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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Renner, Paul: Johanna von Orléans im Film
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0118

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JOHANNA VON ORLEANS IM FILM

Wir haben in Nr. 15, 3. Jahrgang der Form
Seite 432, diesen Film kurz besprochen,
geben aber gern noch den Ausführungen
Renners Raum, weil auch wir diesem Film
eine gewisse Bedeutung beimessen.

Die Bayrische Landesfilmbühne hat einem
kleinen Kreis geladener Gäste den französischen
Film „Johanna von Orleans" vorgeführt. Dieser
Film bezeichnet einen so bedeutsamen Abschnitt
in der Entwicklung der Filmkunst, daß auch an
dieser Stelle einige Bemerkungen am Platze
erscheinen.

Der DeTaitist des Lebens sieht im Kino eine
der vielen teuflischen Erfindungen, mit denen der
Mensch um seine Seele geprellt werden soll. Und
wenn wir an die Gesinnungslosigkeit, man darf
sagen, an die üble Gesinnung der meisten Filme
denken, können wir diese Sorge verstehen.
Doch wir wollen das Kino nicht dämonisieren.
Der Film ist eine neue Technik; er wird eine
neue Kunst sein, sobald diese neue Technik auch
geistig bewältigt, geistig erfüllt sein wird.
Wer einer neuen Technik Herr werden, wer in
ihr Künstler werden will, muß sich von allen Vor-
eingenommenheiten frei machen, die er aus älte-
ren Techniken mitbringt. Er muß die eigene,
eigengesetzliche Sphäre der neuen Technik auf-
spüren und ihre Gesetze erkennen und befolgen.
Film ist weder Theater noch Pantomime. Das
Kino, das noch immer so viel „Schundliteratur
für Analphabeten" produziert, wird in dem Maße
Kunst werden, als es den hoffnungslosen Ver-
such aufgibt, Literatur zu sein.

Film ist eine Art von Graphik: Kinematogra-
phie ; ist verwandt mit den lustigen Bilderfol-
gen von Rudolf Töpfer; ist aber zuallernächst
verwandt mit der Photographie. Auch sie ist ja
immer mehr Kunst geworden, je mehr sie den
Versuch aufgegeben hat, das zu ersetzen, was
man bisher allein Kunst nannte; je mehr sie dar-
auf verzichtet hat, Kunstersatz zu sein. Zeich-
nung und Malerei sind in der Tat durch die Photo-
graphie niemals zu ersetzen und so wenig er-
setzt worden wie Theater und Musik durch Film
und Radio.

Was wir heute als gekonnte, meisterhafte
Photographie bewundern, was wir als die auto-
nome Kunst des Lichtbildners anerkennen, ist

eine Photographie voller Selbstzucht und Be-
scheidenheit, und ist darin den ältesten Da-
guerreotypien verwandt; eine sachliche Photo-
graphie ohne die Samtjacke und Selbstherrlich-
keit der älteren Lichtbildkünstler. Der Photo-
graph kann nicht, wie der Zeichner oder Maler,
die Eurhythmie in die Natur hineintragen; er kann
nicht den Blick des Betrachtenden auf gewollten
Bahnen durch das Bild führen; er kann innerhalb
des Bildes das zu Beachtende nicht abheben
aus dem Gleichgültigen; er kann keine Akzente
geben und nichts einklammern im Sinne des Lie-
bermannschen Wortes: „Zeichnen ist weglas-
sen." Aber er kann in anderer Weise „weglas-
sen" und dies ist ein Geheimnis jedes Meister-
photographen: er zeigt nur das, was gesehen
werden soll. Dies ist seine einzige Möglichkeit,
das „Gemeinte" herauszuheben: er läßt alles
andere einfach fort. Renger-Pazsch etwa wirkt
durch diese Vereinzelung seiner Gegenstände.

Und dies ist ein Kunstmittel des Films, das
selten mit so sicherer Hand gebraucht worden
ist, wie in diesem Film, den der Däne Dreyer
gekurbelt hat. Alles, was noch an das alte Büh-
nenbild erinnert, gibt nur einen Index der Hand-
lung, wie es die Zwischentitel tun. Zum Miter-
leben gezwungen werden wir erst durch die
Großaufnahmen; sie beschränken den Gesichts-
kreis auf das Symbol der einen Geste, die eben
jetzt das Drama weiterführt. So werden im alten
japanischen Schauspiel die Blicke der Zuschauer
im Höhepunkt der Handlung auf den durch La-
ternenträger besonders hell beleuchteten Kopf
des Hauptakteurs gelenkt. — Diese über den
Schauplatz gleitende, aber immer nur das Ein-
zelne erfassende Optik des Films macht ihn zu
einer Kunst, die wie keine andere der Wirklich-
keit unseres Erlebens nahe kommt. Nur der träu-
mende, abwesende Blick hält ruhend still: das
aufmerksam beobachtende Auge ist seiner Natur
nach in rastloser Bewegung. Denn der deutliche
Teil unseres Blickfeldes, in dem wir wirklich auf-
nehmen, erfassen können, ist ein sehr viel klei-

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