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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 6.1910

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Münzel, Gustav: Der Dreikönigs-Altar von Hans Wydyz im Freiburger Münster (Fortsetzung)
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https://doi.org/10.11588/diglit.2638#0071
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Münzel, Der Dreikönig-Altar von Hans Wydyz im Freiburger Münster

die durch die physischen Schmerzen veranlasste Wen-
dung des Kopfes bei Sebastian, die übrigens nichts
wild Ruckartiges hat, wie Burckhardt meint.

Aber auch abgesehen von diesen Punkten be-
stehen starke Unähnlichkeiten. Sebastian hat einen
männlich ausgearbeiteten, kräftigen Körper mit sehr
differenzierter Muskulatur, gegen den der des Adam
fast schmächtig erscheint, namentlich im Oberkörper.
Sehr ungleichartig ist auch die Fußform der beiden.
Weiter hat Sebastian freifliegende, in einzelne pfro-
pfenzieherartige Locken aufgelöste Haare, während
Adams Kopf von kurzem, schneckenförmig geringel-
tem Haar bedeckt ist1. Im Gegensatz zu Sebastian
lässt Wydyz die Haare, wo sie bei ihm bewegt dar-
gestellt sind, wie bei Melchior auf dem Dreikönig-
Altar, in kompakten Massen fliegen. Die Gewand-
behandlung bei Sebastian und dem Bogenschützen,
ebenso wie bei allen Personen der Kreuzigungsgruppe
bietet den stärksten Gegensatz zu der Gewandbehand-
lung auf dem Dreikönig-Altar. Nirgendwo finden
sich dort die gehäuften klebenden Faltenkurven, die
eigentümliche, an gewundenes Papier erinnernde
Drehung der Gewandung, die Kämmerer veranlasste,
bei Besprechung der Figuren von Maria und Johannes2
zu sagen, sie schienen mehr vom Drechsler als vom
Bildhauer gemacht zu sein. Gänzlich verschieden
ist auch die Behandlung der Baumstämme. Der beim
Sebastian ist sehr gut durchgebildet, mit Astlöchern
und Knorren hat er eine ganz eingehende natura-
listische Behandlung. Dagegen ist der bei Adam
ganz schematisch mit einfachen Rillen und Hieben.
Nun behandelt Burckhardt in seiner Vergleichung
der Einzelformen überhaupt nur die Figuren von
Sebastian und Adam und lässt sowohl die übrigen
Figuren der Sebastians- und der Kreuzigungsgruppe
einerseits, wie den ganzen Dreikönig-Altar andererseits
unberücksichtigt. Und in der Tat besteht auch nur
zwischen diesen beiden Figuren die hervorgehobene
Ähnlichkeit, ja eigentlich nur zwischen ihren Köpfen.
Aber eine Vergleichung im Detail gibt überhaupt kein
sicheres Urteil; die Vergleichung im einzelnen bedarf
stets der ergänzenden Vergleichung im ganzen. Es
kann sehr wohl vorkommen, dass bei ähnlicher oder
gar übereinstimmender Ausführung der Einzelformen
doch die Gesamtkompositionen einander ganz dis-
parat sind.

1 Die Haarbildung des Sebastian findet sich bei bayerischen
Skulpturen häufiger. Sehr verwandt darin ist z. B. die bayerische
Figur eines hl. Georg im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin
(No. 250); auch dieser hat die starren, schräg vom Kopf ab-
stehenden, gedrehten Locken.

2 Ausstellung von Kunstwerken des Mittelalters und der
Renaissance. Aus Berliner Privatbesitz veranstaltet von der
Kunstgeschichtlichen Gesellschaft vom 20. Mai bis 3. Juli 1898.
— Deutsche Bildhauerwerke des XV. und XVI. Jahrhunderts von
Ludwig Kämmerer. Berlin 1899. S. 72ff. mit Abbildung.

Wäre wirklich der Autor der Sebastians- und
Kreuzigungsgruppe identisch mit dem Meister des
Freiburger Dreikönig-Altars, so könnte man ruhig
sagen, die Gleichheit des Meisters an diesen ver-
schiedenen Werken ist stilkritisch einfach unerkenn-
bar. Die Zusammengehörigkeit dieser Werke be-
deutete einen solchen Umschwung in der ganzen
künstlerischen Gesinnung, in Auffassung und Technik
des Meisters, dass die Kontinuität der Persönlichkeit
aufgehoben erscheint, und nur auf dieser basiert die
stilkritische Entscheidung.

Wie klein, wohlübersehbar und in einer Richtung
liegend ist der Fortgang vom Dreikönig-Altar zu der
Adam und Eva-Gruppe gegenüber dem fundamentalen
Unterschied zwischen diesen beiden Werken auf der
einen und der Sebastians- und Kreuzigungsgruppe
auf der andern Seite.

Diese beiden letzten Werke sind um das Jahr
1530, wohl unter dem Einfluss der Regensburger
Malerei entstanden3. Der Stil der deutschen Re-

3 Dafür spricht, um hier nur auf eins hinzuweisen, die voll-
kommene Übereinstimmung in der merkwürdigen Umschlags-
falte am Untergewand des Bogenschützen in der Sebastians-
gruppe mit der am Gewand eines Soldaten in der Quirinus-
legende auf dem Bilde Altdorfers in Nürnberg.

Kämmerer (a. a. O. S. 76) gibt als Entstehungszeit der beiden
Seitenfiguren der Kreuzigungsgruppe Maria und Johannes etwa
1520 an und findet sie vom Stil der Malerei Altdorfers abhängig.

Schnätgen (a. a. O. Sp. 370) hält die Kreuzigungsgruppe
für vielleicht in Nürnberg kurz vor der Mitte des 16. Jahrhun-
derts gearbeitet.

Bode (Bericht des Kaiser-Friedrich-Museumsvereins zu
Berlin 1904 mit Abbildung der Sebastiansgruppe S. 9ff.) lehnt
die Bezeichnung „Nürnberger Arbeit vor 1550", wie die Sebastians-
gruppe im Thewalt-Katalog hieß, ab. Er nimmt als Zeit etwa
1520—1525 und als Ort ihrer Entstehung Regensburg an. Der
pathetische Zug in Bewegung und Ausdruck und die tiefen wie
vom Wind bewegten Falten, worin Nester von ganz kleinen,
knitterigen Falten, wie Strudel in einem reißenden Strom,
auffallen, erinnern ihn an die Gemälde eines Altdorfer. Trotz-
dem namhafte Künstler von dort nicht bekannt sind, müssen
doch mehrere tüchtige Schnitzer nach seiner Meinung neben
Altdorfer gearbeitet haben. Bode nimmt für die Sebastians-
gruppe und die Statuetten Maria und Johannes aus der Samm-
lung Reichenheim den gleichen Meister an.

Habich (Renaissance-Ausstellung des bayerischen Museums-
vereins. I. Plastik: Münchener Jahrb. der Bild. Kunst 1907, 1,
S. 91. Mit Abbild.) weist die Kreuzigungsgruppe der Sammlung
Clemens einer niederbayerischen Schnitzschule zu. Er betont
deren enge Beziehung zu der Sebastiansgruppe.

Burger (Ausstellung plastischer Bildwerke des 15. und
16.Jahrhunderts in München: Zeitschrift für Bild. Kunst. N. F. 18
1907, S. 161) hält die Kreuzigungsgruppe für ein Werk der
Nürnberger Hochrenaissance.

Burckhardt (a. a. O. S. 221) nimmt für die Sebastiansgruppe
bayerischen Ursprung an und lässt demnach Wydyz um 1525
in Bayern tätig sein. Zum Vergleich verweist er auf Werke in
der Frauenkirche in München, auf Leinherger und L. Hering.

von Weegmann (Architektur und Plastik der Frührenaissance
in Regensburg, München 1909 S. 115 f.) erklärt die Ähnlichkeit
der Sebastiansgruppe mit Altdorfer, soweit sie vorhanden sei,
aus dem allgemeinen bayerischen Charakter beider Arbeiten.
Er sieht die Gruppe als Werk der Landshuter Kunst an.


 
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