sofern wir uns als Teile der neuen Kindheit fühlen,
vertrauen können, daß wir richtig funktionierend das
Zukünftige, wenn auch nicht immer im einzelnen rich-
tig, so doch im wesentlichen Ganzen der neuen Zeit
entsprechend erschauen werden. Denn unser Ahnen
hat wieder Geltung in der Welt erhalten, auch in die-
ser bewußteren Welt konnte es Geltung erlangen,
weil es bis in eine beträchtliche Tiefe der alten
mystischen Schleier entkleidet ist. Wir haben auch
keinen Grund mehr, über ein Schwinden der Tradi-
tion in den Erscheinungen zu lamentieren. Wissen
wir nun doch besser als je, daß wir in unserer Seele
unentrinnbar mit aller vergangenen Menschheit ver-
bunden sind, daß wir gerade in der Unbefangenheit
das aller Menschheit Wesentlichste vollbringen
werden.
Aber es handelt sich zunächst um die Deutung
auch der anscheinend banalsten Dinge, der Lebens-
erscheinungen, die in nackter Konkretheit gegeben
sind. Es gilt, sie als Produkte einer kindlichen Seele
zu erkennen. — Wie in aller Kindheit, hat auch in
unserer Zeit das Kollektive vor dem Individuellen.
Persönlichen Geltung. Wie in aller Kindheit ist uns
zunächst das Bemühen um die Entwicklung unseres
Leibes, das Materielle vordringlich und vor allem
anderen bewußt. Statische und dynamische Tat-
sachen sind uns erregende Sensationen. — In der
kollektiven Menschheit existieren die verschiedenen
Stufen des Jugendalters gleichzeitig nebeneinan-
der. Das Fortschreiten in der Entwicklung der
jugendlichen Seele äußert sich in der Fantasie, in
einer kindlichen Kunst, die versteht, das Gemeinte
von dem Nichtgemeinten zu trennen und sich im Ele-
mentaren zu genügen. Die primitiven Formen wer-
den bei Nachahmung und eigener Produktion bevor-
zugt. Die Frauen schreiten einher im Gewände der
kleinen Mädchen und die Männer machen sich ein
Vergnügen daraus, sich boxend mit Fäusten ins bart-
lose Gesicht zu schlagen, genau wie die Knaben.
Das erwachte Bewußtsein vom Körperlichen genießt
sich im Sport, im Sport als einem Spiel um des Spie-
les willen. — Auch die Geistigkeit des Jünglings-
alters fordert ihre Geltung im Kollektivgeiste unse-
rer Zeit. Sie zweifelt an der Gültigkeit alles Über-
lieferten, tastet an die höchsten Natur- und Geistes-
gesetze und verschafft ihrer eigenen Meinung Gehör.
Sie trachtet nach der Erfüllung des Ideals, hat den
Willen zum eigenen Stil und geht so weit, daß sie
auch die Nüchternheit mit Schwärmerei betreiben
kann. Die Vollendung der Persönlichkeit ist noch ein
fernes Ziel.
Das gesamte Inventar der jugendlichen Seele ist
in den psychisch treibenden Kräften des modernen
kollektiven Menschen vertreten, der in sich die indi-
viduellen Menschen in allen Lebensaltern umschließt.
Wo irgend noch Alter als solches ist, wird es in der
heutigen Welt nicht schöpferisch wirksam. Die Be-
deutung seiner Formen, die in der Quantität des Rau-
mes noch mannigfaltig unser Leben beherrschen,
erhalten in unserer Zeit ein anderes Vorzeichen, in-
dem z. B. an Stelle der Mechanistik, der die Men-
schen dienten, Menschen treten, die sich der Mecha-
nik bedienen. Freilich durch einen Charakterzug
sind wir dem Alter oder wenigstens der Reife ähn-
lich; es ist der hohe Grad unserer Bewußtheit, die
Kapazität, die ihr als formende Kraft in der neuen
Zeit zukommt. Diese Bewußtheit ist uns aber weni-
ger durch unsere Zugehörigkeit zum gegenwärtigen
Kollektivum eigen, sondern durch diese Bewußtheit
vollzieht sich in uns eine über alle Menschheit seit
ihrem Anbeginn reichende Entwicklung, wie sie Hegel
als wesentlichen Inhalt des geschichtlichen Ge-
schehens, als die Entwicklung des Geistes zur
Selbsterkenntnis im Menschen dargestellt hat. In
diesem Sinne ist die neuerworbene Kenntnis des un-
und unterbewußten Teiles unserer Seele eine der
höchsten Stufen innerhalb eines kontinuierlichen
Aufstiegs.
Keineswegs würde dieses Material lediglich einer
nur psychologischen Deutung dienen können. Son-
dern was für Eindrücke und Strebungen unser Han-
deln bestimmen mögen, immer ist unsere Seele der
Durchgangsort von der passiven Reaktion zur Akti-
vität. Eine wirkliche Formdeutung kommt doch immer
erst durch einen Schluß auf die Wirklichkeit eines
Seelenlebens zustande, das sich in der betreffenden
Form vollendet, für die sie, wenn nicht ein Symbol,
so doch wenigstens ein sicheres Zeichen ist. Beide,
das individuelle Kind und der Mensch einer kollek-
tiven Kindheit, können in keiner Nuance der Dinge,
die sie hervorbringen, den Charakter der Kindlich-
keit verleugnen. Zur Deutung ihrer Produkte ist die
Kenntnis ihres kindlichen Ursprungs unerläßlich.
Die individuelle Absicht ist innerhalb des Kollek-
tivwillens eine absichtslose Funktion, die Formen,
die sie hervorbringt, sind daher Wesensausdruck im
Sinne der Schriftzeichen einer Handschrift. Wenn
die Handschrift einer Kollektivmenschheit für die
Kollektivseele vorläufig so viel weniger Aufschluß
gebend war als die individuelle Handschrift für den
Charakter des einzelnen, so liegt das lediglich an
der geringeren Intensität der Deutungsbemühung, am
Fehlen einer ernsthaften Morphologie unserer Zeit.
Wir müssen uns erst mal von einem Ethnologen wie
Frobenius entdecken lassen, vielleicht wird es dann
besser bestellt sein um unsere Selbstschau. An ein-
gehenden Deutungen unserer Zeit in und aus ihrer
Allgemeinheit sind wir ebenso reich, wie wir an tief-
gründigen Deutungen alles einzelnen in der Formen-
welt unserer Zeit arm sind.
Eine Allgemeindeutung, die sich nicht auch für das
Einzelne gültig erweist, ist nichts als eine leere
Ideologie, ebenso wie eine Deutung von Einzelfor-
men nur durch Bezugnahme auf Allgemeines wesent-
lich sein kann. Es gibt kein von Menschen geform-
tes, fertiges Ganzes, das in seiner Form ausschließ-
lich der nur ihm allein eigenen praktischen Zweck-
mäßigkeit entspricht, auch keines, das nur für sich
allein „schön" sein könnte. Die Form eines Autos
ist nicht weniger komplex als eine Handschrift;
immer ist in ihnen der ganze Mensch, hier das Indivi-
duum, dort der Kollektivmensch vertreten. Wir dür-
fen nicht vergessen, daß ebenso wie die Kleider-
mode auch das Auto und alle modernen Formen Kol-
lektivprodukte sind, daß individuelle Mitarbeit heute
nur als Funktion des Ganzen bedeutungsvolle For-
men hervorbringt. Die individuelle Form kann und
wird erst wieder in einer anderen Altersstufe unse-
rer kulturellen Entwicklung allgemeine Bedeutung
gewinnen. Es ist dies eben ein Wunschziel des
jünglinghaften Teils unserer Seele.
Es ist an der Zeit, uns die Aufdeckung unseres
tiefsten Seelenlebens auch für die Formendeutung
nutzbar zu machen. Wir werden dann einen Be-
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vertrauen können, daß wir richtig funktionierend das
Zukünftige, wenn auch nicht immer im einzelnen rich-
tig, so doch im wesentlichen Ganzen der neuen Zeit
entsprechend erschauen werden. Denn unser Ahnen
hat wieder Geltung in der Welt erhalten, auch in die-
ser bewußteren Welt konnte es Geltung erlangen,
weil es bis in eine beträchtliche Tiefe der alten
mystischen Schleier entkleidet ist. Wir haben auch
keinen Grund mehr, über ein Schwinden der Tradi-
tion in den Erscheinungen zu lamentieren. Wissen
wir nun doch besser als je, daß wir in unserer Seele
unentrinnbar mit aller vergangenen Menschheit ver-
bunden sind, daß wir gerade in der Unbefangenheit
das aller Menschheit Wesentlichste vollbringen
werden.
Aber es handelt sich zunächst um die Deutung
auch der anscheinend banalsten Dinge, der Lebens-
erscheinungen, die in nackter Konkretheit gegeben
sind. Es gilt, sie als Produkte einer kindlichen Seele
zu erkennen. — Wie in aller Kindheit, hat auch in
unserer Zeit das Kollektive vor dem Individuellen.
Persönlichen Geltung. Wie in aller Kindheit ist uns
zunächst das Bemühen um die Entwicklung unseres
Leibes, das Materielle vordringlich und vor allem
anderen bewußt. Statische und dynamische Tat-
sachen sind uns erregende Sensationen. — In der
kollektiven Menschheit existieren die verschiedenen
Stufen des Jugendalters gleichzeitig nebeneinan-
der. Das Fortschreiten in der Entwicklung der
jugendlichen Seele äußert sich in der Fantasie, in
einer kindlichen Kunst, die versteht, das Gemeinte
von dem Nichtgemeinten zu trennen und sich im Ele-
mentaren zu genügen. Die primitiven Formen wer-
den bei Nachahmung und eigener Produktion bevor-
zugt. Die Frauen schreiten einher im Gewände der
kleinen Mädchen und die Männer machen sich ein
Vergnügen daraus, sich boxend mit Fäusten ins bart-
lose Gesicht zu schlagen, genau wie die Knaben.
Das erwachte Bewußtsein vom Körperlichen genießt
sich im Sport, im Sport als einem Spiel um des Spie-
les willen. — Auch die Geistigkeit des Jünglings-
alters fordert ihre Geltung im Kollektivgeiste unse-
rer Zeit. Sie zweifelt an der Gültigkeit alles Über-
lieferten, tastet an die höchsten Natur- und Geistes-
gesetze und verschafft ihrer eigenen Meinung Gehör.
Sie trachtet nach der Erfüllung des Ideals, hat den
Willen zum eigenen Stil und geht so weit, daß sie
auch die Nüchternheit mit Schwärmerei betreiben
kann. Die Vollendung der Persönlichkeit ist noch ein
fernes Ziel.
Das gesamte Inventar der jugendlichen Seele ist
in den psychisch treibenden Kräften des modernen
kollektiven Menschen vertreten, der in sich die indi-
viduellen Menschen in allen Lebensaltern umschließt.
Wo irgend noch Alter als solches ist, wird es in der
heutigen Welt nicht schöpferisch wirksam. Die Be-
deutung seiner Formen, die in der Quantität des Rau-
mes noch mannigfaltig unser Leben beherrschen,
erhalten in unserer Zeit ein anderes Vorzeichen, in-
dem z. B. an Stelle der Mechanistik, der die Men-
schen dienten, Menschen treten, die sich der Mecha-
nik bedienen. Freilich durch einen Charakterzug
sind wir dem Alter oder wenigstens der Reife ähn-
lich; es ist der hohe Grad unserer Bewußtheit, die
Kapazität, die ihr als formende Kraft in der neuen
Zeit zukommt. Diese Bewußtheit ist uns aber weni-
ger durch unsere Zugehörigkeit zum gegenwärtigen
Kollektivum eigen, sondern durch diese Bewußtheit
vollzieht sich in uns eine über alle Menschheit seit
ihrem Anbeginn reichende Entwicklung, wie sie Hegel
als wesentlichen Inhalt des geschichtlichen Ge-
schehens, als die Entwicklung des Geistes zur
Selbsterkenntnis im Menschen dargestellt hat. In
diesem Sinne ist die neuerworbene Kenntnis des un-
und unterbewußten Teiles unserer Seele eine der
höchsten Stufen innerhalb eines kontinuierlichen
Aufstiegs.
Keineswegs würde dieses Material lediglich einer
nur psychologischen Deutung dienen können. Son-
dern was für Eindrücke und Strebungen unser Han-
deln bestimmen mögen, immer ist unsere Seele der
Durchgangsort von der passiven Reaktion zur Akti-
vität. Eine wirkliche Formdeutung kommt doch immer
erst durch einen Schluß auf die Wirklichkeit eines
Seelenlebens zustande, das sich in der betreffenden
Form vollendet, für die sie, wenn nicht ein Symbol,
so doch wenigstens ein sicheres Zeichen ist. Beide,
das individuelle Kind und der Mensch einer kollek-
tiven Kindheit, können in keiner Nuance der Dinge,
die sie hervorbringen, den Charakter der Kindlich-
keit verleugnen. Zur Deutung ihrer Produkte ist die
Kenntnis ihres kindlichen Ursprungs unerläßlich.
Die individuelle Absicht ist innerhalb des Kollek-
tivwillens eine absichtslose Funktion, die Formen,
die sie hervorbringt, sind daher Wesensausdruck im
Sinne der Schriftzeichen einer Handschrift. Wenn
die Handschrift einer Kollektivmenschheit für die
Kollektivseele vorläufig so viel weniger Aufschluß
gebend war als die individuelle Handschrift für den
Charakter des einzelnen, so liegt das lediglich an
der geringeren Intensität der Deutungsbemühung, am
Fehlen einer ernsthaften Morphologie unserer Zeit.
Wir müssen uns erst mal von einem Ethnologen wie
Frobenius entdecken lassen, vielleicht wird es dann
besser bestellt sein um unsere Selbstschau. An ein-
gehenden Deutungen unserer Zeit in und aus ihrer
Allgemeinheit sind wir ebenso reich, wie wir an tief-
gründigen Deutungen alles einzelnen in der Formen-
welt unserer Zeit arm sind.
Eine Allgemeindeutung, die sich nicht auch für das
Einzelne gültig erweist, ist nichts als eine leere
Ideologie, ebenso wie eine Deutung von Einzelfor-
men nur durch Bezugnahme auf Allgemeines wesent-
lich sein kann. Es gibt kein von Menschen geform-
tes, fertiges Ganzes, das in seiner Form ausschließ-
lich der nur ihm allein eigenen praktischen Zweck-
mäßigkeit entspricht, auch keines, das nur für sich
allein „schön" sein könnte. Die Form eines Autos
ist nicht weniger komplex als eine Handschrift;
immer ist in ihnen der ganze Mensch, hier das Indivi-
duum, dort der Kollektivmensch vertreten. Wir dür-
fen nicht vergessen, daß ebenso wie die Kleider-
mode auch das Auto und alle modernen Formen Kol-
lektivprodukte sind, daß individuelle Mitarbeit heute
nur als Funktion des Ganzen bedeutungsvolle For-
men hervorbringt. Die individuelle Form kann und
wird erst wieder in einer anderen Altersstufe unse-
rer kulturellen Entwicklung allgemeine Bedeutung
gewinnen. Es ist dies eben ein Wunschziel des
jünglinghaften Teils unserer Seele.
Es ist an der Zeit, uns die Aufdeckung unseres
tiefsten Seelenlebens auch für die Formendeutung
nutzbar zu machen. Wir werden dann einen Be-
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