BAUPOLITIK UND BAUWIRTSCHAFT
Um Reichstag und Schloß Bellevue.
Wer ist Bauherr in der Reichshauptstadt? Man
darf nicht aufhören, diese Frage zu stellen. Woche
für Woche bietet sich neuer Anlaß. Auch mit dem
Anbau für den Reichstag soll es offenbar nach der
alten Devise gehen: jeder für sich, Gott für uns alle.
Das war schon bei dem Wettbewerb so, der ohne
allen Zusammenhang mit der Umgebung und ihren
Zukunftsproblemen (Lehrter Bahnhof, Zellengefäng-
nis, Ministergärten) ausgeschrieben wurde. Das Er-
gebnis war so, wie man es danach eben erwarten
konnte. Inzwischen sind wenigstens einige dieser
Probleme ins Rollen gekommen; das Moabiter Ge-
fängnis soll weg, der Landesausstellungspark wird
aufgegeben, die Reichsbahn plant entscheidende
Änderungen am Lehrter Bahnhof, mit dem Schloß
Bellevue ist etwas los. Alles das in nächster Nähe
des Reichstags. In dieser Situation, die nach einer
zusammenfassenden Planung des ganzen Viertels
schreit — was tut unser oberster Souverän? Er, d. h.
sein Planungsausschuß, macht für den notwendigen
Anbau einen beschränkten Wettbewerb, zu dem die
Preisträger des ersten Wettbewerbs und sechs wei-
tere Architekten eingeladen werden sollen. Wer
soll diese sechs vorschlagen? Der Reichsausschuß
für das Wettbewerbswesen, der aus Vertretern des
Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-
Vereine und des Bundes Deutscher Architekten zu-
sammengesetzt ist. Unter den letzteren sind drei
angestellte Syndici des BDA und zwei Architekten,
darunter Herr Schluckebier, dessen verdienstvolle
Tätigkeit sich ganz auf die Hebung der wirtschaft-
lichen Lage der freien Architekten begrenzt. Die
Syndici, wen anders können sie vorschlagen als ihre
Chefs? Wer von den Vorschlagsberechtigten hat
sich schon mit Städtebau beschäftigt? Wer hat je
ein Wort zu den Zusammenhängen zu sagen gewußt,
in denen allein diese Aufgabe richtig gestellt werden
kann?
Der Reichstag hält sich natürlich an die Körper-
schaft, die von den Fachverbänden nun einmal für
Wettbewerbe geschaffen ist. Aber er weiß nicht,
daß die Aufgabe dieser Körperschaft eine ganz
andere ist: nämlich die Vertretung wirtschaftlicher
Standesinteressen, daß sie dagegen niemals berech-
tigt sein kann, ein sachliches Urteil über die Befähi-
gung von Architekten abzugeben. Die Geschichte
früherer Berliner Wettbewerbe, zuletzt noch die Ge-
schichte des sog. „Palais Kisch", sollte genügen, um
vor solchen verfehlten Entschlüssen zu warnen.
Vielleicht findet sich im Hohen Hause doch noch
jemand, der sich an eine gewisse Ausstellung im
Sommer 1927 erinnert, wo in zahlreichen Plänen und
Zeichnungen die Projekte wirklicher Fachleute, so
von Hugo Häring, Poelzig, Hilberseimer
über die künftige Gestaltung des Berliner Regie-
rungsviertels zu sehen waren. Das ist um so mehr
zu hoffen, als gleichzeitig auch mit dem Schloß
Bellevue etwas im Gange ist. Man weiß nur nicht
was. Hier ist es wieder einmal nicht das Reich,
sondern Preußen, das zu befinden hat, und natür-
lich geht auch Preußen ebenso seinen eigenen Weg
wie jede einzelne Reichsinstanz, wie die Reichs-
bahn und die Stadt. Der Amtliche Preußische
Pressedienst hat zwar die Meldungen, daß das
Schloß abgerissen und an seiner Stelle ein Hotel
gebaut werden solle, als phantastisch bezeichnet,
ließ aber durchblicken, daß etwa die Umgestaltung
zu einem Palais des Reichspräsidenten im Rahmen
der würdigen Verwendungsmöglichkeiten liege.
Andere wollen wissen, daß zwar kein Abbruch, wohl
aber die Umgestaltung zu einem geschlossenen
Hotel für die Reichstagsabgeordneten in Frage
komme. Alles diskutabel, aber bitte: nur im Zusam-
menhang mit allen andern schwebenden Fragen,
Nord-Südbahn, Reichstagsanbau, Zollhof, Zukunft
des Moabiter Stadtteils, Verlegung der Kopfbahn-
höfe usw. Und bitte unter Vermeidung weiterer
Wettbewerbsskandale.
A propos Wettbewerbe.
Als für die Bebauung des Geländes der Bauaus-
stellung in Berlin-Witzleben ein Wettbewerb ge-
macht wurde, gewann der Architekt Leo Nacht-
licht den ersten Preis. Damals unter allgemeiner
Zustimmung. Es war seit langem der erste Wettbe-
werb in Berlin, dessen Durchführung unbeanstandet
blieb. Inzwischen hat sich die Welt gedreht, und
jetzt heißt es plötzlich, die Ausführung werde wohl
nicht dem damaligen Preisträger, sondern einem
andern Architekten übertragen werden. Bei der
Bauausstellung hat eine Intervention des BDA
Brandenburg stattgefunden, doch scheint ihr kein
rechter Erfolg beschieden gewesen zu sein. Warum?
War sie nicht energisch genug? Bestanden Hem-
mungen mit Rücksicht auf die Person dessen, der
an Stelle des ersten Preisträgers zur Ausführung
in Aussicht genommen ist? Und wo bleibt hier, wo
er am Platze wäre, der „Reichsausschuß für das
Wettbewerbswesen"?
Noch einmal Völkerbundspalast?
Der ganze Kampf um den Völkerbundspalast war
vergebliche Liebesmüh. Jetzt hat man heraus, daß
für den Bau ein anderes Gelände gewählt werden
muß, nicht das, das beim Wettbewerb vorgesehen
war. Die Fünferkommission des Völkerbundsrates
fordert daher die mit einem ersten Preis ausgezeich-
neten Teilnehmer des ersten Wettbewerbs auf, noch
einmal ein Projekt zu machen. Prof. Fahrenkamp,
dessen gemeinsam mit Stadtbaurat Deneke ausge-
arbeiteter Vorschlag einen ersten Preis erhalten
99
Um Reichstag und Schloß Bellevue.
Wer ist Bauherr in der Reichshauptstadt? Man
darf nicht aufhören, diese Frage zu stellen. Woche
für Woche bietet sich neuer Anlaß. Auch mit dem
Anbau für den Reichstag soll es offenbar nach der
alten Devise gehen: jeder für sich, Gott für uns alle.
Das war schon bei dem Wettbewerb so, der ohne
allen Zusammenhang mit der Umgebung und ihren
Zukunftsproblemen (Lehrter Bahnhof, Zellengefäng-
nis, Ministergärten) ausgeschrieben wurde. Das Er-
gebnis war so, wie man es danach eben erwarten
konnte. Inzwischen sind wenigstens einige dieser
Probleme ins Rollen gekommen; das Moabiter Ge-
fängnis soll weg, der Landesausstellungspark wird
aufgegeben, die Reichsbahn plant entscheidende
Änderungen am Lehrter Bahnhof, mit dem Schloß
Bellevue ist etwas los. Alles das in nächster Nähe
des Reichstags. In dieser Situation, die nach einer
zusammenfassenden Planung des ganzen Viertels
schreit — was tut unser oberster Souverän? Er, d. h.
sein Planungsausschuß, macht für den notwendigen
Anbau einen beschränkten Wettbewerb, zu dem die
Preisträger des ersten Wettbewerbs und sechs wei-
tere Architekten eingeladen werden sollen. Wer
soll diese sechs vorschlagen? Der Reichsausschuß
für das Wettbewerbswesen, der aus Vertretern des
Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-
Vereine und des Bundes Deutscher Architekten zu-
sammengesetzt ist. Unter den letzteren sind drei
angestellte Syndici des BDA und zwei Architekten,
darunter Herr Schluckebier, dessen verdienstvolle
Tätigkeit sich ganz auf die Hebung der wirtschaft-
lichen Lage der freien Architekten begrenzt. Die
Syndici, wen anders können sie vorschlagen als ihre
Chefs? Wer von den Vorschlagsberechtigten hat
sich schon mit Städtebau beschäftigt? Wer hat je
ein Wort zu den Zusammenhängen zu sagen gewußt,
in denen allein diese Aufgabe richtig gestellt werden
kann?
Der Reichstag hält sich natürlich an die Körper-
schaft, die von den Fachverbänden nun einmal für
Wettbewerbe geschaffen ist. Aber er weiß nicht,
daß die Aufgabe dieser Körperschaft eine ganz
andere ist: nämlich die Vertretung wirtschaftlicher
Standesinteressen, daß sie dagegen niemals berech-
tigt sein kann, ein sachliches Urteil über die Befähi-
gung von Architekten abzugeben. Die Geschichte
früherer Berliner Wettbewerbe, zuletzt noch die Ge-
schichte des sog. „Palais Kisch", sollte genügen, um
vor solchen verfehlten Entschlüssen zu warnen.
Vielleicht findet sich im Hohen Hause doch noch
jemand, der sich an eine gewisse Ausstellung im
Sommer 1927 erinnert, wo in zahlreichen Plänen und
Zeichnungen die Projekte wirklicher Fachleute, so
von Hugo Häring, Poelzig, Hilberseimer
über die künftige Gestaltung des Berliner Regie-
rungsviertels zu sehen waren. Das ist um so mehr
zu hoffen, als gleichzeitig auch mit dem Schloß
Bellevue etwas im Gange ist. Man weiß nur nicht
was. Hier ist es wieder einmal nicht das Reich,
sondern Preußen, das zu befinden hat, und natür-
lich geht auch Preußen ebenso seinen eigenen Weg
wie jede einzelne Reichsinstanz, wie die Reichs-
bahn und die Stadt. Der Amtliche Preußische
Pressedienst hat zwar die Meldungen, daß das
Schloß abgerissen und an seiner Stelle ein Hotel
gebaut werden solle, als phantastisch bezeichnet,
ließ aber durchblicken, daß etwa die Umgestaltung
zu einem Palais des Reichspräsidenten im Rahmen
der würdigen Verwendungsmöglichkeiten liege.
Andere wollen wissen, daß zwar kein Abbruch, wohl
aber die Umgestaltung zu einem geschlossenen
Hotel für die Reichstagsabgeordneten in Frage
komme. Alles diskutabel, aber bitte: nur im Zusam-
menhang mit allen andern schwebenden Fragen,
Nord-Südbahn, Reichstagsanbau, Zollhof, Zukunft
des Moabiter Stadtteils, Verlegung der Kopfbahn-
höfe usw. Und bitte unter Vermeidung weiterer
Wettbewerbsskandale.
A propos Wettbewerbe.
Als für die Bebauung des Geländes der Bauaus-
stellung in Berlin-Witzleben ein Wettbewerb ge-
macht wurde, gewann der Architekt Leo Nacht-
licht den ersten Preis. Damals unter allgemeiner
Zustimmung. Es war seit langem der erste Wettbe-
werb in Berlin, dessen Durchführung unbeanstandet
blieb. Inzwischen hat sich die Welt gedreht, und
jetzt heißt es plötzlich, die Ausführung werde wohl
nicht dem damaligen Preisträger, sondern einem
andern Architekten übertragen werden. Bei der
Bauausstellung hat eine Intervention des BDA
Brandenburg stattgefunden, doch scheint ihr kein
rechter Erfolg beschieden gewesen zu sein. Warum?
War sie nicht energisch genug? Bestanden Hem-
mungen mit Rücksicht auf die Person dessen, der
an Stelle des ersten Preisträgers zur Ausführung
in Aussicht genommen ist? Und wo bleibt hier, wo
er am Platze wäre, der „Reichsausschuß für das
Wettbewerbswesen"?
Noch einmal Völkerbundspalast?
Der ganze Kampf um den Völkerbundspalast war
vergebliche Liebesmüh. Jetzt hat man heraus, daß
für den Bau ein anderes Gelände gewählt werden
muß, nicht das, das beim Wettbewerb vorgesehen
war. Die Fünferkommission des Völkerbundsrates
fordert daher die mit einem ersten Preis ausgezeich-
neten Teilnehmer des ersten Wettbewerbs auf, noch
einmal ein Projekt zu machen. Prof. Fahrenkamp,
dessen gemeinsam mit Stadtbaurat Deneke ausge-
arbeiteter Vorschlag einen ersten Preis erhalten
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