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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Schmidt, Walther; Reitz, Adolf: Kritische Betrachtung zum Programm der Werkbundausstellung Köln 1932
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0650

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aber, in der Anwendung des Schemas auf die „Neue
Zeit", dringen die verschiedenen Zeitformen in den
zyklischen Ablauf ein, vor allem dann, wenn die oben
bezeichnete zweite Auffassung zugrunde gelegt ist.
Liegen die Gruppen 3, 4, 5 im Zeichen der Gegen-
wart, so sind die Gruppen 1 und 2 durchsetzt von
Vergangenem, während sich die Gruppen 6 und 7
immer mehr nach der Zukunft hin verschieben. Es
fragt sich: Ist hier nicht eine in historischer Anwen-
dung richtige Methode auf das gegenwärtige Leben
übertragen? Würde nicht die Anwendung eines sol-
chen Schemas auf das gegenwärtige Leben eine
fast historische Form der Betrachtungsweise einer
kulturellen Grunderscheinung mit sich bringen, näm-
lich: daß der Mensch, die „Generation", aus einem
Weltbild nennbaren Urgrund heraus sich formend,
Wirkungsgut schafft, das sich dann dem Urgrund,
diesen umgestaltend, einverleibt.

Ich zweifle also, ob die ausstellungsmäßige Durch-
führung eines solchen Schemas mehr mit sich brin-
gen würde als eine bloße bequeme Orientierungs-
möglichkeit, ob sie mehr für sich hätte als die Er-
richtung einer formal schönen Fassade, die nicht
überall ganz kongruent ist mit den Räumen, die da-
hinter liegen, und derentwegen man vielleicht sogar
ein paar Räume schaffen muß, die von innen her
nicht notwendig bedingt sind. Damit komme ich zur
Betrachtung einzelner Gruppen, der Gruppen 1, 6
und 7.

Gruppe 1, Weltbild:

Das Weltbild unserer Zeit sehe ich viel reicher,
als es die Entwicklung des Programms andeutet. Ich
sehe sehr wohl ein, daß, wenn unsere Zeit program-
matisch als Neue Zeit herausgestellt werden soll,
vor allem die neuen aus der Entwicklung der Natur-
und Geisteswissenschaften und der Technik her-
rührenden Einflußgebiete zur Darstellung gebracht
werden müssen. Ich sehe aber darüber hinaus viele
Gebiete, in denen der Mensch sich nicht geändert
hat, die aber ebenso wie neue Einflüsse zur Gestal-
tung des Weltbildes beitragen. Das ganze reiche
Kulturgut der Vergangenheit lebt noch in uns fort,
in jedem von uns, gleichgültig, wie er sich bewußt
dazu einstellt. Religion und Kirche sind heute noch
mitbestimmende Faktoren des Weltbildes, wenn mit
diesem Wort der ganz allgemein weltanschauliche
Untergrund der Zeit gemeint ist. Diesen Einfluß-
gebieten, die aus der Vergangenheit hereinreichen,
gesellen sich solche zu, die wir als zukünftige Grö-
ßen erst zu erahnen vermögen. Wir ahnen doch,
daß sich die Lücke, die sich im seelischen Leben
des der Kirche abgewandten Teils der gegenwär-
tigen Menschheit (ähnlich, wenn auch nicht so offen-
bar, wohl auch bei den noch kirchlich Eingestellten)
gebildet hat, in der Zukunft wieder füllen wird; daß
irgendeine Form des Religiösen, mit ihm des Heroi-
schen, des Tragischen heraufkommen wird, deren
Erfassung sich sogar dem gleichzeitigen Intellekt
entziehen wird, und wie viel mehr dem Geiste, der
heute in Gegenwart und Zukunft späht mit dem Ziel,
Zeugnisse und Anzeichen Neuer Zeit darzustellen.

Aber selbst das, was sich von Einflußgebieten
heutiger Geistes- und Naturwissenschaft darstellen
ließe, ist sicher nicht das Wesentlichste — ich
spreche dabei nicht von ausstellungstechnischer

Unmöglichkeit der Darstellung; in dieser Hinsicht
besitze ich ein fast unbegrenztes Zutrauen zum er-
finderischen Geist der Zeit. Im Programm ist z. B.
auf die mit Relativitätstheorie und „Raum — Zeit-
auflösung" verbundenen weltanschaulichen Folge-
rungen hingewiesen. Eine genaue Prüfung wird er-
geben, daß die bisher gezogenen weltanschaulichen
Folgerungen dieser Theorien nur auf mißverständ-
licher allzu menschlicher Auswertung mathematisch-
physikalischer Arbeitsmethoden beruhen. Und wenn
es bis heute noch nicht gelungen ist, auf anderer
als feuilletonistisch unzulänglicher Grundlage ge-
meinverständliche Abhandlungen über diese Gebiete
hervorzubringen, so wird eine Ausstellung als Sache
der Anschauung eine solche gänzlich unanschau-
liche Sache auch nicht tiefer zur Darstellung brin-
gen können.

Was ich fürchte, ist, daß dieses in der Ausstellung
zeigbare Weltbild seelisch zu dürftig und zu ein-
seitig intellektuell aussehen wird, und daß es zu-
dem die Darstellung unleugbar vorhandener negati-
ver weltbildformender Momente vermeiden wird. Es
mögen vielleicht auch die immerhin großen Stimmungs-
werte, die etwa die geschickte Gegenüberstellung
von Kanu und Ozeandampfer übermitteln mag, auf-
gewogen werden durch die immer fatale Betonung
endlosen menschlichen Fortschritts, die sich allzu-
leicht mit der Gegensetzung solcher Entwicklungs-
punkte verbindet. Vor allem aber fürchte ich, wie
schon angedeutet, daß das gezeigte Weltbild zu
einseitig geistig, zu intellektuell und rational orien-
tiert sein wird.

Denn die tiefsten schöpferischen Kräfte, die
unser Weltbild formen, entziehen sich vollkommen
der intellektuellen Erkenntnis. Sie werden erst in
einem Augenblick erkennbar, in dem ihre zeugende
Rolle ausgespielt ist, in dem sie historisch und tot
geworden sind. Die schöpferischen Kräfte mani-
festieren sich in ihrer Auswirkung. Die Auswirkung
der schöpferischen Kräfte der Neuen Zeit ist in den
Gruppen 2 bis 5 des Programms trefflich erfaßt.
Aber diese im Weltbild selbst verankerten Urkräfte
lassen sich nicht erkennen und darstellen; noch
niemand hat den mütterlichen Schoß der Zeit ent-
hüllt. Die Ahnung, die tieferen Bewußtseinslagen
des Menschen haben jedoch unmittelbar Teil an die-
sen schöpferischen Kräften. Deshalb umfaßt das
Weltbild eine ganze Skala von rationalen bis zu
irrationalen Werten. Darstellbar sind — und dies
nur teilweise — allein die rationalen Werte. Und
sie sind noch nicht das Wesentliche.

Ich glaube, daß ein Mensch, dem nicht aus der
eindringlichen Darstellung der Gruppen 2 bis 5 die
Ahnung, ja Gewißheit des neuen Weltbildes zufließt,
daß der auch nicht das Organ besitzt, Darstellungen
in der Art der Gruppe 1, die doch immer nur Hin-
weise sein können, richtig zu deuten und zu ver-
arbeiten.

Zu Gruppe 6 und 7:

Mit Gruppe 5 verläßt das Schema den Bereich
des an der Hand der Tatsachen klar Nachweis-
baren. Die Gestaltung des Staates ist Gegenstand
des heißen politischen Kampfes, in dessen Hinter-
grund Glaube gegen Glauben steht. Ich gebe zu,
daß es gelingen mag, durch eine geschickte Zusam-

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