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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Renner, Paul: Die fünf Bedeutungen des Wortes Farbe
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Trillich, Heinrich: Der Stand der Farbtonordnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0122

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baren Würfelseiten wirklich verschieden; das ist
keine Sinnestäuschung, auch keine Veränderung der
ja durchaus lichtbeständigen Gegenstandsfarbe
(F 2) durch Licht, Schatten und Reflexe. Nichts ist
so unmittelbar gewiß als die Eigenart eben dieser
Erscheinungsfarbe, nichts ist uns so absolut gege-
ben wie dieses Empfindungsdatum Rot; es ist im-
manent, eine Welle im Strom unseres Erlebens. Da
wir aber Gegenstände wahrzunehmen gewohnt sind
und nicht erst aus Erscheinungsweisen auf Gegen-
stände zu schließen pflegen, wird es uns nur durch
einen auf dieses immanente Erlebnis gerichteten
Akt, also durch reflexive Blickrichtung möglich, die
Abstufung des Rot zu bemerken. Ja, wenn wir wis-
sen wollen, welche Farbe, welche Nüance diesem
roten Würfel wirklich zu eigen ist (im Sinne von F 2),
so werden wir mehr als die drei Erscheinungsfarben
befragen müssen, die sich uns in diesem Augen-
blicke bieten. Wir werden den Würfel hin- und her-
wenden; wir werden mit ihm ans Fenster gehen und
ihn bestimmt nicht beim künstlichen Licht allein be-
trachten. Jede Dingfarbe ist uns (wie auch jeder
Gegenstand) in Erscheinungsweisen gegeben und
bleibt der Wahrnehmung gegenüber transzendent;
objektiv-dingliche Eigenschaften sind nie auf den
ersten Blick und niemals vollständig zu erkennen.
Die Feststellung einer Dingfarbe, der Vergleich
zweier Oberflächenfarben ist bei ihren reichen Ab-
schattungsmöglichkeiten gar nicht so einfach: das
wissen die Verkäuferinnen in den Konfektionsge-
schäften, in den Seiden- und Tuchhandlungen
ebenso wie die Ätzer, Retuschöre und Maschinen-
meister in den Kunstanstalten und Druckereien. Da-
durch, daß wir um die Schwierigkeit wissen, ist sie
ja noch nicht behoben, aber wir können nun wenig-
stens nicht mehr von ihr überrascht werden. Wir
fragen im Leben immer nur nach der dinglichen
Farbe (F 2), nach der Lokalfarbe, die der Gegen-
stand wirklich hat. Das optische Weltbild antwortet
uns darauf nur mit Erscheinungsfarben (F 3). Wenn
wir die erste beste, also eine beliebige Erschei-
nungsfarbe als die Antwort auf unsere Frage nach
der Gegenstandsfarbe hinnehmen, verfallen wir
einem schweren und im gewerblichen Leben oft
kostspieligen Irrtum. Die Gegenstandsfarbe ist das
Beharrende, ist das Gesetz im Wechsel der Erschei-
nungsfarben und ist niemals die Erscheinungsfarbe
selbst.

F 4

Wenn wir uns aber fragen, welches Rot hat denn
nun dieser rote Würfel und von welchem Rot sind
denn diese drei Erscheinungsfarben auf den drei

sichtbaren Würfelflächen, so kommen wir zu einer
vierten Bedeutung des Wortes „Farbe". Weiß der
Himmel, es handelt sich hier nicht um haarspalteri-
sche Begriffsklaubereien! Auch die neuesten Far-
benlehren verfallen, weil sie vor dieser ersten
Schwierigkeit der Begriffsbestimmung zurück-
schrecken, in grobe Fehler, die sich der Zögling
einer mittelalterlichen Klosterschule nicht hätte er-
lauben dürfen. Ich sage etwa: das Rot dieses Wür-
fels ist dieselbe Farbe wie das Rot dieser Nelken
in der Blumenvase. „Dieselbe Farbe" — damit ist
jetzt keine der drei bisher aufgezeigten Bedeutun-
gen des Wortes gemeint. „Dieselbe Farbe" weist
hier nicht auf die (undenkbare) wirkliche Identität
zweier Oberflächen (F 2) hin, sondern auf die Zuge-
hörigkeit zur selben FARBENGATTUNG. Damit aber
treten wir vollends aus der raumzeitlichen Welt
heraus. In der realen Welt gibt es keine Dreiecke
im allgemeinen, keine Zahlen im allgemeinen und
auch keine Farbengattungen. Das Rot (wie 7 zwi-
schen 6 und 8 liegt), das ich meine, wenn ich sage:
Rot liege im Farbenkreise zwischen Orange und
Violett und liege Grün gegenüber, ist eine Idee, ist
ein besonderes Wesen. So wenig, wie die Idee
„gleichseitiges Dreieck, Kreis oder Quadrat" das-
selbe ist wie gezeichnete Kreise, Dreiecke oder
Quadrate, so wenig ist die Idee „neutrales Grau"
(der Mittelpunkt der Farben-Doppelpyramide) irgend-
ein Pigment oder irgendeine in der Welt befindliche
Oberfläche, der wir neutrales Grau zuschreiben oder
irgendeine „Empfindung". Neutrales Grau ist ja be-
kanntlich in der Wirklichkeit niemals anzutreffen,
obwohl wir uns doch in Gedanken darüber ganz klar
sind, was neutrales Grau ist.

F5

Neutrales Grau ist natürlich auch eine FARBEN-
spezies und wir könnten zum Schluß schnell noch
auf eine fünfte Bedeutung des Wortes Farbe hin-
weisen, welche Weiß, Grau und Schwarz als farb-
los, nichtfarbig ausschließt; und eigentliche „Farbe"
(F 5) nur den reinen Farben zuspricht. Diese fünfte
Bedeutung des Wortes „Farbe" ist gemeint, wenn
im Stadtbild, in der Herrenbekleidung und wo sonst
immer „mehr Farbe!" gefordert wird. „Farbig" im
Sinne von F 5, also reinfarbig, bedeutet nicht ohne
weiteres bunt. Ein Bild, ein Teppich, mit starken
reinen Farben muß nicht bunt sein. Bunt bedeutet
im üblichen Sprachgebrauch ein nicht ganz durch-
geistigtes, nicht einheitliches Durcheinander, ein
Kunterbunt von reinen Farben.

Paul Renner

DER STAND DER FARBTONORDNUNG

Die während der Kriegsjahre von W. Ostwald aus-
gearbeitete Farbenordnung ist nach ihrem allgemei-
neren Bekanntwerden von 1921 an nicht unbestrit-
ten geblieben. In theoretischer Beziehung hat ihr
Kohlrausch, Graz, nachgewiesen, daß sie auch nicht
mehr leiste als die Dreifarbenordnung. In syste-
mologischer Beziehung habe ich auf verschie-

dene organische Fehler aufmerksam gemacht; in
stofflicher Beziehung wurde die Lichtunechtheit der
gewählten Teerfarbstoffe als höchst bedenklich be-
zeichnet. Schon die 3. Münchner Farbentagung 1921
schloß daher nicht mit der beantragten Annahme des
Ostwald-Systems, sondern mit dem Beschluß, daß
die Farbenlehre weiterer Prüfung bedürfe.

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