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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 7.1911

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Sauer, Joseph: Reste alter Wandmalereien im Freiburger Münster: 1. Die St. Peter- und Paulskapelle und ihre Wandgemälde
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https://doi.org/10.11588/diglit.2639#0016
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Sauer, Reste alter Wandmalereien im Freiburger Münster 9

stark gehoben, in einfacher Schattierung sind die disem sol ein jeglicher Schacher ein bildli im mul
Rippen angedeutet, ohne dass sie so stark und derb han, als ob es ein sei were. Den nimpt der engel
hervortreten, wie bei manchen ähnlichen Darstel- des guten Schachers sei und got in himmel und der
lungen der Zeit. Durch die Lagerung des Hauptes tüfel des andern sei und lauft mit grossem geschrei
nach der rechten Seite biegen sich
die Hüften leicht nach der ent-
gegengesetzten Richtung aus. Das
Lendentuch, grauviolett, mit Krapp
schattiert, an den Rändern mit
zarten Lichtern gehöht, fällt in un-
gemein natürlichem und schönem
Wurf bis über die Knie hinab und
bildet zwei in Wellenlinien abwärts
fließende Zipfel, einen rechts oben
und einen links unten. In der selt-
sam grotesken Verrenkung der
Beine kommt das realistische Be-
dürfnis des 14. Jahrhunderts in
einer besonders am Oberrhein
häufig begegnenden Form zum
Ausdruck. Das linke Bein schiebt
sich unter das rechte, wobei die
Ferse rechts nach außen gekehrt
und der Fuß schräg über den
Kreuzbalken nach links unten sich
legt, indes der rechte sich darauf

Abb. 9. Hl. Petrus. Ausschnitt aus dem
Fenster der St. Peter- und Paulskapelle.

(Aus Geiges, Der alte Fensterschmuck.I

in die hell." Die bildende Kunst
hat dieses Nebendrama namentlich
in der zweiten Hälfte des Mittel-
alters ausgiebig verwertet. Ein in
etwa dem affenartigen Geschöpf
auf unserm Bilde vergleichbares
Wesen, nahezu katzenartig, mit
Drachenflügeln ausgestattet, finden
wir z. B. in einer Kreuzigungsdar-
stellung der Soester Schule vom
Anfang des 15. Jahrhunderts2. Hier
in Freiburg ist die Teufelsgestalt
nicht wie gewöhnlich über dem
Haupt eines Schachers angebracht,
sondern über dem linken Kreuz-
balken. Ganz ebenso finden wir
eine kleine, der Freiburger ganz
ähnliche Drachengestalt über dem
linken Arm3 des Kreuzes Christi
auf einer Kreuzigungsdarstellung
von Hans Burckmaier, die vor
kurzem aus der Augsburger Ga-

setzt, aber parallel zum Kreuzbalken nach unten Ierie in die Alte Pinakothek nach München kam4,

gerichtet. Auffallend lang sind die Fußzehen ge- (Nr. 1451 a —e.) Zur Anbringung der Schacher

zeichnet; sie sind durch braungrüne Schatten mo- mochte der Künstler nicht genügend Raum gehabt

deliiert. Ein einziger Nagel heftet die beiden Füße haben; da er aber doch nicht ganz auf das Motiv

zusammen. Aus der Wunde des obern
Fußes quillt ein Kranz von Blutstrahlen
hervor, die in sieben Bahnen fast wie
Perlenschnüre am Holze abwärts fließen.
In diesen sieben Blutstrahlen haben wir
offenbar eine symbolische Andeutung der
sieben Sakramente, die in dem Kreuzestod
Christi ihre eigentliche Begründung und
Wirkungskraft haben. Ikonographisch be-
merkenswert ist weiter noch ein affen-
artiges Wesen, das nur zum geringsten Teil
erhalten, mit hocherhobenem Hinterleib
und lang ausgelegtem Schwanz über dem
linken Arm des Heilandes auf dem Kreuz-
balken sitzt. Zweifellos haben wir hier
eines jener phantastischen Zwitterwesen
vor uns, die den Satan darstellen sollen,
in der Rolle, wie er sich der Seele des
linken Schachers bemächtigt; auf dem
gegenüberliegenden Kreuzarm hat man sich dann einen
Engel vorzustellen, der die Seele des guten Schachers
zu sich nimmt. Das geistliche Schauspiel des Mittel-
alters hatte dafür eine besondere Anweisung1: „In
1 Mone, Schauspiele des Mittelalters 2 (1842), S. 324.

Freiburger Münsterblätter VII, 1/2.

Abb. 10. Hl. Katharina.

Ausschnitt aus dem

Fenster der St. Peter- und

Paulskapelle.

(Aus Geiges, Der alte
Fenstersehmuck.)

verzichten wollte, gab er wenigstens eine
Verkürzung derselben in Gestalt der zwei
Wesen, die den Ausgang der Neben-
episode auf dem Kalvarienberg am besten
in seiner Differenzierung charakterisieren.
Bei der symbolischen Eigenart mittel-
alterlicher Kunstmotive ist dieser Vorgang
durchaus nicht ungewöhnlich. In unserm
Falle kommt noch dazu, dass der Künstler
hier den früh- und hochmittelalterlichen
Gedanken mitklingen lassen konnte, dass
die zwei Urprinzipien des Guten und
Bösen, symbolisiert in früherer Weise
durch die Kirche und Synagoge, aber
auch durch die rechts und links postierten
Gruppen der Begleitfiguren unter dem

s Eigentum der evangel. Paulikirche in Soest.
Vgl. Katalog der kunsthistorischen Ausstellung in
Düsseldorf 1904 Nr. 110 mit Abbildung. Etwas
anders ist dieses dämonische Wesen dargestellt auf einer Holz-
tafel aus Bozen, jetzt im Museum Ferdinandeum zu Innsbruck.
Zeitschrift des Ferdinandeums 1894 Taf. 1.

3 Rechts und links sind im heraldischen Sinne verstanden,
also nicht vom Beschauer aus genommen.

1 Abg. in der 11. Aufl. des amtlichen Katalogs (1911) zu S. 24.

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