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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 8.1912

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Flamm, Hermann: Hans Diesenberger von Graz, Werkmeister des Freiburger Münsterchors 1471-1491
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https://doi.org/10.11588/diglit.2636#0082
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Flamm, Hans Niesenberger von Graz, Werkmeister des Freiburger Münsterchors 1471 —1491

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oder unter dem Verrufenen arbeiteten. Niesenberger
bestritt darum die Berechtigung des Vorwurfs und
die Legitimation seines Gegners zur Anklage aufs
energischste. Das Angebot Nüchters, seine Kunst
gegen ihn mit der Hand zu bewähren, wies er mit
Recht zurück: Konrad sei ein Bildhauer, kein Stein-
metz, es gebühre sich nicht, mit ihm um Kunst zu
disputieren.

Nun verfiel Nüchter auf eine seltsame, wider-
spruchsvolle Ausrede, die nur aus seiner Verlegen-
heit zu verstehen ist. In seines Landes Deutsch be-
deute „verlumpter" Meister einen „verworfnen", nicht
einen „verrürnpten" Meister. Die persönliche Ehren-
haftigkeit des Klägers bestreite er nicht. Aber wieder
fügte er hinzu, Knechte eines „verrürnpten" Meisters
würden auf andern Hütten ohne Gruß eines bewährten
Meisters nicht in Arbeit genommen.

Das Gericht entschied, Nüchter solle seine Aussage
in der für ausländische Beweiserhebungen üblichen
Frist von achtzehn Wochen neun Tagen beweisen.

Die neue Verhandlung hätte spätestens um den
24. Januar 1482 stattfinden sollen, aber Nüchter er-
schien nicht. Niesenberger drang deshalb, es war
zwischen dem 15. und 22. Februar, auf ein Ver-
säumnisurteil, doch ließ das Gericht seinen Gegner
nochmals zum Wort kommen '. Der war recht klein-
laut geworden; er habe sich alle Mühe gegeben,
seine Anklagen zu beweisen, sei weit gefahren, und
die Meister hätten ihm auch beigestimmt, aber ein
ausdrückliches Zeugnis nicht geben wollen, außer
es seien ihrer zwei oder drei beisammen2. So
sei er schließlich vor den Bruderschaftsmeister zu
Straßburg verwiesen worden; der habe verlangt, da
Nüchter nicht zu ihrer Bruderschaft gehöre, solle
er die Meister auf seine Kosten berufen, und weil
er dies nicht wollte, habe er sich an den Rat von
Straßburg gewandt, sei aber vor den Schaffner, jeden-
falls des Münsters, verwiesen worden und der habe
von einer Verhandlung über den Fall durch den
Hüttenmeister nichts wissen wollen und diesem so-
gar nötigenfalls mit Entlassung gedroht.

Die offensichtliche Tatsache, dass die als Zeugen
angerufenen Steinmetzmeister allenthalben von den
Quertreibereien nichts wissen wollten, ist in dieser
Darstellung nur schwach verhüllt. Das Freiburger
Gericht hielt denn auch den angebotenen Wahrheits-

1 Vgl. Anhang, Beilage 5.

2 In der Tat bestimmte die auch für Freiburg geltende
Straßburger Hüttenordnung von 1459 (Heideloff a. a. O. S. 38):
„käme auch ein klage für, die die meren besserunge berürte,
also ob eime von steinwerks zu verwisen were, das sol ein
meister in einer gebiet nit allein fürnemen noch verteilen, sunder
die nechsten zwen meister ... zu ime beriefen, dass ir drige
werdent, und dazu die gesellen, die uf der fürderung stont, da
sich die klage erhaben net."

beweis nicht für erbracht und verurteilte Nüchter
zum Schadensersatz und zu einer öffentlichen Ehren-
erklärung vor der Zimmerleut- und Malerzunft, er
habe Meister Hans unrecht getan und wisse von
ihm nichts anderes als Ehrbarkeit und Gutes. Das
war für solche Widerrufe damals der übliche Schluss.

Über die Tätigkeit Niesenbergers am Freiburger
Münsterchor bis zu seiner Entlassung im Jahr 1491
fehlt seit 1481 jede direkte und indirekte urkundliche
Nachricht. Von den Münsterrechnungen dieser Zeit
sind vor 1491 nur die eines halben Jahrs von 1481
erhalten, und diese geben an Baunachrichten wenig
genug3.

Die Anwesenheit des Meisters in Freiburg im
Sommer 1483 wird durch ein Sachverständigengut-
achten bezeugt, das er wegen des von dem städtischen
Werkmeister Hans von Basel erstellten neuen Fisch-
brunnens zu geben hatte4. Dieser Brunnen war nicht
nach Wunsch ausgefallen. Niesenberger und sein
Parlier fanden Boden und Wände „missbuwen", im
übrigen könne der Mangel nunmehr nach dem „ver-
gietten" nicht mehr erkannt werden. Dann folgt eine
spitze Bemerkung, mit ein wenig Bosheit gemischt,
aber gleich wieder vermittelnd. Da Hans von Basel
Währschaft anbiete, „die mög er vielleicht tun durch
sin sonder kunst", die ihm verborgen sei, und solle
ihm nicht abgeschlagen werden. Der Rat entschied
demgemäß.

Im Spätjahr 1483 folgte Niesenberger jenem
Ruf nach Mailand, der seinen Namen zusammen mit
seiner langjährigen Tätigkeit am Freiburger Münster
berühmt gemacht hat. Der Herzog von Mailand
hatte 1481 und 1482 wiederholt den Rat von Straß-
burg gebeten, ihm einen „ingegniere" zur Vollen-
dung der Domkuppel zu empfehlen. Die Wahl traf
Niesenberger, obwohl er, soweit nachweisbar, nie
in Straßburg gearbeitet hatte"'. Im Spätjahr 1483 zog
Giovanni Nexemperger da Gratz mit 15 Gesellen in
Mailand ein". Sein Anstellungsvertrag war sehr
günstig. Als Lohn sollte er 180 Gulden erhalten.

3 Mone a. a. O. S. 33.

1 Vgl. Anhang, Beilage 7. Die Identität des von Hans von
Basel gelieferten Brunnens mit dem noch erhaltenen Fisch-
brunnen ist nicht ganz sicher. Sie kann sich auf alle Fälle nur
auf den Brunnenstock, nicht aber auf den jüngeren Figuren-
schmuck aus verschiedenen Zeiten des ]6. Jahrhunderts be-
ziehen. Die Brunnenschale stammt aus dem 19. Jahrhundert.

'" Vgl. dagegen Gérard, Les artistes de l'Alsace pendant le
Moyen-Age. Colmar-Paris 1873. II, 271—278.

'; Über den Mailänder Aufenthalt vgl. vor allem Valeri,
Francesco Malaguzzi, Il Duomo di Milano nel Quattrocento. Re-
pertorium für Kunstwissenschaft Bd. 24, Berlin-Stuttgart 1901 S.91.
Ebenda auch die Namen der Gesellen; mit einiger Sicherheit
kann von diesen nur Alexander Marpach, subinzignerio, als Frei-
burger angesprochen werden; eine Familie dieses Namens ist
in Freiburg von 1450 bis Ende des 17. Jahrhunderts bezeugt;
vgl. dagegen Klemm a. a. O. S. 124.
 
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