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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Lotz, Wilhelm: Das Kunstgewerbe unserer Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0233
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Ergebnisse eines Wettbewerbs. Aus der Zeitschrift „La Renaissance". Wehe, wenn Funktionen formal - dekorativ dar-
gestellt werden!

men immer wieder neu gestaltet, immer feiner
und edler im gleichen Sinne.

Das neunzehnte Jahrhundert hat den Gegen-
ständen des Gebrauchs etwas Besonderes geben
wollen, indem es sie mit Zierformen versehen
hat: „Kunsf'-Gewerbe. Das, was man unter
Kunst verstand, sollte den Objekten ein Plus ver-
leihen, das die vorwiegend optisch-dekorativ ein-
gestellten Menschen jener Zeit verlangten. Die
Gestaltung ist nicht nur eine Frage der Theorie,
sondern eine Frage des Lebens. Nicht der
Schaffende allein ist Träger des Zeitgefühls,
sondern auch der, der nach diesen Gegenständen
fragt. Zu allen Zeiten hat der Mensch mehr ver-
langt als Brot, er wollte Dekoration, Unterhal-
tung, Bequemlichkeit oder religiöse Weihe.

Dieses Mehr, das der Mensch verlangt, ist
nicht in allen Zeiten gleicher Natur. Es ist
irgendwie mit größeren Mächten der Zeit verbun-
den. Stark religiöse Zeiten verlangen vom ge-
ringsten Gerät, daß es Inkarnation der Gottheit
oder Dienst am Göttlichen ist. So entstand das
religiöse Gewerbe. Sinnlichkeit in jeder Äuße-
rung, auch in der Schaffung von Formen und
Farben, ist dem Religiösen untergeordnet. Die

Fürsten verlangten vom Handwerk Prunkstücke,
reich in Formen, Arbeit und Material. Der Bürger
übernahm jenes Prunkverlangen und das Hand-
werk mußte Dekoration, handwerkliche Artistik
und reale Werte schaffen. So entstand im neun-
zehnten Jahrhundert das, was wir als Kunstge-
werbe bezeichnen.

Glauben wir nicht, daß jenes Bedürfnis nach
einem Mehrwert je entschwinden wird. Es äußert
sich auch heute. Die Mode schafft immer andere
fantastische Gebilde, die Menschen wollen Auto
fahren, nicht nur um Zeit zu sparen, sondern auch
weil sie eine so wundervoll funktionierende Ma-
schine besitzen wollen. Wir verlangen von den
Objekten, die uns umgeben, daß sie glänzend
funktionieren. Wir haben Radio, Grammophon,
elektrische Brotröster. Wir haben diese Dinge
nicht nur gern, weil sie uns das Leben bequem
machen, sondern weil wir Freude an der tech-
nischen Funktion haben.

Vielleicht wird es so, daß dieses wundervolle
Funktionieren uns auf eine lange Zeitspanne hin
ein Plus ist. Vielleicht stellen die technischen
Gerätschaften das Kunstgewerbe unserer Zeit
dar. W. Lötz

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