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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Hilberseimer, Ludwig: Städtebau und Wohnungsbau auf der Technischen Tagung der Reichsforschungsgesellschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0351

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wohnung auf 3 bis 4 Stockwerke verteilt. Hier muß
auf die Vorschläge von Hugo Häring hingewiesen
werden, der sich seit Jahren um eine diese Mängel
beseitigende eingeschossige Form des Kleinhauses
bemüht. Aber auch das heute noch unvollkommene
Mietshaus läßt sich hygienisch und wohntechnisch
so verbessern, daß es zu einer der Großstadtbe-
völkerung durchaus angemessenen Wohnform wird.

Die Forderungen der Sozialhygieniker an ein ge-
sundes und menschenwürdiges Wohnen und die
Forderungen der Hausfrauen an eine vorteilhafte
Haushaltsführung müssen für den Architekten zur
selbstverständlichen Grundlage seiner Arbeit wer-
den. Es ist seine Aufgabe, sich diese Forderungen
zu eigen zu machen und aus ihnen beim Bau des
Hauses und der Anlage der Siedlung die Konse-
quenzen zu ziehen. Leider aber sind diese Forde-
rungen bisher weder eindeutig noch einheitlich ge-
nug. Bei den Hygienikern wird trotz mancherlei
Divergenzen am ehesten diese eindeutige Klarheit
zu erreichen sein. Die Methoden der wissenschaft-
lichen Arbeit sind von subjektiven Forderungen im
allgemeinen unabhängig und verbürgen ein Höchst-
maß von Objektivität. Erfreulich ist bei dieser Ge-
legenheit festzustellen, daß die Architekten, soweit
sie sich mit den hygienischen Problemen der Woh-
nung beschäftigen, in vielen Fällen zu gleichen Er-
kenntnissen wie die Hygieniker gekommen sind.
Stadtmedizinalrat von Drigalski weist auf die un-
entbehrlichen von Geburt an die Entwicklung stark
beeinflussenden Lebensreize hin: das Licht, die Luft
mit Kälte- und Wärmewechsel, den Arbeitsreiz und
im Zusammenhang hiermit auf die deutlich eintre-
tende körperliche Beeinträchtigung durch eine licht-
und luftlose, überbelegte Wohnung. Interessant ist
seine Feststellung, daß die Erfüllung dieser Forde-
rungen nicht von der Weiträumigkeit einer Wohnung
abhängt. Im Gegenteil kann unter Umständen eine
weiträumige Wohnung, in der diese Reize nicht zur
Auswirkung kommen können, einer darauf Rücksicht
nehmenden Kleinwohnung unterlegen sein.

Bei der großen biologischen Bedeutung des
Sonnenlichts ist die Forderung der Hygieniker nach
großen, breitgelagerten Fenstern selbstverständlich.
„Dieses Licht, sofern es biologisch wirksam sein
soll, darf nicht bunt, sondern muß weiß sein. Prak-
tisch enthält nur das weiße, ungebrochene Licht die
biologische Wirksamkeit, nämlich die kurzwelligen
Strahlen. Von bunter Farbe reflektiertes Licht ist
dieser kostbaren Wirkung beraubt." Neben dem
Licht spielt also die das Licht im Raum reflektie-
rende Farbe eine große Rolle. „Nicht die sogenannte
Gemütlichkeit, sondern lichte und luftige Beschaf-
fenheit der Wohnung sind Vorbedingung der Gesund-
heit und damit wahrer Lebensfreude . . . Nicht nur
für Kranken- und Schulräume, sondern auch für die
Kleinwohnung soll es nicht in erster Linie heißen:
mehr Farbe, sondern mehr Licht."

Weniger klar und eindeutig sind die Wünsche der
Hausfrauen, die nicht objektiv begründet sind, son-
dern von subjektiven Anschauungen ausgehen, vor
allem deshalb, weil die Frauen sich erst seit kurzer
Zeit mit den für sie einschneidenden Fragen zu be-
schäftigen beginnen. Sie haben heute erkannt, daß
für sie die Pflicht zur Mitarbeit am Wohnungsbau
vorliegt und bringen, wie Marie Jecker, die Vor-
sitzende des Reichsverbandes Deutscher Haus-

frauenvereine, sagt, zu dieser Mitarbeit etwas mit,
was keine Kunst der Architekten zu ersetzen ver-
mag: „die aus langer Erfahrung gewonnene Kenntnis
einer vernünftigen Wohnweise". Trotz dieser
„langen Erfahrung" haben aber die Frauen ihre Ziele
bisher weder klar erkannt noch bewußt verfolgt,
und Bruno Tauts Anschauung von der Frau als
Schöpferin, die als Hausfrau lenkt, während der
Architekt denkt, ist einstweilen mehr Wunsch als
Wirklichkeit.

So ist es zum Beispiel nicht möglich, eine der
wichtigsten Haushaltsfragen, die Gestaltung der
Küche, eindeutig zu klären. Während etwa Stadt-
medizinalrat von Drigalski selbst eine sehr kleine,
nur zum Kochen dienende Küche für hygienisch
besser als die Wohnküche hält, sind die Frauen nicht
in der Lage, eine so eindeutige Entscheidung her-
beizuführen. Um spielende Kinder beaufsichtigen zu
können, braucht die Küche nicht Wohnküche zu sein.
Durch eine entsprechende Lage der Küche zum
Wohnraum und Trennung beider durch eine Glas-
wand wird diese Frage weit besser gelöst als durch
die Wohnküche. Wie ursprünglich die Frauenbewe-
gung, so ist auch die Hausfrauenbewegung wesent-
lich bürgerlicher Herkunft und wird von Persönlich-
keiten getragen, die den proletarischen Großstadt-
haushalt nicht aus eigener Erfahrung kennen und
daher geneigt sind, ihre Wünsche mit den Forde-
rungen einer ganz anderen Gesellschaftsschicht zu
verwechseln. Gelegentlich einer Besprechung neuer
Haushaltsliteratur schreibt Alice Simmel in der
Arbeiterwohlfahrt Jahrgang 1928, Seite 351/2: „Die
Hausarbeit galt in der allgemeinen Anschauung vor
noch nicht allzu langer Zeit als eine Tätigkeit, die
nicht erlernt zu werden brauchte, die jedermann
konnte und die darum auch entsprechend gering ein-
geschätzt wurde. Es scheint fast, daß man jetzt
in das andere Extrem verfällt und daß eine ganze
Literatur über rationelle Haushaltsführung im Ent-
stehen ist.......So interessant und lehrreich die

Haushaltsliteratur ist, besteht die Gefahr, daß über
den vielen Einzelfragen Wesentliches zu kurz kommt.
Einmal: Ist die Einzelküche und die damit zusammen-
hängenden Fragen überhaupt das für unsere Zeit
Gegebene oder ist sie durch eine für große, zu-
sammenhängende Wohnblocks zu errichtende Zen-
tralküche zu ersetzen? Zweitens: Soll die Küche der
Kleinwohnung nach wie vor auch Aufenthaltsraum
oder wirklich nur Kochraum sein? Die Beantwortung
dieser Frage hängt mit der ganzen Ausgestaltung
der Kleinwohnung und den Änderungen der Lebens-
gewohnheiten ihrer Bewohner zusammen. Zu die-
sen wichtigen Problemen wird nicht entscheidend
Stellung genommen. Gerade die Hausfrauenbewe-
gung kann ihre bürgerliche Herkunft nicht verleug-
nen. Sie übersieht Wesentliches und begnügt sich
oft mit dem Entdecken zwar angenehmer, aber doch
verhältnismäßig unwesentlicher Neuerungen."

Mit Maria Elisabeth Lüders sind viele Frauen sehr
geneigt, die Architekten für die schlechten Woh-
nungen verantwortlich zu machen. Sie vergessen,
daß der Wohnungsbau vor dem Kriege eine Spekula-
tionsangelegenheit war, mit der der Architekt nichts
zu tun hatte. Außerdem lebten die Hausfrauen ja
auch schon vor dem Kriege, ohne daß sie es damals
für nötig fanden, sich um die mit dem Spekulations-
wohnungsbau zusammenhängenden Schäden zu küm-

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