturm über
**sien l^^^^^WjiBWWmMHlM^BWPMr?ffif^
105