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Franzius, Georg
Kiautschou: Deutschlands Erwerbung in Ostasien — 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.47948#0088
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Streit erschlagener Chinesen in der Sonne bleichend zu finden, aber ich
erinnerte mich, daß es der unberechtigten Richtwege auch in unsern
Feldern noch genug giebt. Der Chinese schreit und schimpft zwar leicht,
weicht aber dem ernsten Streite gern aus. Dafür gab mir mein
Kollege H. einen netten Beleg. Er war als Vertrauensmann des nut
dem schönen, zu deutsch „Erst köpfen, dann berichten" lautenden Titel
geschmückten, höchstkommandierenden chinesischen Generals nach Norden
gegen die Japaner gezogen. Nahe vor dem Feinde kam spät in der
Nacht noch ein hoher Offizier zu ihm, um nach vielen höflichen Redens-
arten zu fragen, auf welchem Wege, wenn es andern Tages zur
Schlacht komme, H. wegzulaufen beabsichtige, da der Offizier denselben
Weg zu nehmen wünsche. Nein, der Chinese muß schon sehr erregt
sein, wenn er schlagen soll.
Im nördlichen China sind die Straßen der Städte breiter, aber
dafür noch schlechter, als im Süden. Die Wege dienen häufig gleich
als Wasserläufe. Wer irgend kann, reitet auf Esel, Pferd und Maul-
tier oder fährt in dem schweren zweirädrigen Karren, ringsum mit
Kissen festgekeilt. Wer das aber nicht kennt und wie wir ahnungslos
in dem ohne Federn aus den Achsen ruhenden Kasten sich hinlegt —
ein Sitz ist ja nicht vorhanden —, der dankt seinem Schöpfer zeitlebens,
daß er noch wieder lebendig aus dem Fuhrwerk herauskam. Diese
Enttäuschung, als ich hoffte, stolz in die Thore Pekings einzureiten
und dann, weil kein Roß zu haben war, vollständig gerädert, wie ein
zum Schafott Verurteilter von dem alten Maulesel hineingezogen wurde!
Freilich, der Kenner setzt sich seitwärts aus die Deichsel. Aber nicht
jeder besitzt die Energie und Aufopferung, wie die liebenswürdige
Gemahlin unseres Gesandten in Peking, die als unsere Führerin
nach dem Tempel der blauen Wolken acht Stunden auf solcher Deichsel
aushielt.
Zur Beförderung von Waren werden im nördlichen China fast
ausschließlich Lasttiere aller Art, insbesondere Kamele benutzt, und man
trifft namentlich aus der Straße über den Nankaupaß nach der Mongolei
Karawanen von hundert und mehr Tieren. Ich wunderte mich übrigens,
daß die Kamele nicht größere Lasten zu tragen vermögen. Im all-
gemeinen trägt ein Esel etwa 70, ein Maultier 140 und ein Kamel
nur 160 Kilogramm, wobei 3,5 und 4 Kilometer in der Stunde zurück-
gelegt werden sollen. Die Kosten der Kamelfracht wurden mir zu etwa
15 Pfennig für ein Tonnenkilometer angegeben. Das ist zwar ver-
hältnismäßig nicht viel, aber ich glaube doch, daß die Herren Kamel-
 
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