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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Renner, Paul: Die fünf Bedeutungen des Wortes Farbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0121

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diese Schriftformen vermitteln, aufs tiefste erschüt-
tert würde.

Wie die Natur um uns, so ist jedes Ding farbig,
das der Mensch herstellt. Aber er schenkt auch
ihrer Farbigkeit nicht die genügende Beachtung. Die
erstaunliche Meisterschaft der Natur bewährt sich
in jeder Form und in jeder Farbe; die farbigen Miß-
klänge kommen erst durch die vom Menschen künst-
lich gefärbten Dinge in die Welt. Der Mensch ver-
sagt hier durch Gedankenlosigkeit und ebensooft
durch die dummen Gedanken, die er sich macht.
Schon der Sprachgebrauch, der doch sonst so oft
alte Kenntnisse aufbewahrt, die wir schon wieder
vergessen haben, beweist, wie wenig der Mensch
bisher über die Farbe nachgedacht hat. „Geliebte
Kinder haben viel Namen" heißt es; aber hier muß
ein Name gleich fünf offenbar ungeliebten Kindern
genügen. Denn wir bezeichnen mit dem einen Wort
nicht etwa verschiedene Erscheinungsweisen einer
Sache, sondern wörtlich ganz verschiedene Dinge:
und mancher erbitterte Streit in den alten Farben-
lehren und manche peinliche Verlegenheit in den
neuen haben ihren Grund nur in der unverstandenen
Vieldeutigkeit dieses Wortes Farbe.

F1

Farbe kann einen KÖRPERLICHEN GEGENSTAND
IN DER REALEN, RAUMZEITLICHEN WELT bedeu-
ten. Diese „Farbe" (F 1) kommt in Stücken oder als
Pulver vor, mit oder ohne Bindemittel, teigig oder
flüssig. Sie wird in Kisten, Säcken, Schachteln, Glä-
sern oder Tuben verpackt und unter allen möglichen
Namen, die auf Herkunft oder chemische Zusammen-
setzung hinweisen, in „Farbenhandlungen" feilgebo-
ten. Wenn man jedes Mißverständnis vermeiden will,
spricht man nicht von „Farbe", sondern von Farb-
stoff oder Pigmenten. Man trägt diese „Farbe" in
dünner Schicht auf andere Gegenstände auf, man
„färbt", indem man mit flüssiger „Farbe" andere
Gegenstände durchtränkt.

F 2

Auf meinem Schreibtisch steht vor mir ein Würfel
aus Pappe, der mit rotem Papier überzogen ist. Der
Würfel hat die Farbe des Papieres, mit dem er be-
klebt ist, und somit auf allen sechs Seiten die
gleiche rote Farbe. Der Würfel verliert diese Farbe
nicht, wenn ich ihn jetzt in einer Schublade ver-
schließe. Wir können ihn dann nicht mehr sehen:
doch wissen wir ja, daß er seine rote Farbe unver-
ändert auf allen sechs Seiten behält, und wenn
ich ihn wieder aus dem Schrank nehme, können wir
uns davon jederzeit durch Augenschein überzeugen.
Der Würfel behält diese rote Farbe des Papieres,
mit dem er beklebt ist, auch in einer Dunkelkammer,
die von einer roten oder grünen Lampe schwach
beleuchtet ist. Wenn ich an der Gleichmäßigkeit
dieser Farbe etwas zerstören wollte, müßte ich ihn
etwa einige Wochen hindurch auf der Fensterbank
der Sonne aussetzen; das hielte auch ein lichtbe-
ständig gefärbtes Papier nicht aus. Farbe ist also
in dieser zweiten Bedeutung des Wortes nicht wie
in der ersten ein dreidimensionales Ding, der Körper,
von dem jetzt die Rede war, ist ja nicht „Farbe",
sondern der mit Papier überzogene Pappwürfel.
„Farbe" ist hier eine Eigenschaft dieses Pappwür-

fels, also eine EIGENSCHAFT EINES KÖRPERLI-
CHEN GEGENSTANDES IN DER RAUMZEITLICHFN
WELT; und zwar eine dauernde, dem Gegenstande
zugehörige, objektive Eigenschaft. Der Körper IST
nicht Farbe, er HAT Farbe, er ist farbig. Wenn wir
diese zweite Bedeutung des Wortes vor Mißver-
ständnissen schützen wollen, sprechen wir von Ge-
genstandsfarbe, Lokalfarbe, Dingfarbe. Im beson-
deren Falle unseres Würfels würde der Physiker
von roter Oberflächenfarbe sprechen; von dem ge-
samten auffallenden Licht wird nur das langwellige
zurückgeworfen, das kurzwellige verschluckt. Diese
Eigenschaft haftet dem Gegenstande unveränder-
lich an; unberührt von der Beschaffenheit des auf-
fallenden Lichts und unabhängig davon, ob der
Mensch das bemerkt oder nicht. Diese Eigenschaft
„Farbe" bliebe dem Gegenstand auch dann noch,
wenn alle Menschen blind oder farbenblind wären.

F 3

Farbe ist nun aber in einer dritten Bedeutung des
Wortes etwas, was nur durch mein Sehen zustande-
kommt: was sich nur in meinem Erleben vorfindet.
Wir betrachten noch einmal den roten Pappwürfel
auf meinem Schreibtisch, aber jetzt nicht mit der
unbefangenen Einstellung des natürlichen Men-
schen, der in einer Welt der Dinge lebt; sondern
wir sehen ihn uns einmal an, wie ein Maler, der ein
Stilleben malen will, also „mit den Augen blinzelnd"
(nach der Vorschrift von Lovis Corinth). Und da
entdecken wir dann, daß die drei Würfelflächen,
die wir mit einem Blick erfassen können, drei Ab-
stufungen von Rot zeigen, obwohl wir uns noch eben
darüber einig waren, daß der Würfel auf seiner gan-
zen Oberfläche die gleiche Farbe habe. Wie kann
aber ein Gegenstand zugleich nur eine einzige und
doch zugleich drei verschiedene Farben haben?
Offenbar nur dann, wenn man unter dem Worte
„Farbe" in dem einen Falle etwas ganz anderes ver-
steht als in dem andern.

Für diese dritte Bedeutung des Wortes „Farbe"
gibt es aber keine gute Bezeichnung. Wenn wir
„Erscheinungsfarbe" sagen, so dürfen wir uns da-
durch nicht irre machen lassen, daß wir uns bei einer
Erscheinung immer schon das Erscheinende gegen-
ständlich vorstellen; wenn wir „Empfindungsdatum"
sagen, so dürfen wir nicht den Ort dieser „Empfin-
dung" (die doch nur eine Fiktion ist), in unseren
Sinnesorganen suchen; und wir dürfen auch nicht
in den Fehler einer älteren Psychologie verfallen,
die in diesen Empfindungen die Bausteine sah, aus
denen sich unsere Wahrnehmungen zusammenfügten
wie unter Kinderhänden die Architektur der Stein-
baukästen. Auf diesem morschen Grunde ist die
Theorie des Impressionismus errichtet; auf diesem
Irrglauben an ein isolierbares, zu abstrahierendes
Erlebnis: „farbige Empfindung", also auf einer fal-
schen von der Wissenschaft heute richtiggestellten
Deutung des Wahrnehmungserlebnisses sind die
meisten Theorien über die „Farbe" aufgebaut. Der
Impressionismus hat trotz der falschen Theorie die
bedeutendste Malerei des letzten Jahrhunderts her-
vorgebracht, weil höchste Logik und Intelligenz des
Auges mit einer erstaunlichen Unfähigkeit zum dis-
kursiven Denken verbunden sein kann.

Die „Erscheinungsfarbe" (wir werden das Wort
nicht mehr mißverstehen) ist auf den drei jetzt sicht-

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