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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Riezler, Walter: Museumspläne der Stadt Berlin?
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0200
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gibt. Man müßte sich nur entschließen, sich
etwas von dem überkommenden Begriff des
Museums zu lösen und neue Wege zu gehen. So
wäre sehr wohl einmal der Gedanke zu erwägen,
ob es nicht an der Zeit ist, ein „Museum der
Gegenwart" zu schaffen: das heißt nicht
etwa eine reine Kunst- oder Kunstgewerbesamm-
lung moderner Art, denn die gibt es ja schon an
vielen Orten — über die besonders wichtige,
ganz auf die Gegenwart beschränkte Münchener
Sammlung wird im gleichen Heft ausführlich be-
richtet —, sondern ein Museum, das alle Doku-
mente der Gestaltwerdung unserer Zeit sammelt
und zugänglich macht.

Dieses ,,Museum der Gegenwart" müßte alles
enthalten, was auf dem weiten Gebiete der
neuen Formen grundsätzliche Bedeutung besitzt.
Man müßte sich in ihm unterrichten können, an
der Hand von Modellen und ausgezeichneten
Fotografien, über alles Wichtige, das an neuer
Baukunst im In- und Auslande entsteht. Man
müßte dort in sorgfältigst ausgewählten Stük-
ken die gewerbliche Produktion unserer Zeit,
handwerklicher und industrieller Art, studieren
können, und auch das ganze weite und wunder-
bare neue Reich der technischen Formen, und
überhaupt alles, was an Formungen aus der
neuen sozialen und wirtschaftlichen Struktur
der Gegenwart herauswächst, müßte dort in Ab-
bildungen oder sonstwie anschaulich gemacht
werden. Natürlich wäre das kein Museum, des-
sen Bestände die Jahre hindurch unverändert
zur Schau gestellt werden; es müßte in wech-
selnden Ausstellungen von etwa zweimonatiger
Dauer immer wieder Neues zeigen, immer wieder
neue Querschnitte durch die Zeit legen, und
bliebe auf diese Weise, wie es sich für ein Insti-
tut, das der Gegenwart geweiht ist, gebührt, un-
unterbrochen in Fluß. Man müßte dort Räume
zur Verfügung haben für Vorträge und Vorfüh-
rungen aller Art und könnte sehr wohl auch die
neue Dichtkunst und Musik mit dabei berücksich-
tigen. Es müßte eine Stätte sein, zu der sich alle
diejenigen, denen die Neugestaltung der Welt
am Herzen liegt, also vor allem die Jugend, aber
auch alle älteren wahrhaft lebendigen Menschen
immer wieder hingezogen fühlen, weil sie sich
dort besser als irgendwo anders über das Wer-
dende klar werden können. Und für dieses
Museum müßte ein Bau errichtet werden, der
selber reinste und kühnste Verwirklichung der
neuen Gesinnung ist.

Ein solches „Museum der Gegenwart" hätte
freilich recht wenig von der feierlichen Abge-
schlossenheit und Lebensferne der bisherigen
Museen, — es stünde mitten im Leben und der

Unruhe des Tags. Aber vielleicht würde es
gerade dadurch mithelfen an der Überwindung
der Krisis, in die das Museumswesen allmählich
geraten ist. Man muß bedenken, daß der heute
noch fast allein herrschende Museumstypus eine
Schöpfung des 19. Jahrhunderts ist, also einer
ganz einseitig historisch gerichteten Epoche, die
von der kulturellen und künstlerischen Über-
legenheit der Vergangenheit überzeugt war und
deshalb es für seine heilige Pflicht hielt, die
Reste der Vergangenheit und die großen „ewi-
gen" Kunstwerke zu sammeln, zu erhalten und
als — nie ganz zu erreichende — Vorbilder zu-
gänglich zu machen. Die Gegenwart glaubt wie-
der an sich und die eigene Gestaltungskraft und
ist nicht mehr so ganz davon überzeugt, daß die
Werke früherer Zeiten unter allen Umständen
überlegen sind. In einer solchen Zeit hat ein
Museum alten Stils Mühe, sich zu behaupten, und
es ist ja auch nicht zu verkennen, daß das Inter-
esse an den einseitig historisch gerichteten
Museen nicht gerade im Wachsen ist. Es wäre
verhängnisvoll, wollte man diese Erscheinung,
die zweifellos mit dem Erstarken des Gegen-
wartsgefühls zusammenhängt, nur positiv wer-
ten: Die Gefahr einer Einengung des Horizon-
tes und damit eines Verfalls der Bildung droht
unmittelbar — man möchte manchmal glauben,
daß wir der Katastrophe schon sehr nahe sind,
docn täuscht da hoffentlich der Eindruck! —, und
man muß deshalb die Frage der Museen so ernst
als möglich nehmen. Aber gerade deshalb darf
man nicht glauben, daß die Aufgabe des Muse-
ums heute noch die gleiche wie vor 1900 ist.
Auch das der Vergangenheit gewidmete Museum
wird seiner Aufgabe nur dann ganz gerecht wer-
den, wenn es diese Vergangenheit, deren Denk-
mäler mit aller Sorgfalt und Liebe zu sammeln
und zu bewahren sind, mit der Gegenwart in
möglichst lebendige Beziehung bringt, wenn es
also aus seiner Abgeschlossenheit in die Be-
wegtheit und Problematik des Tages heraustritt.
Manche Museen haben damit bereits angefan-
gen. Aber es genügt noch nicht, daß man die
Kunst der letzten Gegenwart mehr als bisher
berücksichtigt, — vielmehr besteht gerade dabei
die Gefahr, daß nun auch diese Werke der
Gegenwart sozusagen ins Historische distanziert
werden. Und so könnte es von der heilsamsten
Wirkung sein, wenn in einem neuen Museum ein-
mal diese Verbindung mit dem „lebendigen
Tage" aufs stärkste betont würde. Dadurch wäre
nicht notwendig jede Berücksichtigung früherer
Dinge ausgeschlossen: man könnte sehr wohl
daran denken, dieses „Museum der Gegenwart"
mit jenem „Museum der ewigen Formen" zu ver-

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