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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Riezler, Walter: "Form", Foto und Film
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0435

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„FORM", FOTO UND FILM

Die „Form" hat manche Unfreundlichkeit zu
hören bekommen, weil sie sich in den letzten
Heften wiederholt und eingehend mit den Pro-
blemen der Fotografie und des Films beschäftigt
hat. Ein Teil unserer Leser fand offenbar, daß
das unter unserer Würde sei. Nun ist zuzugeben,
daß in einer Zeitschrift, die es im übrigen mit den
Ergebnissen der „gestaltenden Arbeit" zu tun
hat, Fotos nur selten eine gute Figur machen —
aus dieser Erfahrung lassen sich wichtige
Schlüsse ziehen — und daß der Film seiner gan-
zen Natur nach einer Wiedergabe im ruhenden
Bilde widerstrebt, daß also alle Abbildungen, die
wir brachten, mehr wie sonst nur als Anweisung
auf die Erinnerung des Lesers gedacht waren.
Das hätte man aber merken können, und hätte
nicht zu vergessen brauchen, daß die Probleme
von Foto und Film heute nun einmal eine große
Bedeutung haben und daher von der „Form",
für die alles, was die Neugestaltung unserer Zeit
angeht, wichtig ist, füglich nicht übersehen wer-
den dürfen. Zumal da ja bekanntlich der Werk-
bund — oder vielmehr dessen „Aktivisten-
gruppe", die Württembergische Arbeitsgemein-
schaft — eben jetzt in Stuttgart eine große und
bedeutungsvolle Ausstellung über dieses Doppel-
thema veranstaltet hat, — eine Ausstellung, in
der sich jeder von der Vielgestaltigkeit und Wich-
tigkeit dieser Probleme überzeugen und mit ihnen
auseinandersetzen konnte.

Was die Fotografie anlangt, so stellte sich
die Ausstellung sehr entschieden in den Dienst
jener neuen Erkenntnis, die auch in diesen Blät-
tern schon da und dort zum Ausdruck gekommen
ist: daß es sich beim Foto nicht eigentlich um
ein ästhetisches Problem handle. Die moralische
Verpflichtung des Fotografen, als der objektive
Berichterstatter der Zeit aufzutreten und damit
ein so eindringliches und „richtiges" Bild dieser
Zeit festzuhalten, wurde in den eindrucksvollen
Inschriften des ersten, von Moholy Nagy einge-
richteten Saales sehr eindrucksvoll proklamiert,
und an der Wand eines anderen Saales war der
schöne Spruch Van Goghs zu lesen: „Ein Ge-
fühl für die Dinge als solche ist viel wichtiger als
ein Sinn für das Malerische." In der Tat konnte
man auf der Ausstellung sehen, wie reich die
Möglichkeiten einer Fotografie sind, die sich um
die Dinge dieser Welt kümmert, sei es rein aus

der Freude an der Schönheit und Vielgestaltig-
keit der Welt (Renger-Patzsch und Genossen),
oder aus der Pflicht des Berichterstatters und
des Gerichts. Im letzteren Falle mag es genü-
gen, wenn nur die größte dokumentarische Deut-
lichkeit erreicht ist, in der ja die Fotografie jeder
andern Darstellungsweise weit überlegen ist. Im
andern Falle gehört schon so etwas wie ein
„ästhetisches" Verhalten zum Objekt dazu, aber
nicht, um mit dem Foto den Eindruck eines Kunst-
werks zu erwecken, sondern nur im Sinne einer
ästhetischen Freude an der Natur, an der
„Schönheit der Welt", — an der sich zu freuen
trotz der Kritik in den „Blättern des Bauhauses"
immer noch erlaubt sein soll! Es ist der Blick
für den Reichtum der Naturformen, der den
guten Fotografen macht, und wenn auch noch so
viel „Technik" und auch subjektive Auffassungs-
gabe dazu gehören mag, so ist die Wirkung eines
derartigen Fotos doch ganz bestimmt da am größ-
ten, wo man an nichts anderes zu denken braucht
wie eben an das Stück Natur, das man vor sich
sieht, wo keine technische Raffiniertheit vom
„Was" auf das „Wie" ablenkt. In der Tat ist der
Reichtum der Welt durch diese neue, nur ihren
eigenen Gesetzen folgende Fotografie in ganz
wunderbarer Weise vervielfacht worden.

Daß die Wirkung, die von einer „guten", d. h.
nicht pseudokünstlerischen Fotografie ausgeht,
sich auf das Objekt, auf die Realität und nicht
auf den ästhetischen „Schein" bezieht, das
konnte man auf der Ausstellung besonders deut-
lich in den Räumen sehen, die der Fotografie im
Dienste der Propaganda jeder Art gewidmet wa-
ren. Die Eindruckskraft dieser Zeitungsblätter
und politischen Plakate, auf denen mit den Mit-
teln einer oft meisterhaft beherrschten „Foto-
montage" für irgendeine politische Überzeugung
geworben wird, ist unheimlich. Man hat eben da
diese Männer und Vorgänge so naturhaft vor
sich, wie es mit den Mitteln der Plakatzeichnung
niemals gelingen kann, und wenn diese Propa-
ganda nicht positiv, sondern negativ gemeint ist,
so ist es für den Betroffenen und Bekämpften
zehnmal schlimmer, wenn er in wohlgetroffenem,
gar nicht bösartigem fotografischen Konterfei in
irgendeine Situation gebracht ist (wie etwa der
Reichskanzler Müller mit dem Panzerkreuzer auf
den Armen), als wenn er in noch so bösartiger

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