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NS-Frauen-Warte: die einzige parteiamtliche Frauenzeitschrift — 4.1935-1936

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Heft 13
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https://doi.org/10.11588/diglit.26619#0501
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„Väumchen rüttel dich und schüttel dich,
wirf Golü und Zilber über mich."

5o geschah es, datz Kschenbröüel — diese deutsche
Märchenurgestalt — das vorurteil einer Zeit abwerfen
konnte, mit welcher es gezwungenermatzen bekleidet
war, um sich im Urglanz einfacher Reinheit, Gold
und 5ilber gleich, gütig lächelnd mit Uugen vol! tiefer
Lrkenntnisse uns wieder erneut zu zeigen.

G ja, unsere Märchen sind wieder zu neuem Leben
erwacht. Gb wir es bewutzt oder unbewutzt fühlen.
viele, viele werden wieder hellhörig, fühlen und er-
kennen den wahren 5inn unseres einfachen, beschei-
denen Märchens wieder.

wir wissen heute wieder, welch grotzer Schatz in
unserer Ulärchenwelt verborgen liegt. vieses Lrbe
unserer vorfahren zu heben, zu hüten und pflegen
ist in erster Linie Uufgabe der Zrau und Ulutter,
denn sie ist es, welche den 5amen des Ulärchens
in die kferzen der Uinder legt. Gb sie den 5amen
der Ulärchenblume mit den rechten worten, mit
der nötigen Liebe und Ledachtsamkeit pflanzt und
pflegt, erkennen wir an der welodie jeder Zeit,
an dem leisen Weiterschwingen der drei kleinen
worte, die üem deutschen volke so lieb sind:

„Ls war einmal!"

>

5inn und Oeutung der deutschen Volksrnärchen

boldmarie und pechmarie s?rau Holle)

Dies Märchen ist eines der schönsten, die uns überhaupt überliefert
sind, es lehrt uns aufs schönste den Legriff der 5eelenwanderung in
der germanischen Knschauungsweise oerstehen. Zunächst müssen wir
wissen, wer die alte Zrau holle ist, und da kann kein Zweifel aufkommen,
datz das die Lodesgöttin der Germanen, die hel oder helia oder holla
gewesen ist. Zhr ist heute noch im deutschen Lauernhause die „Hel-Lcke"
(mitzoerständlich heitzt es heute oft: die hölle) geweiht, und auch der
holunderbaum, der zum hause gehört. 5ie nimmt als Zrega in der
germanischen Mgthologie die Leiber der klbgeschiedenen in Lmpfang,
die sie in „volkwang" vereinigt, während lvuotan die entkörperten
5eelen in Walhall sammelt. Zu ihr als Todesgättin und winterliche
Lrdgöttin geht aber alles ein, was das Leben verliert,- alles mutz durch
die pforte der hel. Und darum gehört zu ihren klufgaben auch die,
die winterliche Leichendecke über die Lrde ;u breiten,- wenn ihr Vett
ordentlich geschüttelt wird, so stieben auf der Lrde die Zlocken.

Zm übrigen schafft sich das Märchen seine vorbedingungen. Oie
Witwe, welche die 5tieftochter mit Krbeitslast peinigt und das eigene
Uind faulenzen lätzt, ist die leichtverkleidete Norne, das 5chicksal. vie
5tieftochter mutz deshalb auch spinnen, damit diese Beziehung recht
deutlich wird. wir stellen uns für gewöhnlich das 5pinnen gar nicht
als eine so schwere Nrbeit vor, und das Märchen könnte uns ein viel
schlimmeres Lild entwerfen von der plage des Mädchens. Nber wo
die Norne auftritt, wird eben gesponnen: denn sie ist es, die den 5chick-
salsfaden spinnt, und deren kennzeichnende Beigabe deshalb die 5pindel
ist, an der sich ja auch das vornröschen stach. vie 5tieftochter spinnt
so eifrig, datz ihr das Llut oon den Zingern rinnt. vas Llut ist aber
in der alten 5gmbolik der Lebenssaft, und so will uns das Märchen kün-
den, datz das Mädchen stirbt. Nber das Märchen kann den Tod hier nicht
brauchen,- es braucht 5inndeutlichkeit. 5o wird uns die härte des 5chick-
sals recht vor Nugen geführt: die Witwe befiehlt dem Mädchen, die
5pindel, die ihm in den Lrunnen gefallen ist, heraufzuholen. Ls ist
recht bezeichnend, datz die 5tieftochter am Srunnen spinnen mutz:
für gewöhnlich macht man das doch im hause. Nber auch der Lrunnen,
der Sorn, ist ein Nornensinnbild: die Mgthologie spricht von Urdas

Lorn, und Urda ist die erste der Nornen, die der vergangenheit. Nus
deren Lorn kommen auch die kleinen Ninder nach der poetischen volks-
überlieferung, und wenn in alter Zeit irgendwo eine besondere 5tätte
des Nornenkults gewesen ist, so befand sich dort auch ein Brunnen, aus
dem die Ninder für die weite Umgebung kommen. 5o sagt man den
Nleinen des ganzen Zrankenlandes, datz der 5torch die wickelkinder
aus dem „5chönen Lrunnen" in Nürnberg holt (mundartlich Nörrn-
berg): datz Nürnberg eine alte Nornenkultstätte gewesen ist, steht autzer
Zrage,- das beweist der 5tadtname selber und auch das 5tadtwappen,
das den Veibaar darstellt (wipare ist auch wibare, die weberin, also
die Norn).

Nlso die 5pindel des armen Mädchens fällt in Urdas Lrunnen, das
heitzt, das Mädchen kehrt ins Nichtsein zurück, und um das deutlicher aus-
zudrücken, mutz das Nind der 5pindel nachspringen in den Lrunnen
hinein. va ist es nun besinnungslos, wie die Nlten auf Grund ihrer
Beobachtung glaubten, datz der verstorbene eine ganze Weile brauche,
um sich wieder auf sich selber zu besinnen. vie ledige 5eele ist es nicht
alsbald gewohnt, die körperliche hülle ;u missen, und im Gebrauch
der ihr selbst innewohnenden Zähigkeiten ist sie nicht alsbald gewandt.
Oann aber erwacht das Mädchen wieder. Ls findet sich auf einer
wunderschönen Wiese, auf der es immer fort geht. va erwarten es
Nrbeiten. Nrbeiten, die eigentlich schier zwecklos erscheinen: denn wenn
sich um das Lrot in dem hechen Backofen und um die ausgereiften
Npfel auf dem Laume niemand kümmert, der näher wohnt: was gehen
diese vinge das Mädchen an, dessen hände doch gewitz nicht geschont
worden sind im Leben? Nber das Mädchen greift ;u: es ist gewohnt,
alles, was ihm entgegentritt, in sich ;u verarbeiten, und so nützt es auch
alle die Gelegenheiten ;u seiner Vervollkommnung, die sich der freien
5eele im Neiche der hel, des Todes, bieten, ohne sich lange ;u besinnen,
ob es dazu verpflichtet sei, und ohne auf vorteile;u trachten. venn das
Mädchen itzt nicht einmal von dem Lrote und von den Npfeln, und es
nimmt auch nichts mit. Ls verrichtet einfach Nrbeit, eine Nrbeit, die
seiner 5eele zugute kommt. Und nun gerät es zur Zrau holle und in
deren vienst. Nuch da bewährt sich das Nind, und dafür wird es belohnt:



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