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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Renner, Paul: Praktische Vorschläge zum Farben-Unterricht
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Schwab, A.: Runschau in der Bauwirtschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0468

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zelnen Farben, die hier möglich sind, treten in einer
noch schärferen Charakterisierung auseinander.

Aber die Aufgabe, die der Schüler damit löst, tritt
an den Drucker jeden Tag heran, wenn er bei einer
zweifarbigen Drucksache für das gegebene farbige
Papier — auch jedes weiße Papier ist ja doch ein
wenig farbig — die Druckfarben zu wählen hat.
Denn vom Papier aus, vom Untergrund aus, muß ja
jede Farbe bestimmt werden. Und so haben wir
vielleicht als das oberste Gesetz, das jeder künst-
lerischen Wirkung der Farbe zugrunde liegt, ein Ge-
setz gefunden, das sehr allgemeine Geltung hat. Und
wir wollen es zum Schluß noch einmal formulieren:

Wenn uns irgendwo in der Natur oder in der Kunst
eine Farbe von besonderem Adel begegnet, so wer-
den wir immer finden, daß diese seltsame, vorher
noch nie gesehene Schönheit nicht selbstherrlich
von ihr allein ausgeht, obwohl sie wirklich auf den
ersten Blick nur ihr allein innezuwohnen scheint.
Ihre Wirkung ist vielmehr immer vorbereitet, sie
wächst wie ein Edelstein aus der Matrix, sie ist nicht
mehr als die schwingende Saite auf dem tönenden
Holz, ohne dessen Resonanz es keinen Klang gäbe.
Aber so ist ja auch jede geistige Wirkung nur dort

MÖGLICH, wo eine geistige Wirkung GEFORDERT
wird. Ein Schauspieler kann nur hinreißen, wenn
jeder im Publikum etwas von der Vorform des
Schauspielers in sich hat. Politische Führung ist
nur in einem Volke möglich, in dem jeder etwas
von der Verantwortung, von der geistigen Aktivität,
von der Vorform des Führers in sich hat. Ein neuer
Baustil ist nur dort möglich, wo eine neue Gesinnung
lebendig ist, in einer Stadt etwa, welche mit Binding
fühlt und bekennt: „Das Tote ist nicht in der Seele
der Zeit, von Vergangenem ist sehr wenig darin, und
sehr viel Zukunft ist in ihr." Ein neuer Baustil ist
aber nicht möglich, wo statt dessen die Skepsis der
Siebenmalweisen herrscht, die ja im Grunde nichts
anderes ist als der sterile Unglaube des ewig ver-
zagten Spießers.

Und so mag dieses die Summa jeder Farbenlehre
sein: daß ein aktives Einzelnes nur dann zu wirken
vermag, wenn es für ein Ganzes Zeugnis ablegt; für
ein Ganzes, das nicht passiv ist, sondern mit der
ihm zukommenden (dürfen wir sagen weiblichen?)
Aktivität darauf brennt, Farbe zu bekennen.

Paul Renner

RUNDSCHAU IN DER BAUWIRTSCHAFT

400000 Wohnungen pro Jahr!

Der Wohnungsausschuß des Reichstages hat dem
Plenum einen Bericht vorgelegt, der in der kommen-
den Herbstsession auf die Tagesordnung kommen
soll, inzwischen aber schon in der breitesten Öffent-
lichkeit diskutiert zu werden verdient. Es handelt
sich um die sogenannten Reichsrichtlinien
für den Wohnungsbau; von einem Teil des
Berichts war schon in Heft 13 die Rede. Inzwischen
liegen in der Reichstagsdrucksache 1171 unter an-
deren die Zahlen des deutschen Wohnungsbedarfs
vor, und diese Zahlen wirken schlechthin alar-
mierend.

Die Fachleute des Statistischen Reichsamts, des
Instituts für Konjunkturforschung, des Reichsar-
beitsministeriums haben an dieser Bedarfsstatistik
mitgewirkt, die Ausschußmitglieder, sonst in vielen
Punkten uneinig, haben sie als richtig — und in der
Mehrheit noch als teilweise zu niedrig — anerkannt.
Die Zahlen werden also, wenn es auch nur Schätzun-
gen sind, doch wohl das Zuverlässigste sein, was
gegenwärtig an Schätzungen möglich ist.

Sie besagen in Kürze folgendes:

1. Alter Fehlbedarf: 500 000 Wohnungen, stammt
aus lokaler Wohnungsnot der Vorkriegszeit, aus
mangelnder Bautätigkeit seit Kriegsbeginn (diese
eine Zahl stammt nur von der Regierung, der Aus-
schuß hat sie offen gelassen);

2. Ersatzbedarf: 300 000, dazu jedes Jahr weitere
30 000 Wohnungen, entsteht aus der Notwendig-
keit, abbruchreife Wohnungen, schlecht gebaute
Not- und Behelfswohnungen zu ersetzen, der Aus-
schuß hält Beschleunigung für dringlich;

3. Sanierungsbedarf: Zu erschließen aus der Fest-
stellung, daß 8—900 000 Wohnungen mit 5,5 Mil-
lionen Bewohnern (also 8,5 v. H. der Bevölkerung!)
überbelegt sind; der Schluß — den der Ausschuß
leider nicht zieht — ist, daß etwa 300 000 neue
Wohnungen nötig sind, um menschenwürdige Ver-
hältnisse zu schaffen;

4. Umsiedlungsbedarf: 160 000 Wohnungen jährlich
aus Anlaß von Industrie-Umsiedlungen, 15 000 für
landwirtschaftliche Ansiedlung; schätzt man, daß
hiervon nur 25 v. H. Neubedarf ist, während im
übrigen andere Wohnungen frei werden, so blei-
ben noch immer jährlich 43—44 000 Wohnungen
zu bauen;

5. Neubedarf, auf Grund der Bevölkerungsbewegung,
bis 1930 je 225 000, 1931—35 je 250 000,
1936—40 je 190 000 Wohnungen.

Das ganze Programm ist auf diese Zeit bis ein-
schließlich 1940 eingestellt. Jeder kann sich aus
den angegebenen Zahlen ausrechnen, daß für die
nächsten 12 Jahre insgesamt ein Bedarf von min-
destens 4,6 Millionen Wohnungen herauskommt.

Das heißt, daß pro Jahr im Durchschnitt etwa
400 000 Wohnungen errichtet werden müßten. Wohl-
gemerkt, Kleinwohnungen für die breiten Massen
der Bevölkerung.

Um die Größe des Problems zu beleuchten, noch
zwei andere Zahlen: in den Jahren 1927 und 1928
wurden tatsächlich errichtet je rund 290 000 Woh-
nungen — also je 100 000 oder zu wenig! — und
dazu wurden an öffentlichen Mitteln je etwa 1,5 Mil-
liarden Mark aufgewandt.

A. Schwab

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