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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Esswein, Hermann: Gewerbliche Berufsschulen in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0701

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GEWERBLICHE BERUFSSCHULEN IN MÜNCHEN

Man mag erwägen, wie sich in diesem Zeitalter
der Technik und der ihm entsprechenden sozialen
und ökonomischen Situation Technik und Kunst,
Technik und Gewerbe zueinander stellen mögen, die
Kombination Technik und Kunstgewerbe ver-
dient heute jedenfalls keine andere Erwägung mehr
als eine ablehnende. Es sind zwei grundverschie-
dene Zeitalter und ihre weit auseinandergehenden
Bedürfnisse, die sich in dieser Wortverbindung von-
einander absetzen, denn alles was der jetzt auch
in der offiziellen Bezeichnung der einschlägigen
Schulen ausgetilgte Begriff Kunstgewerbe deckt,
gehört der Vergangenheit an.

Wir erfassen das Wesentliche der neuen Entwick-
lung, wie sie sich heute unter unseren Augen voll-
zieht, jedoch nicht, wenn wir auf die rückblickende
Betrachtung der nunmehr endgültig abgeschlosse-
nen, durch die Wirksamkeit der Kunstakademien und
der Kunstgewerbeschulen gekennzeichneten Epoche
verzichten. Bewährte Irrtümer des faktischen und
praktischen Lebensverlaufs sind meist viel lehrrei-
cher als alle Theorien, und der Mißerfolg unserer
akademischen Werkmannserziehung ist bewährt,
ist das unumstößliche Ergebnis einer Wirtschafts-
lage, die uns jeden Luxus auf mehr als ein
Menschenalter hinaus verbietet.

Der Fehlgriff der akademisch - künstlerischen
Werkmannserziehung entsprang dem Fehlgedanken
der letzten spätest - romantischen Epoche des
19. Jahrhunderts, dem übersteigerten Historizismus
und dem mangelnden Tatsachenblick jener Jahr-

zehnte, die ihre eben neu hervortretenden Eigen-
werte noch nicht erkannt hatten, die noch die Gas-
lampe, die ersten Bogenlampen als Renaissance-
kandelaber bildeten, das erste Automobil am lieb-
sten wieder als Postkutsche maskiert hätten. Die
allgemeine Geschichtsschwärmerei dieser spätest-
humanistischen und spätest-romantischen Bildungs-
welt sah keinen Augenblick die wirkliche Not der
Gewerbe, die in den politischen Wirren und wirt-
schaftlichen Krisen um die Jahrhundertmitte in Ver-
fall geraten, zum Teil schon die Beute einer eil-
fertigen Schluderindustrie geworden waren, sondern
sie glaubte ihrem fördernden und erhebenden Prin-
zip eine neue gesunde Welt zu erschließen.

Es war ungefähr so, wie wenn man ans Kranken-
bett statt des Arztes den Kostümschneider ent-
senden wollte, denn all die Zutaten an akademischer
Geschmacks- und Formenpflege, an Kunstmoden, die
unsere Gewerbe vom Altdeutsch über den Jugend-
stil bis zum Kubismus über sich ergehen lassen
mußten, vermochten den Verfall, das Schwin-
den der technologischen und technischen Gewis-
senhaftigkeit, das Vergessenwerden guter alter
Methoden, das Absterben des Fingerspitzengefühls
für material- und werkgerechte Arbeit nicht aufzu-
halten.

Nicht das Aufkommen der Maschine und der indu-
striellen Methoden, sondern allenfalls ihr Mißbrauch,
dem gerade die akademisch gedrillten Entwerfer, die
emsigen Kostümschneider im wesentlichen müßiger
Zierate, Vorschub leisteten, hat diesen Rückgang

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