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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Wichert, Fritz: Die Frankfurter Schule für freie und angewandte Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0422
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Wir müssen uns ja ohnehin damit abfinden, daß
das ganze Gebiet dieser Seite gestaltender Arbeit,
da es von wirtschaftlichen Gesetzen mitbestimmt
wird, heute einen stark modeartigen Charakter an-
nimmt. Diese Feststellung gilt von der Werbegrafik,
von der Gerätekunst, von der Textilkunst und —
leider Gottes — selbst von der Architektur. Aber
der Künstler braucht nicht ohne weiteres vor der
Wirtschaft zu kapitulieren. Er hat es in der Hand,
die Bewegung zum mindesten aufzuhalten und die
Geschmacksentwickelung, soweit sie modisch labil
geworden ist, wieder fester im Kunststil zu ver-
ankern.

Ist nun die Mode unter allen Betätigungen der
angewandten Gestaltung vielleicht am stärksten
vom geschäftlichen Bedürfnis nach Wechsel be-
stimmt, so hat sie, gleichsam als Kompensation für
diese Schwäche, doch auch eine Wesensseite, die
ihr fast größere künstlerische Möglichkeiten verleiht
als sie das ganze übrige Kunstgewerbe besitzt: Sie
ist nämlich dem eigentlichen Ausdrucksträger aufs
allerengste verbunden. Das Kleid, das den Körper
umschließt und sich in unmittelbarer Berührung auf
seine Gestalt bezieht, erscheint demnach als ein
lineares, plastisches und farbiges Ausdrucksmittel,
wie es der Mensch sonst nicht mehr besitzt. Fine
birds have fine feathers.

Die „Mode" als Kunst ist ein dem Tanz verwand-
tes Ausdrucksgebiet. Als Weiterführung der körper-
lichen Plastik ist sie zunächst mehr auf die unbe-
wegte Form angewiesen, doch wie sie dem Körper
dient, gewinnt sie durch die Beweglichkeit des Kör-
pers auch wieder unerhörte Entfaltungsmöglichkei-
ten. Sie kann sogar so stark werden im Unterstrei-
chen dieser Beziehung zur Bewegung, daß sie nun
wieder ihrerseits Gang, Haltung und schließlich
sogar den ganzen Ausdruck des menschlichen Trä-
gers unwiderstehlich formt. Kleider machen Leute.
So bestimmt tatsächlich die große Mode, also das,
was erst als Erweiterung des menschlichen Aus-
druckes und als Gestaltung des Körpergefühls ge-
schaffen wurde, die Ausdrucksfähigkeit von Millionen
von Menschen und macht sie uniform. Was tut die
Kunst andres und warum sollte eine Kunstschule
sich die Gelegenheit entgehen lassen, die Methode
ihrer Erziehung zur Gestaltung an einer so klaren
und mächtigen Aufgabe zu erproben. Leicht ist
diese Aufgabe nun allerdings nicht. Sie wimmelt von
Gefahren. Die Gefahr einer zu weitgehenden Be-
rücksichtigung des Technischen und Reproduktiven
läßt sich nur vermeiden, wenn die Leitung der Ab-
teilung für Mode in den Händen eines Menschen mit
künstlerischer Gestaltungskraft liegt. Die Gefahr
des kostümlichen Dilettantismus wird dagegen ein-
treten, wenn die Leitung das Wesen der Mode und
der Modellarbeit als eines wirtschaftlichen und
technischen Berufsgebietes nicht hinreichend be-
herrscht. Die Modeabteilung der Frankfurter Schule
unter Frau Klimt bildet Kräfte heran, die nach voll-
endetem technischen und künstlerischen Studium
fähig sein sollen, die hier angedeuteten allgemeinen
Grundsätze der Gestaltung des Kleides (als einer

Weiterführung und Ausprägung des plastischen und
farbigen Körperausdruckes) in leitenden Stellen der
Modeindustrie zu betätigen und so dem Qualitäts-
gedanken zu dienen.

Schluß.

Wir haben versucht, das Wesen der Frankfurter
Schule für freie und angewandte Kunst theoretisch
abzuleiten und zu kennzeichnen. Das Entscheidende
ist die bewußte Einstellung der Aufgabe auf die
Überwindung von Gegensätzen, wie sie in den Be-
griffen freie und angewandte Kunst, organisches
Leben und Konstruktion, Handwerk und Industrie,
Berufsausbildung und freie Gestaltungsarbeit her-
vortreten. Gelingt die Uberbrückung, so ist tatsäch-
lich das Größte geleistet. Man darf sich aber darin
nicht täuschen, daß eine solche synthetische
Leistung einen Zustand des labilen Gleichgewichts
darstellt, der sich nur durch sorgfältigste Über-
wachung und regulierende Einflußnahme aufrecht-
erhalten oder steigern läßt. Dies ist die besondere
Aufgabe des Leiters. Er hat durch schärfste Beob-
achtung des ganzen Lehrbetriebes und der Auswir-
kungen der Organisation seiner Anstalt jeweils fest-
zustellen, ob sich das Ganze nicht allzusehr nach
der einen oder anderen Seite verschiebt und da-
durch an Gültigkeit verliert. Zeigt sich eine solche
Gefahr, so müssen unverzüglich ausgleichende Maß-
nahmen getroffen werden. So wird die Leitung einer
solchen Kunstschule ähnlich dem Ringen um die
Probleme der Formgebung selbst zu einer Dauer-
anspannung, in der die Leiden des Sisyphus, des
Tantalus und des Prometheus sich qualvoll ver-
einigen.

Im übrigen ist die Form der Frankfurter Kunst-
schule nicht von ungefähr, sondern auf Grund einer
langen Überlieferung der Kunstpflege in Frankfurt
entstanden. Die Schule ist ein Neubau auf den Fun-
damenten zweier älterer Anstalten, der Zeichenaka-
demie des Städelschen Instituts und der Kunstge-
werbeschule der Polytechnischen Gesellschaft. Von
diesen beiden gemeinnützigen, aus privater Initiative
entstandenen Einrichtungen könnte die eine jetzt
auf 100, die andere auf 50 Jahre ihres Bestehens
zurückblicken. Beide wären in der Inflationszeit für
immer verschwunden, wenn sich die Stadt nicht ver-
pflichtet gefühlt hätte, die von ihnen geleistete
Arbeit aufzunehmen und weiterzuentwickeln.

Die Kunstschulen sind neben den Universitäten
die kostspieligsten Bildungsanstalten, die es gibt.
Sie gehören zur Gattung kommunaler Kulturleistun-
gen, die, wenn nicht jenseits, so doch hart an der
Grenze des Kreises der Pflichtaufgabe unserer
Großstädte liegen. Aber gerade auf diesem Gebiet,
in der freiwilligen Übernahme von Kulturaufgaben
können die regionalen Mittelpunkte im Reich ihre
Vitalität erweisen, die nicht nur in der Erzeugung
und dem Umsatz von materiellen Gütern, sondern
ebenso bestimmt in der ideellen Schöpferkraft zu-
tage tritt.

F. Wiehert

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