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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Fries, Heinrich de: Das Tageblatt-Turmhaus in Stuttgart
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Doesburg, Theo van: Farben im Raum
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0056

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Erscheinungen der Baukunst in der Gegenwart,
die in einem so prägnanten Übergangsstadium
mehr oder weniger als unvermeidlich angesehen
werden müssen.

Die große Zurückhaltung und Beherrschung in
Zahl und Auswahl der baukünstlerischen Mittel
beim Tagblatt-Turm verdient in der Tat höchste
Anerkennung. Das vollständige Fehlen ornamen-
talen Beiwerkes beweist, daß auch ohne Fassa-
den-Artistik baukünstlerisch klar, rein und ein-
drucksstark verfahren werden kann; daß auf der
anderen Seite eben in der ruhigen Rhythmik
gleichartiger Stockwerksfolge Grundelemente
des Ornamentes unbewußte Anwendung finden,
sei nur angedeutet. Das einzige ,,echte" Orna-
ment des Tagblatt-Turmhauses ist der im Ober-
teil einer Seitenfront sichtbare springende
Hirsch, der in einer recht glücklich gelösten und
verhaltenen Form als Signet der Zeitung an
dieser Stelle sicherlich Geltungsrecht bean-
spruchen kann.

Was am Tagblatt-Turm vor allem bestrickt, das
sind die Tugenden der Anständigkeit seiner Hal-
tung, der Schlichtheit der künstlerischen Mittel

und die fast ideale Unaufdringlichkeit, mit der
das ganze bauliche Kunstwerk auftritt. Das
scheinbar Selbstverständliche ist noch immer
das Schwerste. Dieses Turmhaus ist so modern,
wie im Stuttgarter Stadtbild nur eben denkbar,
aber es ist nicht modisch, und darum wird auch
nach zwanzig Jahren noch achtungsvolle Aner-
kennung ihm nicht versagt werden können.

Die Innenräume waren zur Zeit meines Stutt-
garter Besuches noch nicht fertiggestellt, so daß
ich aus eigener Anschauung wenig darüber
sagen kann. Die Fotografien beweisen, daß die
ruhige und schlichte Selbstverständlichkeit der
äußeren Haltung in der inneren Ausstattung ihre
Fortsetzung gefunden hat. In der Raumauftei-
lung ist die relativ recht kleine Grundfläche des
Turmhauses sehr geschickt ausgenutzt. Und
eben diese geringen Ausmaße des verfügbaren
Bauplatzes waren es wieder, die zum Vertikal-
bau des Turmhauses überhaupt zwingenden An-
laß gaben. So schuf sich das Stuttgarter Neue
Tagblatt zur Sicherstellung seiner Aufwärts-Ent-
wicklung auf lange Sicht neuen Arbeitsraum.

H. de Fries

FARBEN IM RAUM

Die Gestaltung des Raumes ist ohne das Licht
undenkbar. Licht und Raum ergänzen sich. Für
die Architektur ist das Licht ein Gestaltungsele-
ment, und zwar das wichtigste. Der organische
Zusammenhang von Raum und Material ist
nur vermittels des Lichts möglich. Damit aber ist
Architektur noch nicht vollendet. Höchste Voll-
endung der Architektur ist nur dann möglich,
wenn auch das Licht Gestalt bekommt. Die
architektonische Gestaltung des Lichts aber ist
ohne die Farbe undenkbar. Farbe und Licht er-
gänzen sich. Ohne Farbe ist die Architektur aus-
druckslos, blind.

Dieser Wahrheit hat jede Epoche auf ihre
Weise, der Zeit gemäß, Ausdruck verliehen.
Auch wir, im zwanzigsten Jahrhundert, tun es
ebenfalls, und zwar auf unsre Weise. Wenn die
Rationalisten die Farbe vollständig ausschalten
wollen, so beweisen sie damit, daß sie niemals
die Bedeutung der Farbe als Architektur-

element, als Gestaltungsmaterie (genau wie
Holz, Eisen, Glas oder Beton) verstanden haben.
Es ist prinzipiell gleichgültig, ob es sich dabei
um „Farbanstrich" oder um die eigne Farbe der
Materialien handelt. Selbstverständlich wird die
Architektur durch die Anwendung der Farbe nicht
zur Kunst und es ist auch zu verstehen, warum
die radikalistischen und konstruktivistischen Ar-
chitekten nur mit den architektonischen Mitteln
auskommen wollen. Durch eine dekorative An-
wendung in der Architektur hatte man die Farbe
mißbraucht. Die Farbe ist aber den Menschen
ebenso unentbehrlich wie das Licht. In der
modernen Architektur verlangt die Fläche Bele-
bung, das heißt Gestaltung mittels „räumlicher",
reiner Farbe. Selbst dann, wenn vom Farb-
anstrich vollständig abgesehen wird, ist die rich-
tige Anwendung der modernen Materialien den-
selben Gesetzen unterworfen wie die Farbe in
Raum und Zeit. So wie die verschiedenen Far-

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