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NS-Frauen-Warte: die einzige parteiamtliche Frauenzeitschrift — 10.1941-1942

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Heft 9
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https://doi.org/10.11588/diglit.2783#0180
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wir sinken wie pserü und wagen oersinken im mahienden Sand,

Necke aur dein« hand,

vatz sie uns hält, die allein un; halten kann.

Aber s; slreckte sich keine hand. Alle; was in veutschland befallen war oon
üer Zeitkiankheit der Resignation, alles was sich in iümmerlichem Sehagen neu
einzurichten degann, empfand das rufende, das mahnende veutschwm vor
den Grenzen als läslig und unbequem.

Sis wir eines Tage; spürteni Veutschland weitz von uns, die hand reckt
sich herüber. vielleicht haben wir da drauhen mit noch tieferem Zubel des
herzens die Zahne des hakenkreuze; gegrüht, weil wir wutzten, sie war das
einzige, was un; retten konnte vor dem unaufhaltsamen, dem langsamen ver-
sinken im „mahlenüen Sand".

vor den Zenstern des Zuges dehnen sich die Zelder üer Niederung, immer
dichter werden die Erinnerungen. tkindertage, wanderungen und Sonnwend-
fahrten und dann, alles überstrahlend, die klrbeit für die Lewegung. weite
Schlittenfahrten durch das verschneite Lanü werden wach, ;u irgenüeiner ein-
samen Zrauenschaftsgruppe, bei der meist auch die Stl. mit angetreten war.
wenn man hinkam, müde und oerfroren, wurde man mit dampfendem tiaffee
und dem liebevollen klerror oftdeutscher Gast
lichkeit empfangen: „Mit üem Reden i; das
noch nuscht, Sie müsjen erst was essen. Essen
und trinken hält Leib und Seele zusammen."

Va; Schönste aber war das Sprechen in
unsern liebsten Gruppen, den ksrbeitervororten
oon vanzig. va kamen die Zrauen in die
versammlung, wie die Rrbeit sie entlassen
hatte, in holzpantinen und mit dunklen
Schürzen, und gingen doch hinein in gesam-
melter Stille, als beträten sie eine Rirche.

Und nie sühlte man brennender die verant-
wortung vor dem wort als in den Stunden,
wo man hineinsprach in die Uugen jener
Krauen und wie eine Gnade die verpflichtung
empfand, sich durch die vinge hindurchsragen
;u müssen bis zu ihrem klaren Grunde, bis ;u
jener Einfachheit, üie oon allen verstanden
werden konnte.

UI; erstes mir bekanntes Gesicht treffe ich
dem hauptbahnhof gegenüder eine ehemalige
Schulkameradin, die al; Ureiswirtschaftsbera-
terin beim Uährstand eines westpreuhischen
Ureises arbeitet. Zch frage nach ihrer oer-
heirateten Lchwester, da ftrahlt sie auf: „Dh,
der geht es gut. vie hat eine Siedlung und
acht Gören." Gs ist mir wie ein glückhaster
Gruh, üies erste mir begegnende Zeichen
wiedergewonnenen Lebenswillens, -as sich in
den nächsten Tagen immer wieder bestätigt.

Zrühere SVM.-Mädel, die ich treffe, nach
denen ich frage, fast alle haben, in den
Zwanzigern stehend, drei oüer oier tiinder.

Und am Sonntag in Glettkau scheint der ganze
Strand in ein Gewusel winziger braun-
gebrannter Nackedeis verwandelt. wenn auch
kaum darüber gesprochen wird, in diesen
jungen Krauen ist da; wissen lebendig, datz
hier im Dften, stärker als irgendwo, jenes
Gesetz gilt, datz die Miegen sichern müssen, wa; das Schwert erkämpfte.

Zreilicb, die beoölkerungspolitiiche Lage ist nach wie vor ernst und effordert
gespannte wachlamkeit. Uber der wille ist geweckt und wird nie wieder müde
werden. wenn er oerfiele, würde die deutsche tiultur im Dsten unaufhaltsam
üderwuchert von jener nomaüischen Unkultur, deren steingewordenes Zeugnis,
wenige tiilometer von vanzig enffernt, ader im schroffsten Gegensatz ;u der
alten haniestadt, das ehemals polnische Gotenhafen ist.

Zch babe Gdingen noch gekannt als welffernes Zischerdorf, in dem Ziegen
unü Schafe üder die Mege liefen. Gewih, die polen haben eine Stadt daraus
gemacht, besser gesagt: einen häuserhaufen von unüberiehbarer Gröhe und
unübersehbarer hählichkeit. vas Schnellaufgeschossene, Unfertige dieser Stadt
ist nicht der Rürze der Sauzeit zuzuschreiben, es hätte sich nicht geändert, auch
wenn Gotenhafen weitere zwanzig Zahre dem architettonischen Unoermögen
üer polen zur veffügung gestanden hätte. Man hat die Stadt als „amerikanisch"
bezeichnet. aber -as wort trifft nicht den ffern. venn hier handelte es sich nichl
um ein« Goldgräderstadt im wilden westen, die, schnell hingestellt, nach voll-
endeter Uusbeutung genau so schnell wieder verlassen werden sollte. vie; war
das Uushängeschild de; polnischen Staates, diese Stadt, die mit einer Unsumme
von meist geliehenem ffapital auf die Seine geftellt wurüe, iollte polens Recht
auf Seegeltuny ebenso beweisen wie seinen Unspruch auf den gesamten ost-
deutsckien Saum. Und doch ist nickits anderes derausgekommen als ein yestalt-
loler moderner Termitenhaufen

iZs»

von den paar grohen Strahen abgesehen, wirtt die Staöt ungefügt unü ohne
planung, als sei eine horde über das Land gefallen, die jedem die Zreiheit
gegeden hätte, seine wohnhöhle zu graben, wo e; ihm behagte. Uur -atz die
höhlen nicht in di« Lrde gehen, sondern hinaufgetffeben sinü, grau und steinern
hählich, unverputzt und mit kahlen SranÜmauern.

ffein Znstintt hat diesen gottverlassenen Saumeistern oerraten, wie eine
Stadt aussehen mühte auf diesem reizoollen Stück ikrde, in diesem weithinschwin-
genden Zlügelland des Saltischen höhenrückens, das sich wie ein ffronreif an
die helle Stirn des Meeres schmiegt. Grohzügig, nach moüernsten plänen an-
gelegt, dehnt sich der hafen. <kr dient heute, befreit von seiner hahvollen 8e-
stimmung, den vanziger handel abzuwürgen, als Nriegshafen Oeutlchlands im
Dsten.

Unwillkürlich mutz man oergleichen: hier die planlosigkeit und hählichkeit
oon Gotenhafen, drüben an der gleichen ffüste die in langen Zahrhunderten
baulichen Schöpfeffums gewachsene vollkommenheit des alten vanzig! >kr-
schauernd spüff man die Unwiderruflichkeit eines geschichtlichen Uffeils, das,
seit langem gefällt, heute endgültig vollzogen wurde und das dem polnischen
volk, diesem volk des Möchte-gern, seit einem Zahrtausend das ffann-nicht
entgegenschleudert. venn genau wie in dieser unheimlich oerräterischen Stadt

zeigt sich auch in der „stagtlichen" Leistung der
Polen da; übersteigeff Wollende, die eigenen
Zähigkeiten weit Überschätzende, das nach
dem hochgepeitschten Nufschwung mit furcht-
barer Sicherheit umknickt und bricht.

Mit einem noch liebeoolleren Slick für die
baulichen ffostbarkeiten Oanzigs gehe ich am
nächsten Tage üurch üi« Stadt. ikins der
schmalen Giebelhäuser in der Zopengasse, die
beherrscht wird von dem mächtigen Turm von
St. Marien, ist Sitz des Gauleiter;,- zugehörig
sügen sich hoheitsadler und hakenkreuzorna-
ment in die Zront der andern häuser. wie
eine Melodie geht mir üer Lpruch durch den
Sinn, der den ffampf und den Glauben all
der Zahre ttug: Gleiches Slut gehört in ein
gemeinsames Neich. Lr schwingt noch immer
in mir nach, als ich in einem sehr leben-
digen Tafö am Langen Martt auf üie Unter-
gauführeffn waffe. Mit halbem Dhr höre
ich die Städtenamen, die in den Gesprächen
ringsum aufklingen: Thopn, Graudenz, posen,
Bromberg. wie nah sind diese Städte ge-
rückt — für uns waren sie weiter enffernt
als irgendeine Stadt'im westen oder Lüden
des Neiches! versunken hinter einem dichten
Schleier war diese ganze Welt für uns, räum-
lich zum Greifen nah und dennoch in unfatz-
barer Zerne. Mitunter nur kam ein Stöhnen
üurch den Schleier, unü wir wutzten, doff
wurde erbarmungslos der Namps gefühff
gegen alles, was sich zum veutschtum be-
kannte. Ooch ehe wir helfen konnten, -waren
der Schleier und die Stummheit gesallen
zwischen die deutschen Menschen drüben und
unsere helfenwollenden hände.

heute sind die Wälle niedergerissen, das
Land ist Nufgabe geworden, und die Nräste
sttömen hinein. Nm schwierigsten ist das Polen-
problem,- es erfordert in diesem vielschichtigen, oölkisch sehr oerzahnten Gebiet
nicht nur Gnergie, sondern auch Wissen und eine spürende hand, und kurze
Zristen dürsten kaum ;u seiner Lösung genügen. Wie brennend diese Zrage
ist, erkennt man aus allen Gesprächen. vie Untergauführerin berichtet daoon
mit dem gleichen sorgenden <krnst wie üie beiden Mitarbeiterinnen der Gau-
frauenschast, die ich am folgenden Tage spreche. Nuch als ich am letzten Nbend
mit einigen „alten" SVM.-Zührerinnen zusammensitze, klingen neben den
ikffnnerungen, dem „weiht du noch?", immer die Zragen auf, die diese;
zukunftttächtige Lanü allen ftellt, die es lieben.

Unsre alten Zührerinnen! Zahre vergehen oon einem wiedersehn zum andern,
und doch ist die helle Nameradschast der Nampfzeit immer oon neuem lebendig.
Zrüber kamen unsere Mädel, auch wenn Nusbildung und Studium für einige
Zeit nacb Veutschland riefen, stets nach Vanzig zurück. Nlle versuchungen, in ein
leichteres Leden abzuwandern, wurden zurückgewiesen, Nrbeitslosigkeit und
Not schweigend getragen und auch das Schwerste tapser durchgehalten: der man-
gelnde Spielraum für die eigene Segabung. Zetzt sind die meisten ins weitere
westpreuhen oder in die Nrbeit des waffhegaues gegangen. Oas Bild einer
Samenkapsel wird in mir wach, die, einen harten winter hindurch ihre Lamen
fest bewahrend, im Zrühling hinauswifft in da; waffende Land, was ihre
Schale an Segen und Schöpfung birgt. Lehrerin an einer deutschen Schule in
der Naschubel ist eine unserer Zühreffnnen geworden, eine zweite arbeitet als
Laborantin in poien, eine dritte fühff einen westpreutzischen Untergau Zu
 
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