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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Gantner, Joseph: Anmerkungen zum XII. Internationalen Kongress für Wohnungswesen und Städtebau, Rom, September 1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0700

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Anschauungen ebenso friedlich nebeneinander
stehen, wie sie dann am Kongreß nacheinander vor-
getragen wurden.

Kommt dazu der automatische Leerlauf der Be-
schlüsse von Jahr zu Jahr. Es erben sich die Reso-
lutionen wie eine ewige Krankheit fort. Der Pariser
Kongreß von 1928 hatte — ich greife ein Detail her-
aus — u. a. mit dem Beschluß geendet, daß die Maxi-
malhöhe für Wohnbauten drei Stockwerke sein soll,
und auf dieser Basis wurde nun in Rom weiter dis-
kutiert. Aber glaubte denn irgendein Teilnehmer im
Ernst, daß auch nur ein einziger Stadtbaurat, von
Privatarchitekten gar nicht zu reden, sich bei seinen
Planungen an einen solchen Beschluß halten wird
oder halten kann? In Rom fing man wieder von vorne
an, die Italiener erklärten auf Grund ihrer Case
popolari drei Stockwerke für unwirtschaftlich, Stadt-
rat May (Frankfurt) und der junge Genfer Stadtbau-
rat Hoechel plädierten für den Flachbau, ebenso der
sehr sympathische englische Arbeiterführer Barron,
der eine der besten Reden des Kongresses hielt und
unschwer die Argumente seiner Landsleute aus
Liverpool und Manchester entkräften konnte, die
eben zuvor für den Stockwerksbau von sechs und
mehr Geschossen eingetreten waren... Man faßte
diesmal keinen Beschluß. Nur, als eine Dame aus
Australien die Dachgärten pries, wurde die Frage
der Wünschbarkeit und Wirtschaftlichkeit von Dach-
gärten auf die Traktandenliste des nächsten Kon-
gresses, London 1930, gesetzt. Und nun wird der
Vorbericht für London voraussichtlich ein ganzes
Bündel von Aufsätzen über Dachgärten aus der
halben Welt vereinigen, und man wird da vermutlich
die Dinge nochmal zu lesen bekommen, die man
längst schon aus den Zeitschriften kennt.

II.

Man muß sich wirklich fragen, ob ein solcher Be-
trieb überhaupt einen Sinn und Zweck hat. Und man
kann die Frage auf eine ganze Reihe anderer inter-
nationaler und nationaler Verbände ausdehnen,
deren Kongresse schwerlich ergiebiger sind. Otto
Völckers hat diesen Sommer einmal in seiner ausge-
zeichneten Zeitschrift „Stein Holz Eisen" ein paar
sehr beherzte Anmerkungen zu diesem Thema vorge-
bracht und gemeint, man solle doch die Verhandlun-
gen auf das Notwendigste einschränken und dafür
mehr Zeit lassen für Besichtigungen und für die
pieces de resistance aller Kongresse: die persön-
lichen Begegnungen. Aber wozu dann noch die Ver-
bände? Ein Reise- und Besichtigungsprogramm kann
auch Cook zusammenstellen, und wahrscheinlich
praktischer und billiger, und gewiß ohne die erhei-
ternde Bürokratie, deren Opfer wir in Rom sein
mußten.

Nein, ein solcher Betrieb könnte einen sehr gro-
ßen Sinn und Zweck haben, wenn der internationale
Verband, um den es sich hier handelt, aus seiner
splendid isolation heraustreten und klar und eindeu-
tig für eine Sache eintreten würde. Registraturen
und Statistiken macht heute jeder Staat und jede
größere Stadt ganz von selbst, und durch das inter-
nationale Zeitschriftenwesen hat ja längst eine Be-
wegung überstaatlicher Diskussion und Verständi-
gung eingesetzt, neben der ein solcher Kongreß ein
reichlich schwerfälliges Unternehmen ist — wenn
er nicht mit einer bestimmten Tendenz, einer be-

stimmten Anschauung auf den Plan tritt und bereit
ist, sie in aller Öffentlichkeit zu verfechten.

Und dazu hätte er nun gerade in Rom Gelegenheit
genug gehabt. Unter dem Patronat des römischen
Gouverneurs war in demselben Palazzo dell'Esposi-
zione, in dem der Kongreß tagte, die Erste ita-
lienische Ausstellung für Wohnungs-
wesen und Städtebau veranstaltet worden,
und aus ihrem teilweise überraschend interessanten
Material gewann man denselben Eindruck wie aus
den Reden der italienischen Vertreter am Kongreß,
sowie aus den Artikeln einiger römischer Zeitungen
in jenen Tagen: daß nämlich in Italien die Fragen
des neuen Bauens überaus eifrig diskutiert werden,
und daß beispielsweise die Probleme des dezentra-
lisierten, funktionellen Städtebaus den Architekten
dieses von Zeugen einer alten Kultur erfüllten und
von Staats wegen zur raschen Bevölkerungszu-
nahme ermunterten Landes mindestens ebenso auf
den Nägeln brennen wie anderswo! Die Reden von
Piacentini, Giovannoni und Piccinato über die bei-
nahe unlösbaren Nöte des römischen Bebauungs-
planes, die Ausführungen Albertinis über die Pro-
jekte zur Sanierung der so tragisch sinnlosen An-
lage von Mailand, die Sonderausstellung von Neapel
mit seinen schon kaum mehr erträglichen neuen
Quartierplänen — welch ein Material unmittelbarer
Anschauung für die Beratungen eines Kongresses
von Fachleuten des Städtebaus! Wahrscheinlich
wird man entgegenhalten, daß es nicht die Aufgabe
eines Kongresses sein könne, die Leistungen seines
Gastgebers zu kritisieren, der ihn eben mit allen
Zeichen des Pompes auf dem Kapitol empfangen
und bewirtet hat. Gewiß nicht, aber alle Ängstlich-
keit ist so lange überflüssig, als Kritik und Diskus-
sion ihre Form zu wahren wissen. Vielmehr, allge-
mein gesprochen: ein solcher Kongreß müßte in
einem gewissen Sinne die Diskussionen des Ortes
und Landes, in dem er tagt, auf anderer Basis wei-
terführen, sie durch Betonung des Prinzipiellen auf
ein Niveau heben, auf dem eine Äußerung auch des
fremden Kenners möglich ist! Und vor allem und
immer wieder: die Leitung des Kongresses müßte
ein festes Ziel im Auge haben, sie müßte den Mut
haben, Partei zu nehmen, sich zu einer Sache zu
bekennen. Sonst verhallen alle Reden im Wind.

Während ich diese Zeilen schreibe, wird in Frank-
furt a. M. der II. Internationale Kongreß für Neues
Bauen vorbereitet. Wenn die Anzeichen nicht trü-
gen, so wird bei dieser Gelegenheit wieder einmal
gezeigt werden, wie ein Kongreß für die Arbeit sei-
ner Teilnehmer fruchtbar sein kann. Man hat ein
Problem, an dem gerade das Frankfurter Hochbau-
amt seit Jahren arbeitet, die „Wohnung für das
Existenzminimum", aus seiner lokalen Bedingtheit
herausgehoben, in den Mittelpunkt der Verhandlun-
gen gerückt und obendrein zum Gegenstand einer
internationalen Ausstellung gemacht, die während
des Kongresses ihre Tore öffnet. So ist ein wich-
tiges, in der lokalen Arbeit verwurzeltes und leicht
übersehbares Thema zur Diskussion gestellt, und
daß die Tendenz der Veranstalter eindeutig ist, daß
es sich nicht um eine Bestandesaufnahme, sondern
um eine Stellungnahme handelt, das wird, hoffen
wir, dem Kongreß ein deutliches Gepräge, seinen Be-
ratungen ein Ziel und der Sache selbst einen neuen
Antrieb geben. J. Gantner

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