Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

DOI Artikel:
Riezler, Walter: Die "Bremen"
DOI Artikel:
Kollmann, Franz: Versuche zur technischen Formanalyse
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0729

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Schiff bevölkert, die richtige Form zu finden, —
im Gegensatz zu den früheren Lösungen, die die-
ser Gesellschaft den Wunschtraum der Gleich-
stellung mit der Adelsgesellschaft des 18. Jahr-
hunderts zu erfüllen suchte. Wenn irgendwo,
hat hier der Luxus und ein nicht immer ernsthaf-
tes Formenspiel seine richtige Stelle. Die Frage,
inwieweit diesem Formenspiel bleibende Bedeu-
tung zukommt, ist falsch gestellt. Hier handelt
es sich um Dinge, die nicht für die Ewigkeit be-
stimmt sind. Hier darf die „Mode" herrschen,
und die Lebensdauer auch eines solchen Schif-
fes ist begrenzt. Und auch wenn bald einmal
ein Ozeanschiff in der oben angedeuteten ganz
neuen Form ausgestattet werden sollte, wird man
ohne „modische" Elemente und ohne die Raffi-
niertheiten des Luxus nicht auskommen, — so-
lange es noch eine Gesellschaft gibt, die nach
Luxus verlangt.*)

Die äußere Form des Schiffes ist wieder das
Schönste. Die Linien des langgestreckten Rump-
fes sind vollkommen, und wenn sich hier wahr-
scheinlich alles Wesentliche aus den technischen
Bedingungen ergab, so gehörte zu der Gestal-
tung der sehr komplizierten Aufbauten zweifel-
los sehr große formende Kraft. Auch diese Auf-
gabe ist ausgezeichnet gelöst. Sogar die Reihe
der Rettungsboote, die sonst meistens als leider
nicht zu entbehrender Fremdkörper wirkt, fügt
sich ohne Künstelei lebendig in die Gestalt ein,
und die starke Kurvung der Kommandobrücke

*) Ein Werk über das gesamte Schiff erscheint demnächst im Verlag

hebt dieses wichtigste Organ klar und eindrucks-
voll hervor.

Ein Vergleich mit dem schon einige Jahre alten
italienischen Motorschiff ,,Saturnia" ist lehrreich.
Die „Bremen" wirkt wie eine Weiterbildung der
schon bei der „Saturnia" mit großer Entschie-
denheit erkannten Formtendenzen, wobei die
„Bremen" durch ihre größere Länge und Schlank-
heit von vornherein im Vorteil ist. Immerhin muß
man sagen, daß den Erbauern der „Saturnia" das
Verdienst gebührt, zuerst die Formung der Auf-
bauten im Zusammenhang mit dem Schiffsrumpf
ganz ernst genommen zu haben. Die geringe
Höhe des Schornsteins, der bei dem Motorschiff
ja nur die Abgase abzuleiten hat, ist eine beson-
dere Schönheit; früher hat die Vertikale der
Schornsteine stets die Einheitlichkeit der Form
gestört. Es ist möglich gewesen, dieses Motiv
bei der „Bremen", die als Dampfer mit öl-
feuerung mit einer stärkeren Rauchentwicklung
zu rechnen hat, zu übernehmen und hierdurch
die Doppelung der Schornsteine noch eindrucks-
voller zu machen. Glücklicherweise sind die Zei-
tungsnachrichten, wonach die Erfahrungen der
ersten Fahrt eine Verlängerung der Schornsteine
zur Folge hatten, falsch gewesen; es ist gelun-
gen, der Rauchbelästigung auch auf andere
Weise Herr zu werden. Daß man sich die Mühe
gab, beweist, wie wichtig man die Frage der
„Form"-in diesem Falle nimmt. Und das ist gut.

W. Riezler

F. Bruckmann A.G., München

VERSUCHE ZUR TECHNISCHEN FORMANALYSE

Die Schiffsfotos sind von dem Architekten Dr. Fritz Block, Hamburg, aufgenommen. Es ist interessant
zu sehen, wie hier ein Architekt ein bestimmtes Thema durchfotografiert

Der gründliche wissenschaftliche Versuch,
eine Ästhetik der Technik zu schreiben, müßte
bald auf beträchtliche Schwierigkeiten stoßen.
Dreierlei Gestalt kennt nämlich die Technik:
die natürlich bedingte, gleichsam gewachsene
Organform, die nach menschlichen Gesetzen ge-
baute Körperform und die Skelettform. Die tiefe
Wesensverschiedenheit dieser drei Möglichkei-
ten verhinderte lange Erkenntnis, ja sogar Wer-
den eines formalen technischen Weltbildes.
Ästhetische Maßstäbe, d. h. kunstgeschichtliche
Normen, galten nur für die Hülle, nie aber für
Organe und Skelett, die als selbständige Ein-
heiten allein den sezierenden Gelehrten inter-
essierten. Über die Biotechnik fanden die nüch-

ternen naturwissenschaftlichen Untersuchungen
Eingang zur Technik. Volkstümliche Darstellung
des Entdeckten bahnte dann zusammen mit den
Modeworten „Sachlichkeit" und „funktional"
neue Wege zum technischen Ausdruck. Freilich
wurden diese Wege meist ohne Ernst und Aus-
dauer begangen, viele auch enden im Gestrüpp
romantischer Fantasie.

Was nottut, wäre also das allgemeine Ver-
ständnis für die verschiedenen technischen Bil-
dungsarten und das Gefühl für ihre feinen Zu-
sammenhänge. Fördernd wäre ein Beispiel, das
die drei Formen getrennt und vereinigt enthält,
ihre Selbständigkeit und Abhängigkeit vor Augen
führt. Ein solches Beispiel ist das Schiff.

625
 
Annotationen