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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 7.1911

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Sauer, Joseph: Reste alter Wandmalereien im Freiburger Münster: 1. Die St. Peter- und Paulskapelle und ihre Wandgemälde
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https://doi.org/10.11588/diglit.2639#0023
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Sauer, Reste alter Wandmalereien im Freiburger Münster

Ausdruckswelt heraustreten. Nun wird man aber Jahre 1217 und auf dem Soester Antependium in
leicht Beispiele für das eine oder andere der ange- Berlin2. Namentlich in der französischen Kunst des
führten Momente auch von anderswo beibringen 13. und 14. Jahrhunderts erhält sich diese Besonder-
können. Die Anordnung des Lendentuchs begegnet heit3, findet besonders in der Elfenbeinplastik aus-

z. B. auch auf der Klosterneu-
burger Tafel; auch auf drei Kruzi-
fixdarstellungen, die aus dem
14. Jahrhundert stammten und als
Wandbilder in der kürzlich ab-
gebrochenen katholischen Stadt-
kirche zu Weinheim aufgedeckt
worden sind; für die tiefe Sen-
kung des Hauptes des Gekreu-
zigten und für die geschweifte
Armhaltung nenne ich als Beispiel
zwei französische Elfenbeindip-
tyche des H.Jahrhunderts1. Die
Anordnung des Haupthaares aber
ist die in der fraglichen Zeit üb-
liche (vgl. den Christuskopf im
Gewölbeschlüssel der St. Peter-
und Paulskapelle des Freiburger
Münsters). In der Hauptsache sind
die zusammengestellten Momente
Kennzeichen des stark beton-
ten, aber nur zu einem mangel-
haften Ausdruck gelangten Rea-
lismus des hochgotischen Stils, der sich nicht
genug tun kann in oft geradezu grotesk wirkender
Körperhaltung, namentlich in Verrenkung des Körpers
des Gekreuzigten. Die Beinverschlingungen waren
aber von dem Moment an physio-
logisch bedingt, da die beiden
Füße nur durch einen Nagel fest-
geheftet wurden. War der Ober-
körper ohnehin schon nach der
einen oder andern Seite ver-
schoben, so war es unausbleiblich,
dass die Beine, wenn sie sich an
ihren Extremitäten in einem Punkt
übereinander zusammenfinden soll-
ten, sich ineinander und überein-
ander schieben mußten, eine For-
derung, die bei dem starken Be-
dürfnis nach realistischen Ex-
zessen übermäßig durchgeführt
wurde. Wann und wo das zuerst
versucht wurde, weiß ich nicht.
Als älteste Beispiele sind mir nur
bekannt eine Kreuzigung aus dem
Psalter des Landgrafen Hermann von Hessen vom

Abb. 17. Glasgemälde des Nordschiffes.

(Aus Geiges, Der alte Fensterschmuck.)

giebige Verwertung4, und es ist
gar nicht ausgeschlossen, dass
gerade dieser Typus durch Elfen-
beine auch zu uns verpflanzt wor-
den ist und hier die von Gramm
geschilderte Ausbildung und Be-
liebtheit gefunden hat. Man wird
ihn somit weniger für eine be-
stimmte Lokalschule allein in An-
spruch nehmen können, denn seine
Besonderheiten als Ausdrucks-
mittel des gotischen Stils über-
haupt, vor allem während des
14. Jahrhunderts, die wichtigste
darunter als Folge einer bedeut-
samen Neuerung in der Behand-
lung des Kreuzigungsmotivs an-
sehen müssen; er hat überall da
Aufnahme und weitere Ausbil-
dung gefunden, wo das Bedürf-
nis für realistische Behandlung
sich regte. Und das war zweifel-
los am Bodensee und am Ober-
rhein überhaupt vorhanden. Aber schon unserm
Künstler ging der Sinn für krasse Realistik ab und
darum führte er die Verschlingung der Beine auch
nicht in so harten Überschneidungen und Winkeln
zur Vertikale des Kreuzbalkens
durch, sondern ließ die Beine,
namentlich das oben liegende
rechte, mit dem Fuß mehr der
Richtung des Kreuzstammes folgen.

Abb. 1.

(Aus

1 Heute im South Kensington Museum zu London Nr. 294
—1867 und 148—1866. Abbildung in Portfolio of ivories produced
and published by W. Griggs. Part. XXXIII.

2 Abbildungen in Bergner, Hand-
buch der kirchlichen Kunstaltertümer in
Deutschland (Berlin 1905) S. 518.

3 Vgl. ein frühgotisches Glasgemälde
aus Bourges bei Michel, Hist, de l'art II
1, 389 und eine Psalterminiatur von Be-
sançon vom Anfange des 15. Jahrhunderts
ebd. p. 366.

4 So auf einem Diptychon angeblich
aus dem Schatz der Kathedrale von Sois-
sons (Abbildung bei Michel II 1, 429), auf
dem Triptychon von St. Sulpice zu Tarn
(ebd. p. 477), auf anderen der Sammlung
Wallace, Anfang 14. Jahrhunderts (ebd.
p. 480), der Sammlung Hainauer in Berlin
(ebd. p. 486), der Sammlung Dutoit, Mitte
14. Jahrhunderts (ebd. p. 487), auf den

französischen Elfenbeinen des South Kensington Museums (Port-
folio of ivories, part XXX und XXXIII), ferner auf einer Hinter-
glasmalerei des beginnenden 14. Jahrhunderts aus dem Kloster
des heiligen Kreuzes zu Rostock (Abbildung in Zeitschrift für
christliche Kunst 8, 279).

.'. Glasgemälde des Südschiffes.

Geiges, Der alte Fensterschmuck.)
 
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