Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

DOI Artikel:
Riezler, Walter: Die Bebauung des Alexanderplatzes
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0170

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Konventionen, die mit den neuen Gestaltungs-
tendenzen nichts mehr zu tun haben. Das neue
Raumgefühl, das an die Stelle des beschlosse-
nen den offenen, an die Stelle des ruhigen den
bewegten Raum setzt, beherrscht heute wohl
schon in immer steigendem Maße die Gestaltung
der Einzelbauten, — doch Platzanlagen gestaltet
man immer noch, als wenn es kein neues Raum-
gefühl gäbe.

Es lohnt sich wohl, einige grundsätzliche Be-
merkungen zu dem Problem der Symmetrie hier
anzuschließen. Die Symmetrie, d. h. die gleich-
mäßige Gestaltung beider Seiten von einer Mit-
tellinie aus, ist wohl für den Einzelbau ein zwar
keineswegs ausnahmslos, aber doch sehr häu-
fig geltendes Gesetz zu allen Zeiten gewesen.
Die Anwendung der Symmetrie auf Gebäude-
gruppen und Platzanlagen — also die Achse"
im eigentlichen Sinne — ist auf bestimmte ge-
schichtliche Perioden beschränkt. Die ägypti-
sche sakrale Baukunst kennt sie, die griechische
der großen Zeit nicht — die Akropolis zeigt die
Form einer „gewachsenen", ganz unregelmäßi-
gen Burganlage, und sogar Schinkel wollte sie in
diesem „mittelalterlichen" Sinne weiter ausbauen
—, in der italisch-römischen Baukunst kommt sie
vor, verschwindet dann wieder im Mittelalter, um
in Spätrenaissance und Barock fast unbe-
schränkt zu herrschen und sich in den großen
Schlössern der absolutistischen Zeit aufs reich-
ste zu entfalten. Der in „Wasmuths Monatsheften"
immer wieder versuchte Nachweis von axialen
Anlagen im Mittelalter ist, soviel wir sehen kön-
nen, bisher mißlungen. (Dies kann im Einzelnen
hier nicht bewiesen werden.) Es ist also offenbar
in der Tat so, daß die symmetrische Anlage einer
ganz bestimmten kultureilen Situation gemäß ist,
die wir in Renaissance und Barock am besten
übersehen können: es ist da einerseits das Be-
dürfnis des Beschauers, auf den hin nun erst
alles — auch in der bildenden Kunst — zu echten
„Schaubildern" gestaltet wird, gemäß der indi-
vidualistischen Einstellung der ganzen Zeit,
anderseits der Machtwille der Bauherren — seien
es nun die Kirche oder die Fürsten —, die sich
sichtbar in den Mittelpunkt stellen und von da
aus weite Räume und Zusammenhänge beherr-
schen wollen. Nun ist die Zeit des Individualis-
mus zweifellos vorbei, und die beherrschenden
Mächte unserer Zeit sind nicht mehr so sehr auf

eine Persönlichkeit und an einem Ort konzen-
triert wie zu den Zeiten der Renaissance. Des-
halb widerstrebt es unserer Zeit, Schaubilder
hinzustellen, und gibt es nur noch ganz wenige
Fälle, wo sich eine große symmetrische Anlage
innerlich rechtfertigen läßt. Ein solcher Fall wäre
etwa die Vereinigung der Ministerien an einem
großen, vom Reichstagsgebäude beherrschten
Platze (Projekt Hans Poelzig), vielleicht auch
noch — hier liegt aber bereits die Gefahr des
Formalismus nahe — die Bebauung eines gro-
ßen Ausstellungsgeländes, Sportforums oder
Volksparks. Hier ist das „Pathos", das jeder
großen architektonischen Symmetrie notwendig
eigen ist, wohl noch am Platze. Die Bebauung
des Alexanderplatzes aber muß sich unter allen
Umständen von einem solchen Pathos fernhalten,
denn dieser Platz ist eine sehr nüchterne Sache,
und wenn man ihn als „Schaubild" gestaltet, muß
man sich darüber klar sein, daß niemand da ist,
der auf diesem Platze Zeit und Lust hat, dieses
Schaubild zu betrachten.

Damit soll in keiner Weise einem wilden Drauf-
losbauen das Wort geredet werden. Die For-
mung ist Pflicht der Menschheit ganz ohne Rück-
sicht darauf, ob das Geformte den Beschauer
findet oder nicht. (Auch der Ingenieur kennt heute
diese Pflicht, wenn er Maschinenteile, die nie-
mand sieht, sorgfältig durchformt!) Dem Städte-
bauer obliegt es, anzugeben, wie die Straßen lau-
fen und wo die Bauten stehen müssen. Bedürf-
nis bestimmt die Art der Bauten, — und aus die-
ser Art ergibt sich, heute noch nicht mit völliger
Einheitlichkeit, aber doch mit jedem Jahre kla-
rer, ihre natürliche Form, ihr „Stil". Vielleicht
wächst schon in Bälde ein Platz, wie es der Alex-
anderplatz ist, ganz von selbst zu einer natür-
lichen Einheit zusammen. Wenn er es heute noch
nicht tut, ist es Schuld der Zeit, und das kann
man nicht ändern. Daß unsere Zeit schon auf
manchen Gebieten reif zur Schaffung großer
baukünstlerischer Einheiten ist, beweisen die
Wohnstraßen und Siedlungen der Genossen-
schaften. Mit dieser Einheitlichkeit müssen wir
uns bis auf weiteres begnügen.

Soviel wir wissen, befindet sich unter den Ent-
würfen für die Bebauung des Alexanderplatzes
einer, der von der Idee der freien Bebauung aus-
geht. Wir hoffen, diesen Entwurf im nächsten
Hefte abbilden zu können. W. Riezier

132
 
Annotationen