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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Reitz, Adolf: Das Echo des Werkbund-Programms für die Internationale Ausstellung "Die neue Zeit"
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Bier, Justus: Der zweite Internationale Kongress für neues Bauen: zu seiner Tagung in Frankfurt a. Main
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0717

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glomerat Staat zu zerlegen und wiederum in der
Synthese durchleuchtet zu zeigen, ist eine Aufgabe
„des Schweißes der Edlen wert".

Und nun der Schlußstein, das bindende Schloß:
Ordnung der Welt, Menschheit. Eine Ausstellung
„Die Neue Zeit" ohne die Sehnsucht „Menschheit",
ohne den Blick „Menschheit" wäre Halbheit, wäre
nicht neue Zeit. Ausgleich ist ja nicht engpolitisch
zu verstehen, sondern wiederum vom Standpunkt
formender Kräfte, die über dem Menschen stehen.
Wirtschaft ist nicht bloß „die menschliche Methode,

in den Besitz der Güter zu gelangen und als solche
immer nur ein Mittel". Wirtschaft sind auch die Bin-
dungselemente, die bei der Erfassung natürlicher
Werte der Erde frei werden. Diese Bindungsele-
mente schaffen die Weltwirtschaft, schaffen mit an
der neuen Zeit, sind ein wesentlicher Bestandteil
der Zukunftsförderung. Sie wegzulassen bedeutet
ein gefährliches Vakuum im Luftraum der Aus-
stellung.

Darum: freie Fahrt der Ausstellung „Die NeueZeit".

Adolf Reitz

DER ZWEITE INTERNATIONALE KONGRESS FÜR NEUES BAUEN

Zu seiner Tagung in Frankfurt a. Main

Es ist bezeichnend für das Wesen der neuen
Architektur, daß ihre Probleme, nicht nur soweit
sie die technischen Voraussetzungen unseres Zeit-
alters betreffen, sondern auch seinen geistigen
Inhalt, in allen Ländern Europas und Amerikas die
gleichen sind. Diese Einheit war den Führern der
neuen Bewegung längst deutlich und auch für den
Laien aus der Ubereinstimmung in der Grundhaltung
aller Werke der neuen Architektur ersichtlich. Einen
äußeren Ausdruck aber fand sie erst, als im Sommer
1928 sich die Führer des neuen Bauens im Schloß
La Sarraz als Gäste der Frau de Mandrot, die ihr
Haus dem internationalen geistigen Austausch zur
Verfügung stellt, zusammenfanden. Aus jener ersten
Tagung ging jenes viel diskutierte Manifest hervor,
das den Begriff des neuen Bauens klarzulegen
suchte: seine Beziehungen zur wirtschaftlichen Ent-
wicklung, zu Technisierung, Rationalisierung und
Standardisierung, seine Forderungen an eine nicht
ästhetisch, sondern funktionell bestimmte Stadt-
(und Landesplanung, an die öffentliche Meinung
und den Staat im Sinne einer klareren Definition der
Wohnprobleme, der Vereinfachung und Verallgemei-
nerung der Wohnsitten und des Bruchs mit der Tra-
dition der zu teuren Wohnung, die gesunde Woh-
nungsmöglichkeiten des ärmeren Teils der Bevölke-
rung verhindert.

Schon damals war also jenes höchst aktuelle
Thema aufgenommen worden, das den Inhalt der
zweiten Tagung bildete, die auf Einladung der Stadt-
verwaltung in Frankfurt a. M. unter starker Beteili-
gung von Delegierten und Mitgliedern des Kongres-
ses aus 18 Ländern stattfand: „Die Wohnung für das
Existenzminimum." Auf der Grundlage vorher ver-
sandter Fragebogen wurden in zweitägigen Ver-
handlungen die biologischen und technischen An-
sprüche an die Kleinwohnung und die aus ihnen sich
ergebenden Konsequenzen für die neue Baugesetz-
gebung untersucht. Wie immer bei solchen Kongreß-
unterhandlungen war neben der persönlichen Füh-
lungnahme der Kongressisten das wesentlichste Er-
gebnis eine Klärung der Fragestellungen selbst, die
vor allem durch die Verschiedenheit der Gesetzge-
bung in den einzelnen Ländern sich komplizieren. Ein
dritter Tag brachte nach diesen internen Verhand-
lungen in öffentlichen Referaten einen Uberblick
über die Ergebnisse der Tagung. Der Präsident des
Kongresses Prof. Moser, Zürich, der ebenso wie

Berlage, der den Vorsitz der ersten Tagung ge-
führt hatte, zu den Senioren des Kongresses ge-
hört, sprach in klarer, eindringlicher Rede über die
Ziele des Kongresses wie des neuen Bauens über-
haupt. Anschließend gab Prof. G r o p i u s ein sozio-
logisch breit unterbautes Referat über die Bedingt-
heit der Wohnung durch die gesellschaftliche Struk-
tur mit ausgezeichneter Formulierung der Forderun-
gen, die an die heutige Wohnung der städtischen
Arbeiterbevölkerung mit ihrer zunehmend genossen-
schaftlichen Entwicklungstendenz zu stellen sind.
Hans Schmidt, Basel, ergänzte dieses Referat
durch die Klarlegung der Beziehung zwischen archi-
tektonischer Entwicklung und Gesetzgebung und der
Forderungen des Kongresses an diese: Reglemen-
tierung durch Erlaß von Verordnungen und Fachnor-
men an Stelle durch schwer wandelbare Gesetze.
Ihm folgte der Belgier Victor Bourgeois, der
Schöpfer der Cite moderne bei Brüssel, mit einer
Darlegung der hauswirtschaftlichen und technischen
Forderungen an die neue Wohnung. Den Schluß
machte May, der die aus Anlaß des Kongresses ver-
anstalteten Ausstellungen mit einer sehr frischen
lebendigen Rede eröffnete.

Den Kern dieser Ausstellungen bildet eine Uber-
schau über typische und wohntechnisch durchgebil-
dete Minimal-Wohnungsgrundrisse aus Europa und
Amerika. Sie ist von hervorragendem didaktischen
Wert, da auf jede bildmäßige Darstellung verzichtet,
die Aufgabe in übersichtlichster Darlegung der
Grundrisse — und soweit notwendig der Schnitt- und
Lagepläne — gesehen wurde, die sämtlich auf den
gleichen Maßstab 1 :10 gebracht in großen Tafeln
ausgehängt sind. Es ist vorgesehen dieses sehr
übersichtliche und vorzüglich auswertbare Material
durch Sigfried Giedion, den Sekretär des Kon-
gresses, in Buchform zusammenzufassen. Diese
Planausstellung wird erweitert durch Modelle der
konsequentesten neueren Zeilenbausiedlungen,
unter denen die im Werden begriffene Kasseler
Siedlung von Haesler und die soeben genehmigte
Gartenstadtgroßsiedlung Goldstein bei Frankfurt, ein
120-Millionen-Objekt, besonderes Interesse verdie-
nen, weiter durch in natura erstellte Muster der
wichtigsten Frankurter Minimalwohnungstypen.

Der Planausstellung ist angegliedert eine Ge-
dächtnisausstellung für den kürzlich auf der Insel
Baltrum verunglückten Adolf Meyer, der —

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