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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0171
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Periode, die Wert darauf legte, daß jede Schöpfung
absichtlich anders aussah, verloren gegangen ist.
Mies van der Rohe pflegt immer zu betonen, daß
die einfache Form höchste Ansprüche stellt, das
heißt, daß ihre Gestaltung nicht Ergebnis redu-
zierenden Abstreichens ist, sondern ein schöpfe-
rischer Vorgang.

EIN BEITRÄG ZUM THEMA REICHSADLER

Über dieses Thema ist schon viel geschrieben
und gesprochen worden. Der Reichskunstwart hat
sich viel Mühe gegeben, dem Hoheitszeichen des
Reiches eine neue und eindrucksvolle Form zu
geben und hier durch seine Arbeit auch manches
erreicht. Über diese Arbeiten soll hier nicht ge-
sprochen werden. Wichtig ist es, daß ein Schema
für die Gestaltung vorliegt, das einer besonderen
Gestaltung die noch nötige Freiheit gibt. Und das
ist gut so, denn es wäre sicherlich nicht gut, wenn
in einer künstlerisch so bewegten Zeit wie der unse-
ren eine Form geprägt würde, die nicht mehr wand-
lungsfähig und verbesserungsfähig ist. Es darf also
keine Norm gegeben werden, sondern nur ein Typus,
der noch die Möglichkeit zu weiterer Entwicklung
und Durchformung bietet. Eine Norm ist etwas Star-
res, ein Typus trägt das Zeichen organischer Ent-
wicklung und lebendiger Angleichung an die Zeit in
sich. Wir bilden aus der vorher erwähnten Ausstel-
lung „Arbeiten deutscher Holzwerkstätten" Zwei Reichsadler in Bronze von Ludwig Gies, Berlin. Am Neubau der

° Reichskanzlei

Adler in Holz ab, die in der Arbeitsgemeinschaft

Winde entstanden sind. Es sind ziemlich freie Mit nicht geringem Bedauern vergleicht man die Auf-
Schülerarbeiten, gut aus dem Material herausgeholt nahmen dieser Adler mit der Art ihrer Anbringung
und eindrucksvoll in ihrer Form. Zwei Stempel, die am Gebäude. Sie sind dort durch die architekto-
der gleiche Schüler geschnitten hat, zeigen die nische Bindung und Einengung in ihrem Gehalt an
Ubersetzung in die Fläche. Daneben zeigen wir zwei Spannungselementen und lebendig bewegter Form
Adler von Ludwig Gies, die, in Bronze gegossen. vollkommen totgemacht. Ein Beitrag zu dem Kapitel
am Neubau der Reichskanzlei Verwendung fanden. Architektur und Plastik! Wenn der Architekt die Pla-
Der eine Adler ist am Turm vor einem quadratischen stik als untergeordneten Schmuck und Detail ansieht.
Stein angebracht, der die Fahnenstange trägt, der kann sie ihr Eigenleben nicht entwickeln und zur Dar-
andere im Oberlicht der Eingangstür. Das Motiv des Stellung bringen. Sobald man aus der Plastik ein
Reichsadlers ist hier einer Formschöpfung zugrunde Ornament macht, wird ihr der Atem abgedrosselt. Es
gelegt, die auf einer sehr eigenartigen und starken hat natürlich Zeiten gegeben, in denen die Plastik
Spannung der Linien- und Flächenführung beruht. notwendiges Architekturdetail war, wie am Dresde-
Es handelt sich um eine durchaus künstlerische ner Zwinger. Heute ist die Lage anders, und alle
Übersetzung, bei der der formale Gehalt an Span- Versuche, diese beiden Elemente, die natürlich
nung und Lebendigkeit wichtiger ist als das Motiv. innerlichen Zusammenhang haben, äußerlich deko-

Reichsadler in Bronze von Ludwig Gies, Berlin. Über dem Portal des Neubaues der Reichskanzlei

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