„will §rau Königin nicht zu Lchiffer Newes gehen", meinte
das Stubenmädchen.
„Oes Schiffers Tochter wird heute mit holm Sieoers getraut,
die ist sicher glücklich. Sieben Iahre sind sie einander treu ge-
wesen und haben zusammen gespart, und nun können sie heira-
ten. Man hört nichts als Lachen und Singen in der Schifferkate."
viesmal ging die königin zu Kust.
itls sie in die Gartenpforte trat, hörte
sie die letzten Worte eines alten Lie-
besliedes:
„Oat wär mol 'n prinzessin,
de seet in en Luer,
harr hor as vun Gold un
seet jümmer un luer.
Oor käm mo! en Prinz, un
de hol ehr herut:
Un ick bün de Rönig un du
bützt de Brut!"
Oie letzten leisen Lautenklänge
tanzten auf Sonnenstrahlen über
die saubere Oiele, die mit weitzem
Seesand bestreut war. Gs war nur
ein kleiner Menschenkreis, der dort
um üen Tisch satz, aber alle hat-
ten blanke Uugen. Zrau Uönigin
sagte ihren Glückwunsch und bekam
ein grünes Zweiglein. „Wünsche dir
etwas, meine Tochter", sagte sie freundlich zur jungen §rau. Oie
lachte, warf ihre festen Urme dem Mann um den Uacken und
sah ihm tief in die Uugen — oor allen Leuten. „Zch habe mei-
nen holm! Zch besitze alles, was ich mir sieben Zahre ge-
wünscht habe." Zrau Uönigin bedank-
te sich und ging schnell heim. „Oiesmal
ist's der rechte!" sang es in ihrem her-
zen. Sie pflanzte ihn in den ersten
besten irdenen Topf, stand am Morgen
früh auf, lief ans Fenster und guckte
nach dem Mrzrtenzweiglein. Es stand
noch stur und frisch, geradeso wie sie
es bekommen hatte. Gs welkte auch
am andern Tage nicht, sondern wuchs
und bekam einen kleinen Zweig nach
dem andern, bis es ein Läumchen war,
das oben ans Zensterkreuz reichte.
Va bekam die Nönigin eine kleine
Tochter, so schön wie ein Lngel. Sie
hatte grünseidenes haar, das duftete
nach Myrten. Oie Menschen kamen
aus fernen Ländern und waren froh,
wenn sie die kleine Mgrtenprinzessin
sehen durften.
Zahre vergingen, und es nahte die
Zeit, datz die königstochter heiraten sollte. Zhr Vräutigam kam
weit her über die See. Gr hatte im fernen Land ihr Bild ge-
sehen und beschlossen, um sie zu freien. weil er dem prinzetz-
chen gefiel und beide von herzlicher Liebe erfüllt waren, willig-
ten die Gltern ein. Noch im selben Sommer sollte ihre hochzeit
sein. ver große Saal wurde ausgeräumt, und alle fleitzigen Spin-
nerinnen und Näherinnen der Stadt saßen darin in langen Nei-
hen und arbeiteten an der Kussteuer. Glücklich sprang das Rönigs-
kind mit seinem Liebsten dazwischen herum. Kestfreude beseelte
alle Oewohner des Schlosses. Sie wurde noch grötzer, als eines
Tages, mit dem Mgrtenbaum, das k)aar der prinzessin in wei-
szer Llüte stand. Und, Wunder über Wunder! Gleich einem
Uranze reihten sich ihr die Blüten um die Stirn. Ooppelt rot
blühten darunter die Wangen, und das herz schlug zu allen
Tagen einen frohen Takt.
Nach einiger Zeit wurde sie stiller. Zhre Wangen fielen ein und
verloren die Krische. Oie Llüten im
haar hingen schlaff, und es überfiel
sie eine grotze Müdigkeit. ver Nönig
lietz die berühmtesten Nrzte kommen.
Niemand wutzte Nat. Zhr grünes
Seidenhaar ward grau und welk.
prinzetzchen konnte nicht mehr spre-
chen und die Zütze versagten. Sie
mutzte sich legen und sollte nicht
wieder aufstehen. Nn dem Tage, der
für ihre hochzeit bestimmt war,
trug man sie hinab in die finstere
Gruft.
Oer Nönig mochte nun nicht mehr
regieren und verschenkte sein Reich.
Oie Nönigin entlietz alle Oiener und
vienerinnen. Oie gebeugten Gltern
wollten niemand sehen und wünsch-
Len sich den Tod. Weinend liefen
sie durch die leeren Säle und suchten
ihr Nind. va fanden sie in der Gcke
hinter einem grotzen Berg Leinenzeug den verüorrten Mgr-
tenbaum. Man hatte ihn oom Fensterbrett genommen, um
mehr Licht in den Saal einzulassen. Über all dem Trubel
war er dort vergessen worden. Oie Nönigin schrie laut auf:
„V Gott! G Gott! Sollte unsre
Tochter mit dem Baum zugleich
dahingewelkt sein? Wie sagte mir
die Stimme im Traum? pflege
das Läumchen gut und oergitz
nie... Gh, jetzt wird mir's klar,
ich habe oergessen, es zu begie-
tzen, und mein Nind ist tot durch
meine eigne Schuld! Nie wieder
werde ich den Ouft seines haares
atmen und seine frohe Stimme hö-
ren!" Leide Gltern weinten Tag
und Nacht und härmten sich lang-
sam zu Tode.
von ihren Tränen begossen, be-
gann der Myrtenbaum neu zu trei-
ben, er lebte auf und wuchs, bis
ihm der Saal zu klein wurde. Gr
durchbrach die Zenster und über-
wucherte das ganze Schloß. vie
Menschen fürchteten sich, und nie-
mand getraute sich mehr in die verlassenen Räume. Nun steht
es da gleich einem grünen Berge. Bisweilen hört man leises
Weinen. vie Leute sagen: „Oas ist die M-grtenprinzessin! Sie ist
mit ihrem Baume wieder aufgeblüht und läuft nun wimmernd
die langen, dunklen Gänge hinauf und hinab, sucht vater und
Mutter und ihren Liebsten."
Sie dauert den Menschen, die ihr gerne heraushelfen möchten,
aber wenn sie einen M^rtenzweig abschlagen, wachsen flugs
zehn neue nach. Sie wissen keinen Nat. weißt du vielleicht
einen?
Scherrnschnktt: L. Ringlrr
Scherenfchnitt: L. Ringler
2
das Stubenmädchen.
„Oes Schiffers Tochter wird heute mit holm Sieoers getraut,
die ist sicher glücklich. Sieben Iahre sind sie einander treu ge-
wesen und haben zusammen gespart, und nun können sie heira-
ten. Man hört nichts als Lachen und Singen in der Schifferkate."
viesmal ging die königin zu Kust.
itls sie in die Gartenpforte trat, hörte
sie die letzten Worte eines alten Lie-
besliedes:
„Oat wär mol 'n prinzessin,
de seet in en Luer,
harr hor as vun Gold un
seet jümmer un luer.
Oor käm mo! en Prinz, un
de hol ehr herut:
Un ick bün de Rönig un du
bützt de Brut!"
Oie letzten leisen Lautenklänge
tanzten auf Sonnenstrahlen über
die saubere Oiele, die mit weitzem
Seesand bestreut war. Gs war nur
ein kleiner Menschenkreis, der dort
um üen Tisch satz, aber alle hat-
ten blanke Uugen. Zrau Uönigin
sagte ihren Glückwunsch und bekam
ein grünes Zweiglein. „Wünsche dir
etwas, meine Tochter", sagte sie freundlich zur jungen §rau. Oie
lachte, warf ihre festen Urme dem Mann um den Uacken und
sah ihm tief in die Uugen — oor allen Leuten. „Zch habe mei-
nen holm! Zch besitze alles, was ich mir sieben Zahre ge-
wünscht habe." Zrau Uönigin bedank-
te sich und ging schnell heim. „Oiesmal
ist's der rechte!" sang es in ihrem her-
zen. Sie pflanzte ihn in den ersten
besten irdenen Topf, stand am Morgen
früh auf, lief ans Fenster und guckte
nach dem Mrzrtenzweiglein. Es stand
noch stur und frisch, geradeso wie sie
es bekommen hatte. Gs welkte auch
am andern Tage nicht, sondern wuchs
und bekam einen kleinen Zweig nach
dem andern, bis es ein Läumchen war,
das oben ans Zensterkreuz reichte.
Va bekam die Nönigin eine kleine
Tochter, so schön wie ein Lngel. Sie
hatte grünseidenes haar, das duftete
nach Myrten. Oie Menschen kamen
aus fernen Ländern und waren froh,
wenn sie die kleine Mgrtenprinzessin
sehen durften.
Zahre vergingen, und es nahte die
Zeit, datz die königstochter heiraten sollte. Zhr Vräutigam kam
weit her über die See. Gr hatte im fernen Land ihr Bild ge-
sehen und beschlossen, um sie zu freien. weil er dem prinzetz-
chen gefiel und beide von herzlicher Liebe erfüllt waren, willig-
ten die Gltern ein. Noch im selben Sommer sollte ihre hochzeit
sein. ver große Saal wurde ausgeräumt, und alle fleitzigen Spin-
nerinnen und Näherinnen der Stadt saßen darin in langen Nei-
hen und arbeiteten an der Kussteuer. Glücklich sprang das Rönigs-
kind mit seinem Liebsten dazwischen herum. Kestfreude beseelte
alle Oewohner des Schlosses. Sie wurde noch grötzer, als eines
Tages, mit dem Mgrtenbaum, das k)aar der prinzessin in wei-
szer Llüte stand. Und, Wunder über Wunder! Gleich einem
Uranze reihten sich ihr die Blüten um die Stirn. Ooppelt rot
blühten darunter die Wangen, und das herz schlug zu allen
Tagen einen frohen Takt.
Nach einiger Zeit wurde sie stiller. Zhre Wangen fielen ein und
verloren die Krische. Oie Llüten im
haar hingen schlaff, und es überfiel
sie eine grotze Müdigkeit. ver Nönig
lietz die berühmtesten Nrzte kommen.
Niemand wutzte Nat. Zhr grünes
Seidenhaar ward grau und welk.
prinzetzchen konnte nicht mehr spre-
chen und die Zütze versagten. Sie
mutzte sich legen und sollte nicht
wieder aufstehen. Nn dem Tage, der
für ihre hochzeit bestimmt war,
trug man sie hinab in die finstere
Gruft.
Oer Nönig mochte nun nicht mehr
regieren und verschenkte sein Reich.
Oie Nönigin entlietz alle Oiener und
vienerinnen. Oie gebeugten Gltern
wollten niemand sehen und wünsch-
Len sich den Tod. Weinend liefen
sie durch die leeren Säle und suchten
ihr Nind. va fanden sie in der Gcke
hinter einem grotzen Berg Leinenzeug den verüorrten Mgr-
tenbaum. Man hatte ihn oom Fensterbrett genommen, um
mehr Licht in den Saal einzulassen. Über all dem Trubel
war er dort vergessen worden. Oie Nönigin schrie laut auf:
„V Gott! G Gott! Sollte unsre
Tochter mit dem Baum zugleich
dahingewelkt sein? Wie sagte mir
die Stimme im Traum? pflege
das Läumchen gut und oergitz
nie... Gh, jetzt wird mir's klar,
ich habe oergessen, es zu begie-
tzen, und mein Nind ist tot durch
meine eigne Schuld! Nie wieder
werde ich den Ouft seines haares
atmen und seine frohe Stimme hö-
ren!" Leide Gltern weinten Tag
und Nacht und härmten sich lang-
sam zu Tode.
von ihren Tränen begossen, be-
gann der Myrtenbaum neu zu trei-
ben, er lebte auf und wuchs, bis
ihm der Saal zu klein wurde. Gr
durchbrach die Zenster und über-
wucherte das ganze Schloß. vie
Menschen fürchteten sich, und nie-
mand getraute sich mehr in die verlassenen Räume. Nun steht
es da gleich einem grünen Berge. Bisweilen hört man leises
Weinen. vie Leute sagen: „Oas ist die M-grtenprinzessin! Sie ist
mit ihrem Baume wieder aufgeblüht und läuft nun wimmernd
die langen, dunklen Gänge hinauf und hinab, sucht vater und
Mutter und ihren Liebsten."
Sie dauert den Menschen, die ihr gerne heraushelfen möchten,
aber wenn sie einen M^rtenzweig abschlagen, wachsen flugs
zehn neue nach. Sie wissen keinen Nat. weißt du vielleicht
einen?
Scherrnschnktt: L. Ringlrr
Scherenfchnitt: L. Ringler
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