Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0649
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Schmidt, Walther; Reitz, Adolf: Kritische Betrachtung zum Programm der Werkbundausstellung Köln 1932
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RUNDSCHAU
1932
Die beiden folgenden uns zugegangenen Ausführungen zu dem von Ernst "Jäckh aufgestellten
Programm für die Internationale Werkbund-Ausstellung „Die Neue Zeit" Köln 1932 (Heft 15 der ,,Form")
stellen die Fortsetzung der Diskussion über dieses Thema dar. Ernst Jäckh behält sich Äußerung
vor, in Abständen und bei Gelegenheit, wie die auftauchenden Gesichtspunkte es erfordern.
KRITISCHE BETRACHTUNG
ZUM PROGRAMM DER WERKBUNDAUSSTELLUNG KÖLN 1932
Nicht ohne innere Hemmung gehe ich daran, das
Programm der Werkbundausstellung 1932 in einzel-
nen Stücken anzugreifen. Denn das Programm stellt
an sich eine hohe, fast künstlerische Einheit dar,
ein lückenlos geschlossenes geistiges System, aus
dem sich kein Baustein reißen läßt ohne das Ganze
zu verletzen. Würde es sich um ein Werk der Lite-
ratur handeln, so würde mir ein solches Verlangen
auch fern liegen. Hier aber geht es um Wirklich-
keitswerte. Jeder Programmpunkt, der einer Idee
zuliebe von der Wirklichkeit abweicht, wird in der
Ausstellung in seiner Wirkung nicht nur ausfallen,
sondern sogar auf andere Teile störende Rückwir-
kung ausüben. Deshalb halte ich es für nötig, daß
durch Gegenüberstellung verschiedener Formen per-
sönlicher Anschauung und persönlichen Glaubens
die bestmögliche Übereinstimmung von Idee und
Wirklichkeit herbeigeführt wird. Als Beitrag in die-
sem Sinne möge meine Betrachtung verstanden
werden.
Ich betone von vornherein, daß ich mich durchaus
zu der Idee der Ausstellung, die in dem Programm
niedergelegt ist, bekenne. Meine kritische Betrach-
tung bezieht sich nur auf solche Punkte, die, durch-
geführt, meines Erachtens die Idee der Ausstellung
schmälern können. Ich beschränke sie zudem auf
die Betrachtung der „Zyklischen Ausstellung in sie-
benfacher Einheit", da ich hierbei alles sagen kann,
was ich zu sagen habe.
Zur zyklischen Ausstellung in sieben-
facher Einheit:
Wenn das Schema des zyklischen Aufbaus in sie-
benfacher Einheit einer Betrachtung unterzogen
wird, so ist das zeitliche Verhältnis der 2. zur
1. Gruppe und den nachfolgenden Gruppen von be-
sonderer Bedeutung. Es fragt sich: Erfolgt aus
einem bestimmten Weltbild (Gruppe 1) heraus die
Formung des Menschen (Gruppe 2) parallel und
gleichzeitig zu den folgenden Gruppen menschlicher
Auswirkung? Oder wird aus einem bestimmten Welt-
bild heraus der Mensch geformt, der sich dann in
den Äußerungen der folgenden Gruppen auswirkt?
Die erste Auffassung würde einen gleichzeitigen
Querschnitt durch die Zeit darstellen, etwa bei
Gruppe 2 würde es sich neben der Formung der er-
wachsenen, in Gruppe 3 usf. schon tätigen Mensch-
heit, vor allem um die Erziehung des menschlichen
Nachwuchses handeln, der erst „in einer Genera-
tion" wirksam werden wird, also aus der Erzeugung
der in 3 und den folgenden Gruppen erfaßten
menschlichen Leistung heute noch ausscheiden muß.
Bei der zweiten Auffassung würde es sich dagegen
um die Formung handeln, die der Mensch erfahren
hat, der heute in den Gruppen 3 usf. wirksam ist.
Die ausführliche Entwicklung der Gruppe 2 im Pro-
gramm weist mehr auf die erste Auffassung, ohne in-
dessen ganz eindeutig zu sein, dagegen nimmt die
Parallelstellung zu Goethes Orphischen Urworten
(„nach dem Gesetz, wonach du eingetreten ......
geprägte Form, die lebend sich entwickelt") eindeu-
tig die zweite Auffassung für sich in Anspruch.
Hier nun ergibt sich ein Einwand gegen die
Brauchbarkeit des zyklischen Schemas in dem vor-
liegenden Fall.
Das zyklische Schema ist zur Durchdringung der
Lebenszusammenhänge vollkommen brauchbar,
wenn der Zeitbegriff innerhalb des Ablaufs keine
andere Rolle spielt als die eines gleichmäßigen
Metrums. Das ist gegeben, wenn die Zeit für den
ganzen Zyklus homogen ist, wenn etwa der Ablauf
des ganzen Kreises in der Vergangenheit liegt. Hier
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1932
Die beiden folgenden uns zugegangenen Ausführungen zu dem von Ernst "Jäckh aufgestellten
Programm für die Internationale Werkbund-Ausstellung „Die Neue Zeit" Köln 1932 (Heft 15 der ,,Form")
stellen die Fortsetzung der Diskussion über dieses Thema dar. Ernst Jäckh behält sich Äußerung
vor, in Abständen und bei Gelegenheit, wie die auftauchenden Gesichtspunkte es erfordern.
KRITISCHE BETRACHTUNG
ZUM PROGRAMM DER WERKBUNDAUSSTELLUNG KÖLN 1932
Nicht ohne innere Hemmung gehe ich daran, das
Programm der Werkbundausstellung 1932 in einzel-
nen Stücken anzugreifen. Denn das Programm stellt
an sich eine hohe, fast künstlerische Einheit dar,
ein lückenlos geschlossenes geistiges System, aus
dem sich kein Baustein reißen läßt ohne das Ganze
zu verletzen. Würde es sich um ein Werk der Lite-
ratur handeln, so würde mir ein solches Verlangen
auch fern liegen. Hier aber geht es um Wirklich-
keitswerte. Jeder Programmpunkt, der einer Idee
zuliebe von der Wirklichkeit abweicht, wird in der
Ausstellung in seiner Wirkung nicht nur ausfallen,
sondern sogar auf andere Teile störende Rückwir-
kung ausüben. Deshalb halte ich es für nötig, daß
durch Gegenüberstellung verschiedener Formen per-
sönlicher Anschauung und persönlichen Glaubens
die bestmögliche Übereinstimmung von Idee und
Wirklichkeit herbeigeführt wird. Als Beitrag in die-
sem Sinne möge meine Betrachtung verstanden
werden.
Ich betone von vornherein, daß ich mich durchaus
zu der Idee der Ausstellung, die in dem Programm
niedergelegt ist, bekenne. Meine kritische Betrach-
tung bezieht sich nur auf solche Punkte, die, durch-
geführt, meines Erachtens die Idee der Ausstellung
schmälern können. Ich beschränke sie zudem auf
die Betrachtung der „Zyklischen Ausstellung in sie-
benfacher Einheit", da ich hierbei alles sagen kann,
was ich zu sagen habe.
Zur zyklischen Ausstellung in sieben-
facher Einheit:
Wenn das Schema des zyklischen Aufbaus in sie-
benfacher Einheit einer Betrachtung unterzogen
wird, so ist das zeitliche Verhältnis der 2. zur
1. Gruppe und den nachfolgenden Gruppen von be-
sonderer Bedeutung. Es fragt sich: Erfolgt aus
einem bestimmten Weltbild (Gruppe 1) heraus die
Formung des Menschen (Gruppe 2) parallel und
gleichzeitig zu den folgenden Gruppen menschlicher
Auswirkung? Oder wird aus einem bestimmten Welt-
bild heraus der Mensch geformt, der sich dann in
den Äußerungen der folgenden Gruppen auswirkt?
Die erste Auffassung würde einen gleichzeitigen
Querschnitt durch die Zeit darstellen, etwa bei
Gruppe 2 würde es sich neben der Formung der er-
wachsenen, in Gruppe 3 usf. schon tätigen Mensch-
heit, vor allem um die Erziehung des menschlichen
Nachwuchses handeln, der erst „in einer Genera-
tion" wirksam werden wird, also aus der Erzeugung
der in 3 und den folgenden Gruppen erfaßten
menschlichen Leistung heute noch ausscheiden muß.
Bei der zweiten Auffassung würde es sich dagegen
um die Formung handeln, die der Mensch erfahren
hat, der heute in den Gruppen 3 usf. wirksam ist.
Die ausführliche Entwicklung der Gruppe 2 im Pro-
gramm weist mehr auf die erste Auffassung, ohne in-
dessen ganz eindeutig zu sein, dagegen nimmt die
Parallelstellung zu Goethes Orphischen Urworten
(„nach dem Gesetz, wonach du eingetreten ......
geprägte Form, die lebend sich entwickelt") eindeu-
tig die zweite Auffassung für sich in Anspruch.
Hier nun ergibt sich ein Einwand gegen die
Brauchbarkeit des zyklischen Schemas in dem vor-
liegenden Fall.
Das zyklische Schema ist zur Durchdringung der
Lebenszusammenhänge vollkommen brauchbar,
wenn der Zeitbegriff innerhalb des Ablaufs keine
andere Rolle spielt als die eines gleichmäßigen
Metrums. Das ist gegeben, wenn die Zeit für den
ganzen Zyklus homogen ist, wenn etwa der Ablauf
des ganzen Kreises in der Vergangenheit liegt. Hier
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