beim künstlerischen Schaffen zu überwinden. Alles künstlerische Schaffen ist allogisch. Es
gibt künstlerische Formen, die abstrakt sind, mit Menschenwissen unbeweisbar; sie hat sie
zu allen Zeiten gegeben, aber stets wurden sie getrübt von Menschenwissen, Menschenwollen.
Der Glaube an die Kunst an sich fehlte, wir wollen ihn aufrichten: er lebt auf der ,,anderen
Seite“.
Wir müssen von nun an verlernen, die Tiere und Pflanzen auf uns zu beziehen und unsre
Beziehung zu ihnen in der Kunst darzustellen. Das ist vorbei, muß vorbei sein oder wird
eines Tages — oh, des glücklichen Tages! — vorbei sein. Jedes Ding auf der Welt hat seine
Formen, seine Formel, die nicht wir erfinden, die wir nicht mit unsern plumpen Händen
abtasten können, sondern die wir intuitiv in dem Grade fassen, als wir künstlerisch begabt
sind. Es wird immer Stückwerk bleiben, solange wir in diesem erdgebundenen Dasein stehen,
— aber glauben wir nicht an die Metamorphose? Wir Künstler alle, — weshalb suchten wir
ewig die metamorphen Formen?, die Dinge, wie sie wirklich sind, hinter dem Schein?
Die absolute Malerei
Die Dinge reden, in den Dingen ist Wille und Form; warum sollen wir dazwischen
sprechen? Wir haben nichts Kluges ihnen zu sagen. Haben wir nicht die tausendjährige Er-
fahrung, daß die Dinge um so stummer werden, je deutlicher wir ihnen den optischen Spiegel
ihrer Erscheinung vorhalten? Der Schein ist ewig flach, aber zieht ihn fort, ganz fort, ganz
aus eurem Geist weg — denkt euch fort samt eurem Weltbild —, die Welt bleibt in ihrer
wahren Form zurück, und wir Künstler ahnen diese Form; ein Dämon gibt uns zwischen die
Spalten der Welt zu sehen und in Träumen führt er uns hinter die bunte Bühne der Welt.
Vorrede zum streiten Buch ..Der blaue Reiter" (das nicht mehr erscheinen konnte')
Noch einmal und noch vielemal wird hier der Versuch gemacht, den Blick des sehn-
süchtigen Menschen von dem schönen und guten Schein, dem ererbten Besitz der alten Zeit
hinweg zum schauerlichen, dröhnenden Sein zu wenden.
Wo die Führer der Menge nach rechts weisen, gehen wir nach links; wo sie ein Ziel
zeigen, kehren wir um; wovor sie warnen, da eilen wir hin.
Die Welt ist zum Ersticken voll. Auf jeden Stein hat der Mensch ein Pfand seiner Klug-
heit gelegt. Jedes Wort ist gepachtet und belehnt. Was kann man tun zur Seligkeit als alles
auf geben und fliehen? als einen Strich ziehen zwischen dem Gestern und Heute?
In dieser Tat liegt die große Aufgabe unsrer Zeit; die eine, für die es sich lohnt zu leben
und zu sterben. In diese Tat mischt sich keine Verachtung gegen die große Vergangenheit. Wir
aber wollen anderes; wir wollen nicht wie die lustigen Erben leben, leben von der Vergangen-
heit. Und wenn wir es wollten, könnten wir es nicht. Das Erbe ist aufgezehrt; mit Surrogaten
macht sich die Welt gemein.
So wandern wir fort in neue Gebiete und erleben die große Erschütterung, daß alles noch
unbetreten, ungesagt ist, undurchfurcht und unerforscht. Die Welt liegt rein vor uns; unsre
Schritte zittern. Wollen wir wagen zu gehen, so muß die Nabelschnur durchschnitten werden,
die uns mit der mütterlichen Vergangenheit verbindet.
Die Welt gebiert eine neue Zeit; es gibt nur eine Frage: ist heute die Zeit schon gekom-
men, sich von der alten Welt zu lösen? Sind wir reif für die vita nuova? Dies ist die bange
gibt künstlerische Formen, die abstrakt sind, mit Menschenwissen unbeweisbar; sie hat sie
zu allen Zeiten gegeben, aber stets wurden sie getrübt von Menschenwissen, Menschenwollen.
Der Glaube an die Kunst an sich fehlte, wir wollen ihn aufrichten: er lebt auf der ,,anderen
Seite“.
Wir müssen von nun an verlernen, die Tiere und Pflanzen auf uns zu beziehen und unsre
Beziehung zu ihnen in der Kunst darzustellen. Das ist vorbei, muß vorbei sein oder wird
eines Tages — oh, des glücklichen Tages! — vorbei sein. Jedes Ding auf der Welt hat seine
Formen, seine Formel, die nicht wir erfinden, die wir nicht mit unsern plumpen Händen
abtasten können, sondern die wir intuitiv in dem Grade fassen, als wir künstlerisch begabt
sind. Es wird immer Stückwerk bleiben, solange wir in diesem erdgebundenen Dasein stehen,
— aber glauben wir nicht an die Metamorphose? Wir Künstler alle, — weshalb suchten wir
ewig die metamorphen Formen?, die Dinge, wie sie wirklich sind, hinter dem Schein?
Die absolute Malerei
Die Dinge reden, in den Dingen ist Wille und Form; warum sollen wir dazwischen
sprechen? Wir haben nichts Kluges ihnen zu sagen. Haben wir nicht die tausendjährige Er-
fahrung, daß die Dinge um so stummer werden, je deutlicher wir ihnen den optischen Spiegel
ihrer Erscheinung vorhalten? Der Schein ist ewig flach, aber zieht ihn fort, ganz fort, ganz
aus eurem Geist weg — denkt euch fort samt eurem Weltbild —, die Welt bleibt in ihrer
wahren Form zurück, und wir Künstler ahnen diese Form; ein Dämon gibt uns zwischen die
Spalten der Welt zu sehen und in Träumen führt er uns hinter die bunte Bühne der Welt.
Vorrede zum streiten Buch ..Der blaue Reiter" (das nicht mehr erscheinen konnte')
Noch einmal und noch vielemal wird hier der Versuch gemacht, den Blick des sehn-
süchtigen Menschen von dem schönen und guten Schein, dem ererbten Besitz der alten Zeit
hinweg zum schauerlichen, dröhnenden Sein zu wenden.
Wo die Führer der Menge nach rechts weisen, gehen wir nach links; wo sie ein Ziel
zeigen, kehren wir um; wovor sie warnen, da eilen wir hin.
Die Welt ist zum Ersticken voll. Auf jeden Stein hat der Mensch ein Pfand seiner Klug-
heit gelegt. Jedes Wort ist gepachtet und belehnt. Was kann man tun zur Seligkeit als alles
auf geben und fliehen? als einen Strich ziehen zwischen dem Gestern und Heute?
In dieser Tat liegt die große Aufgabe unsrer Zeit; die eine, für die es sich lohnt zu leben
und zu sterben. In diese Tat mischt sich keine Verachtung gegen die große Vergangenheit. Wir
aber wollen anderes; wir wollen nicht wie die lustigen Erben leben, leben von der Vergangen-
heit. Und wenn wir es wollten, könnten wir es nicht. Das Erbe ist aufgezehrt; mit Surrogaten
macht sich die Welt gemein.
So wandern wir fort in neue Gebiete und erleben die große Erschütterung, daß alles noch
unbetreten, ungesagt ist, undurchfurcht und unerforscht. Die Welt liegt rein vor uns; unsre
Schritte zittern. Wollen wir wagen zu gehen, so muß die Nabelschnur durchschnitten werden,
die uns mit der mütterlichen Vergangenheit verbindet.
Die Welt gebiert eine neue Zeit; es gibt nur eine Frage: ist heute die Zeit schon gekom-
men, sich von der alten Welt zu lösen? Sind wir reif für die vita nuova? Dies ist die bange