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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Lotz, Wilhelm: Das Objekt im Film: zu Pudowkins "Sturm über Asien"
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0140

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seiner alltäglichen Bedeutung. Es möge hier
dahingestellt sein, wieweit man lediglich mit dem
Mittel des Objekts als filmischem Lebewesen
arbeiten kann. Im russischen Film ist das Objekt
nicht Alleindarsteller, denn es wird erst Lebe-
wesen durch seine Beziehungen zu der anderen
Welt, in der der Mensch als Maßstab steht.

Liegen nun, wenn das kleine Objekt des All-
tags als Akteur im Film auftritt, ähnliche Ge-
fahren wie in der Fotografie vor? Ohne Zweifel
würde mit der Zeit, wenn der Darstellung der
kleinen Objekte allzuviel symbolische Bedeutung
beigemessen wird, eine Ermüdung des Beschau-
ers gegenüber diesem Filmmittel eintreten, aber
es kommt hinzu, daß der Film gegenüber der Foto-
grafie stets das Existenzhafte der Objekte weni-
ger in Erscheinung treten läßt als ihre Funktion.
Vor allen Dingen gibt dieser Ablauf die Möglich-
keit, ständig maßstäbliche Beziehungen herzu-
stellen. Ein Film nur mit solchen Objekten wäre
ein interessanter Versuch, aber er würde auf
eine Vergötterung des Sachlichen hinauslaufen,
wenn er nicht immer wieder die maßstäbliche
Beziehung wenigstens ahnen ließe. Richter er-
wähnt in dem angezogenen Aufsatz sehr glück-
lich das Beispiel einer Türklinke. Wenn ich
dieses Objekt sich bewegen sehe, so habe ich
sofort die Beziehung zu dem Menschen, der es
bewegt. Richter hat etwas Ähnliches in einem
Vorspiel „Inflation" zu dem Ufa-Film „Die Dame
mit der Maske" versucht, bezeichnenderweise
werden dabei die Objekte — Papierscheine,
Münzen, Gesichter — durch das Tempo und die
Häufung des Objekthaften entkleidet und werden
Träger eines tollen Bewegungswirbels, den man
vielleicht gern manchmal durch filmische Cae-
suren in Form von ganz andersartigem Tempo
unterbrochen gesehen hätte.

Der russische Film gibt den Objekten oft eine
symbolische Bedeutung, aber diese Symbolik
tritt erst durch den Zusammenhang mit den
eigentlich wichtigen Vorgängen, denen andere
Maßstäbe zugrunde liegen, zutage. Man ruht da-
her nie auf dem Objekt aus. Diese Symbolik
aber, die damit erscheint, bezieht sich, vielleicht
abgesehen von einigen politisch-propagandisti-
schen Momenten, auf das Wesen des Films über-
haupt: auf den dargestellten Vorgang. Es ist
daher auch weniger literarisches oder roman-
tisches Symbol, sondern eine Art Projektion der
Vorgänge von der eigentlich uns interessierenden
Welt in eine maßstäblich kleinere. Erst der Zu-
sammenhang mit dem Geschehnis gibt der Exi-
stenz oder Bewegung des Objekts den Sinn.

Der Film des Regisseurs Pudowkin „Sturm
über Asien" ist ebenso wie Eisensteins „Panzer-

kreuzer Potemkin" ein Werk von großem künst-
lerischen Ausmaß. Wenn wir die besonderen
filmischen Mittel des modernen russischen Films
uns vergegenwärtigen, so dürfen wir nicht verges-
sen, daß das nur Mittel sind und daß das eigent-
lich Formende die gewaltige fanatische Kraft ist,
die hinter diesen Filmschöpfungen steckt und
die sich der Mittel mit genialer Leichtigkeit und
souveräner Sicherheit bedient. Einen mongoli-
schen Jäger zu einer solchen darstellerischen
Leistung zu bringen, wie es bei diesem Film
geschehen ist, dazu gehört eine Kraft der Sugge-
stion, wie sie bei den Regisseuren in Deutsch-
land und Hollywood kaum zu finden sein wird.
Mit dem Mittel allein wird, man möge sich darüber
gedanklich noch so klar werden, nie ein Film von
einem derartigen künstlerischen Ausmaß gedreht
werden. Aber jene Mittel, deren sich die Russen
bedienen, sind nicht nur bezeichnend für das
Wesen des russischen Films, sondern sind vor
allem so instinktiv gefundene, echte Mittel des
Films, daß es sich lohnt, über sie Klarheit zu
schaffen.

Eisenstein hat versucht, die Masse als Akteur
in den Film zu bringen, aber er ist genötigt, sie
immer gewissermaßen konzentriert in einzelnen
Typen zu zeigen. Wenn er eine erregte Volks-
masse zeigt, so springt er mit der Kamera von
der Masse auf eine typische Gestalt und dann
wieder auf die nächste. Das ist ein ähnliches fil-
misches Mittel wie jene vorhin geschilderte Rela-
tion von kleinem Objekt und filmisch wichtigem
Vorgang. Auch hier wieder werden uns verschie-
dene Maßstäbe vorgeführt und der eigentliche
Maßstab für uns ist die Erscheinung des Einzel-
menschen. Diese Relation der Maßstäbe, die
nicht hart abgegrenzt nebeneinander zu stehen
brauchen, sondern ineinander übergreifen kön-
nen, wie etwa bei der Volksmasse, wenn uns erst
der ganze wildbewegte Haufe gezeigt wird, dann
einzelne Typen und schließlich bewegte Gesich-
ter oder heftige Gesten, ist ein Darstellungsmit-
tel, das nur dem Film eigen ist.

Pudowkin holt die Masse kaum herein. Er zeigt
eigentlich nur einzelne charakteristische Vertre-
ter. Die „Weißen" bestehen aus vier oder fünf
Offizieren und einigen Soldaten. Die anderen
ahnt man oder sieht sie nur ganz gelegentlich.
Das Gleiche gilt von den Aufständischen. Der
Typus, der Vertreter der Idee, steht geradezu
als konzentrierter Ausdruck einer bestimmten
Anschauungssphäre im Vordergrund. Es gibt da-
her bei Pudowkin viel ausgesprochener als bei
Eisenstein Hauptdarsteller. Aber dennoch sind
es nicht Individuen, sondern scheinbar zufällig
aufgegriffene Menschen, die ihre Welt repräsen-

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