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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Riezler, Walter: Die Bebauung des Alexanderplatzes
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0167
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Dieses Heft soll ein Beitrag sein zu dem Thema:

Der Bau in seinem Verhältnis zum umgebenden Freiraum.

Dieser Freiraum ist je nach Lage und Bestimmung des Baues

das einemal großstädtische Verkehrsstraße,

das anderemal natürliche landschaftliche Umgebung.

Die Behandlung [der Gestaltung des Alexanderplatzes in Berlin soll zeigen, daß der Großstadtplatz als Brennpunkt des
Verkehrs und als Geschäftszentrum und nicht als Repräsentationsgebilde die Architektur bestimmen sollte.
Die Dachgärten in Frankreich offenbaren das fantastische Gefühl des Romanen für die räumliche Eroberung der land-
schaftlichen Umgebung.

Das Kinderkrankenhaus von Bartning erinnert daran, daß die Durchflutung des Raums mit Licht und Luft und die Öffnung nach
der Landschaft nicht ein formalistisches Stilprinzip der modernen Architektur ist, sondern auf hygienischen Erkenntnissen
beruht.

Das Haus Bertsch am Rupenhorn und Schopohls Ferienhaus verraten ein feines Gefühl für die Einordnung in landschaft-
liche Gegebenheiten.

Mit den Abbildungen von dem Wettbewerb für das Bürohaus in Stuttgart kehren wir wieder zum Thema der Großstadt-
architektur zurück.

DIE BEBAUUNG DES ALEXANDERPLATZES

Die Stadt Berlin hat die Absicht, den Alexan-
derplatz, der bisher zu den formlosesten Zufalls-
gebilden in Berlin gehörte, in einheitlicher Weise
zu bebauen, und die neue Verkehrs-Aktiengesell-
schaft hat, nachdem durch Stadtbaurat Wagner
die Grundlinien der neuen Gestaltung vorläufig
festgelegt waren, in sehr löblicher Weise unter
sechs Architekten einen Wettbewerb ausge-
schrieben. Den mit dem ersten Preise ausge-
zeichneten Entwurf bilden wir ab und benutzen
den Anlaß zu einigen grundsätzlichen Erwä-
gungen.

Die eine Fassung des preisgekrönten Ent-
wurfs sieht die Überbauung von zweien der
fünf Straßen, die an dem Platz zusammenlaufen,
vor. Man könnte sich denken, daß bei dieser Ab-
sicht, die unseres Wissens von Martin Wagner
stammt, wirtschaftliche Erwägungen maßgebend
waren: Es ist auf diese Weise möglich, den sehr
wertvollen Boden stark auszunützen, ohne die
Fläche des Platzes und der Straßen zu verklei-
nern, was aus verkehrstechnischen Gründen ver-
hängnisvoll wäre. Das Ergebnis ist eine Platz-
form, die stark an alte Platzanlagen erinnert, und
die man noch vor wenigen Jahren als die einzig
wünschenswerte, ästhetisch befriedigende Platz-
form überhaupt ansah: man suchte — wenig-
stens in Entwürfen — mit allen Mitteln oft recht
formalistischer Art auch da, wo wirtschaftliche
Gründe nicht vorhanden waren, und wo es

schwer zu verwirklichen war, die Platzwände
möglichst geschlossen zu halten, um auf diese
Weise den Platz zu einem in sich ruhenden
Räume zu machen. Man träumte davon, auf diese
Weise die wunderbare Schönheit und ruhige
Stimmung alter in sich geschlossener Plätze, die
oft etwas Festsaalartiges an sich haben, neu
schaffen zu können. Ewiges und größtes Vorbild
waren Plätze wie der Markusplatz in Venedig,
die Piazza del Consiglio in Verona, das Kapitol
oder der Platz vor St. Peter in Rom.

Schon der Blick auf das Modell des neuen
Alexanderplatzes läßt deutlich erkennen, daß hier
wohl äußerlich eine ähnliche Form verwirklicht
werden soll, daß diese Form aber in einem fast
unerträglichen Gegensatz zu der Bestimmung
des Platzes und damit auch zu der Gestimmtheit
der Menschen auf dem Platze steht. Denn dieser
Platz ist ja gar nicht mehr wie die geschlossenen
alten Plätze dazu bestimmt, Menschen aus dem
Verkehr der Straßen herauszunehmen und zu
ruhigem Dasein zu sammeln, sondern er ist im
schärfsten Gegensatz dazu nichts anderes wie
ein „Verkehrsknotenpunkt" im wahrsten Sinne
des Wortes, wobei die Aufgabe des Städtebau-
ers nur die ist, die immer wieder entstehenden
„Knoten" möglichst klar und glatt zu lösen.
Sicherlich dient dieser Lösung die vorgeschla-
gene Kreisform in ausgezeichneter Weise. Hier
kann sich der Kraftwagenverkehr frei entfalten,

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