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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Trillich, Heinrich: Der Stand der Farbtonordnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0123

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Einem Teil der Einwände trug Ostwald in der
Folgezeit Rechnung. Er ersetzte die Hundertteilung
des Farbenkreises durch eine Vierundzwanzigteilung.
An die Stelle des 2500 Ausfärbungen von löslichen
Teerfarbstoffen auf saugendem Papier enthaltenden
großen Farbenatlasses von 1919 ließ er den 680 Auf-
striche von Teerfarblacken auf Lithopone umfassen-
den Farbnormenatlas von 1923 bzw. 1926 treten.
Es sind dabei auch lichtechtere Teerfarblacke und
im Blaubezirk Ultramarin verwendet worden. Jedoch
ist es dabei, wie Krüger 1926 feststellte, nicht ohne
Tonverschiebungen abgegangen. Die eigentlichen
Fehler des Systems sind durch diese Maßnahmen
aber auch nicht beseitigt worden. Ich habe ge-
zeigt, daß die prismatische Hebung der Linear-
reihe der Buntfarben erhebliche Unterschiede in der
geometrischen Stufenhöhe aufweist. Die Farben-
folge im Farbkreis kann also nicht die richtige sein.

Zur geschäftlichen Durchführung seiner Farben-
lehre hat Ostwald neben dem Verlag Unesma in
Leipzig und den Energiewerken in seinem Wohnsitz
Großbothen bei Leipzig eine eigene Aktiengesell-
schaft gegründet und seine Beziehungen zu der von
ihm gegründeten „Deutschen Werkstelle für Farb-
kunde" in Dresden abgebrochen. Der frühere Mit-
arbeiter Ostwalds, Professor Krüger, hat 1926 einen
48teiligen Farbenkreis der Werkstelle herausge-
bracht, der mit Hilfe des Stufenphotometers von
Pulfrich-Zeiß und engeren Farbfiltern physiologisch
richtiger sein soll als die drei Ostwaldkreise. 1927
ließ Krüger einen Atlas mit Ausfärbungen auf Woll-
filz und einen kleinen handlichen Taschenatlas mit
24 Farbmeßdreiecken in einem neuen Steindruck-
verfahren der Schupp & Nierth A. G. in Dresden
folgen. Die systemologischen Fehler des Ostwald-
Systems sind auch durch diese Ausführungen nicht
beseitigt.

Nicht zu leugnen ist, daß sich das Ostwald-System
dank der Energie seines Urhebers und der Kritik-
losigkeit weitester Kreise gegenüber seiner Autori-
tät in der Praxis gut eingeführt hat. Es ist wohl
das größte Verdienst Ostwalds, daß er die allge-
meine Aufmerksamkeit wieder auf die Wichtigkeit
einer gesetzmäßigen Farbenlehre gelenkt hat. Die
großen Hoffnungen, die man an eine Verständigung
über Farben ohne vorliegendes Muster, sondern
lediglich durch Messung und Feststellung von Kenn-
zeichen geknüpft hat, haben sich nicht erfüllt. Da-
gegen ist das System zu Angaben über Veränderun-
gen an Farben, z. B. durch Licht, mehrfach benützt
worden. Auch die von Ostwald aus seinem System
gezogenen Schlüsse über Farbenharmonie haben
schon eine erziehliche Wirkung in manchen gewerb-
lichen Anwendungsgebieten getan. Es führt sich
auch mehr und mehr in Lehrbücher ein, so neuer-
dings in Wagners Körperfarben und Georgievics
Handbuch des Zeugdrucks. Neben den Ausfüh-
rungen Ostwalds oder Krügers besteht eine Anzahl
von Anwendungen z. B. dem Farbenblock des Akro-
polisverlages in Hannover, oder einer Anzahl durch
Muster oder Patente geschützter Harmoniezeiger.
Dagegen ist die Benützung der Ostwaldschen Klein-
chen Farben, löslicher Teerfarbstoffe mit Binde-
mittel in Tablettenform für Schulzwecke, vom preu-
ßischen Ministerium nicht zugelassen worden. Eben-
so mußten die Künstlerfarben nach diesem System,
die sich nach Untersuchungen von Eibner als un-

zulässige Mischungen erwiesen, infolge des Ein-
spruches der Deutschen Gesellschaft für rationeile
Malverfahren in München zurückgezogen werden.
Der Umstand, daß das Ostwald-System stofflich
durch Teerfarblacke (wenigstens im wesentlichen)
ausgeführt ist, läßt seine unmittelbare Übertragung
in die Praxis dort nicht zu, wo die Technik oder der
Zweck andere stoffliche Farben verlangt, wie z. B.
in der Kunst, oder Dekorationsmalerei, in der Wand-
malerei, in der Schmelzfarbenindustrie u. a.

Dies ist der Grund, warum sich neben dem
Ostwald-System auch die Baumann-Prasesche Farb-
tonkarte behauptet. Dieses 1912 herausgebrachte
System gründet sich auf die Lehren von Hering,
die ja auch dem Ostwald-System zugrunde liegen,
wobei allerdings in Rücksicht auf das praktische
Bedürfnis vom starren System nach Bedarf abge-
wichen wurde. Die sehr handliche und praktische
Karte enthält 1359 Töne in Aufstrichen von im
wesentlichen tatsächlichen Dekorationsfarben,
deren Mischungsbestandteile und Mischungsverhält-
nisse gleichzeitig angegeben sind.

Eine neue Konkurrenz ist dem Ostwald-System in
dem seit 1922 von Max Becke, dem Direktor des
Forschungsinstitutes für Textilindustrie in Wien, ent-
wickelten „Natürlichen Farbensystem" entstanden.
Es gründet sich auf eine recht mystisch begründete
und etwas modifizierte Dreifarbenlehre und ist vor-
erst in Ausfärbungen von drei Teerfarbstoffen auf
Baumwolle praktisch ausgeführt und von genanntem
Institut erhältlich. Es hat bisher nur in Textilkrei-
sen teilweise Anerkennung gefunden.

Die übrigen neueren Farbensysteme, welche
sich auf physikalische Gegenfarben stützen,
und die verschiedene Eigenhelligkeit der ein-
zelnen Buntfarben berücksichtigen, haben bisher
keine praktische Durchführung gefunden. Es ge-
hört hierher der schräge Doppelkegel, den Pro-
fessor Kirschmann, Toronto (Kanada), jetzt Leipzig
seit 1907 angegeben hat; dann der Zylinder mit
Schrägschnitt, den der Verfasser für das „Deut-
sche Farbenbuch" und damit für die Deutsche Far-
bennormung vorgeschlagen hat, endlich der neueste
Vorschlag von Matthäi Bonn mit Berücksichtigung
der Eigenhelligkeit im Ostwald-System. Hinsichtlich
der praktischen Ausführung von Farbensystemen
gibt das Schicksal von Radde, Hamburg, zu denken,
der mit seinem in stenochromischen Druckverfahren
(einem Wachsflachdruck) von 1877 an über eine
Million Mark zusetzte. Sein System ist ganz aus
dem Gebrauch verschwunden; es sollte aber auf
Anregung des Werkbundes 1919 zunächst für Stoff-
ausfärbungen wieder aufgenommen werden.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß man für die
Farben im Sinne der Farbempfindung eine Normen-
ordnung genau so aufstellen kann wie für Farben
im Sinne von Farbstoffen. Es wird aber noch zu
untersuchen sein, worin die Unterschiede der physi-
kalischen und physiologischen Gegenfarben eigent-
lich liegen und was in systemologischer Hinsicht
von den zahlreichen bisher vorgeschlagenen Far-
bensystemen empfehlenswert ist. Ich habe mich
bemüht, eine möglichste Übersicht über die
vielen Farbensysteme zu gewinnen und ein Ähn-
liches bezweckt der jetzt beim deutschen Normen-
ausschuß eingesetzte Studienunterausschuß für
Farbtonnormung. Das endgültige Normensystem hat

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