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Flamm, Hans Niesenberger von Graz, Werkmeister dss Freiburger Münsterchors 1471 —1491
Die Gesellen erhielten im Tag 10 ß und 2 ß Zuschlag richtet1. Dass man ihn, einen Auswärtigen, zu diesem
für Skulpturarbeiten und Beschäftigung auf dem Ge- Bau berufen hatte, zeugt für sein Ansehen, war aber
rüst. Dabei war dem Meister ein jährlicher Urlaub auch offenbar der erste Anlass zu neuen Beleidigungs-
von 2"2 Monaten zugesichert, den er sich wahrschein- klagen, die der Meister in Basel in den nächsten
lieh mit Rücksicht auf die Leitung der Arbeiten in Jahren zu führen hatte5. Ein übler Nachklang aus der
Freiburg ausbedungen hatte. Wie er sich mit dem Mailänder Zeit bot seinem Gegner, Meister Hans von
Freiburger Rat wegen Übernahme der Mailänder Stelle Nussdorf, einem angesehenen Werkmeister, den
vereinbart hatte, um die Erlaubnis zu so langer Ab- nötigen Vorwand, um seinen Konkurrenten mit seinem
Wesenheit zu erhalten, ist wiederum völlig unbekannt. Sohn als meineidige Bösewichter zu verschreien,
Wahrscheinlich hat auch der finanzielle Stand der die in der Steinmetzhütte in Ulm von 22 Meistern
Freiburger Münsterfabrik, die nach verschiedenen und Gesellen in Verruf erklärt worden seien. Nuss-
Andeutungen fast erschöpft war, ohnedem zu einer dorf wollte darüber vom Ulmer Kirchenmeister
Verlangsamung der Bautätigkeit gezwungen, so dass einen Brief erhalten haben; die Sache sei ihm selbst
der ausbedungene Urlaub zur Besorgung seiner Frei- leid, aber von seines Handwerks wegen wäre er
burger Geschäfte genügen mochte. verpflichtet, die Nachricht bekannt zu geben. Die
Wohl während eines solchen Urlaubs, im Juni Worte „meineidiger Bösewicht" stellte er in Abrede.
14851, finden wir Niesenberger unvermutet wieder Eine ganze Reihe von Steinmetzen wurden im
in Freiburg. Er hatte für das dortige Predigerkloster Frühjahr 1490 als Zeugen vernommen. Das Gerede
die Erstellung eines Brunnens und die Lieferung der von der Verrufserklärung war in der Tat nicht un-
Steine übernommen und sollte „geschäl, brunnensul begründet. Ein deutscher Schmied in Mailand, hieß
und tabernakel, bogen, pfiler und ein stuck under- es, hatte Niesenberger und seinen Sohn wegen einer
brunnengeschäl howen", dazu einen Umgang um den Schuldforderung in Ulm verklagt, und das Hütten-
Brunnen machen und „ein blumen" auf den Taber- gericht hatte die beiden schuldig gesprochen und,
nakel setzen. Die Röhren des Brunnens waren zu anscheinend ohne ihre Gegenwart und Verteidigung,
eng geraten, aber Meister Hans schob die Schuld in Verruf erklärt.
dafür einem Meister Thoman zu, er habe wegen der Der in Ulm erhobene Vorwurf wäre nun im
Röhren nur die Anleitung zu geben gehabt und Urteil der Nachwelt gewiss von keiner schlimmen
Thoman sei seinem Rate nicht gefolgt. Das Gericht Bedeutung. Im Basler Zeugenverhör kam aber auch,
legte Niesenberger auf, diese Rechtfertigung zu be- allerdings nach indirekter Quelle, zur Sprache, Hans
schwören; ob er es getan, ist nicht überliefert'-. von Gretz habe sich während eines halben Jahres
Im Sommer 1486 wurde Meister Hans samt nicht aus Mailand entfernen dürfen und sollte nach
seinen Gesellen wegen grober Fehler am Dombau seiner heimlichen Flucht selbst bekannt haben, wenn
aus Mailand verwiesen. Von hier mag er zunächst die Mailänder ihn und seine Gesellen ergriffen
wieder nach Freiburg zurückgekehrt sein. Urkund- hätten, so hätte es ihnen allen das Leben gekostet,
lieh bezeugt erscheint er aber zuerst wieder in Basel, Im übrigen ergaben die Zeugenaussagen, dass Nuss-
wo er seit 1489 an der St. Leonhardskirche tätig dorf die erwähnte Beleidigung tatsächlich gebraucht
war3. Auffallenderweise wird er, obwohl immer noch und — gemäß den Bruderschaftsstatuten, wie er
in Freiburg „husheblich", seit dem genannten Jahr vorschützte — die Gesellen Niesenbergers einzeln
in Basel als Mitglied der dortigen Spinnwetternzunft zur Niederlegung der Arbeit aufgefordert hatte. Es
in deren Rechnungen aufgeführt, während er, wie war ein Glück für ihn, dass er, um seine Zeugen
schon erwähnt, in den erhaltenen Listen der Frei- in Mailand zu suchen, die übliche Frist von 18
burger Zimmerleutezunft aus den Jahren 1481 —1486 Wochen 9 Tagen zugestanden erhielt. Ehe es noch
und 1491 —1492 nie genannt wird. Sein Aufenthalt zu der neuen Verhandlung kam, hatte das Basler
in Basel war also sicher von längerer Dauer, und Domkapitel, in dessen Diensten Nussdorf stand, in
dass er dort das Zunftrecht erwarb, hat ihm in Frei- Besorgnis um den von ihm geleiteten Münsterbau
bürg zweifellos Anfeindung bereitet.
Über die Tätigkeit Niesenbergers an St. Leon-
hard sind wir durch Stehlins Forschungen unter-
1 Siehe Beilage 8 aus Missiven 5 Bl. 256b.
- Das Archiv des Predigerklosters im Besitz der Freiburger
Universität, in das mir Herr Geh. Hofrat Finke Einsicht gewährte,
enthält über die Bestellung des Brunnens keine Angabe.
3 Stehlin, K., Basler Baumeister des 15. Jahrh., in der Basler
Zeitschr. f. Gesch. u. Altertumsk. 5 (1906) S. 118.
beim Rat der Stadt die Einstellung des Verfahrens
durchgesetzt. Soweit wir heute noch nach dem offen-
kundigen Auskneifen Nussdorfs die Sachlage zu be-
urteilen vermögen, kann es um Niesenbergers Sache
1 Stehlin, Festschrift S. 344ff.
5 Die folgende Darstellung nach Stehlin, Baumeister
S. 118 ff. Leider gibt Stehlin nur einen Auszug der Prozessver-
handlungen. Über den Ulmer Prozess ist mir keine Publikation
bekannt.
Flamm, Hans Niesenberger von Graz, Werkmeister dss Freiburger Münsterchors 1471 —1491
Die Gesellen erhielten im Tag 10 ß und 2 ß Zuschlag richtet1. Dass man ihn, einen Auswärtigen, zu diesem
für Skulpturarbeiten und Beschäftigung auf dem Ge- Bau berufen hatte, zeugt für sein Ansehen, war aber
rüst. Dabei war dem Meister ein jährlicher Urlaub auch offenbar der erste Anlass zu neuen Beleidigungs-
von 2"2 Monaten zugesichert, den er sich wahrschein- klagen, die der Meister in Basel in den nächsten
lieh mit Rücksicht auf die Leitung der Arbeiten in Jahren zu führen hatte5. Ein übler Nachklang aus der
Freiburg ausbedungen hatte. Wie er sich mit dem Mailänder Zeit bot seinem Gegner, Meister Hans von
Freiburger Rat wegen Übernahme der Mailänder Stelle Nussdorf, einem angesehenen Werkmeister, den
vereinbart hatte, um die Erlaubnis zu so langer Ab- nötigen Vorwand, um seinen Konkurrenten mit seinem
Wesenheit zu erhalten, ist wiederum völlig unbekannt. Sohn als meineidige Bösewichter zu verschreien,
Wahrscheinlich hat auch der finanzielle Stand der die in der Steinmetzhütte in Ulm von 22 Meistern
Freiburger Münsterfabrik, die nach verschiedenen und Gesellen in Verruf erklärt worden seien. Nuss-
Andeutungen fast erschöpft war, ohnedem zu einer dorf wollte darüber vom Ulmer Kirchenmeister
Verlangsamung der Bautätigkeit gezwungen, so dass einen Brief erhalten haben; die Sache sei ihm selbst
der ausbedungene Urlaub zur Besorgung seiner Frei- leid, aber von seines Handwerks wegen wäre er
burger Geschäfte genügen mochte. verpflichtet, die Nachricht bekannt zu geben. Die
Wohl während eines solchen Urlaubs, im Juni Worte „meineidiger Bösewicht" stellte er in Abrede.
14851, finden wir Niesenberger unvermutet wieder Eine ganze Reihe von Steinmetzen wurden im
in Freiburg. Er hatte für das dortige Predigerkloster Frühjahr 1490 als Zeugen vernommen. Das Gerede
die Erstellung eines Brunnens und die Lieferung der von der Verrufserklärung war in der Tat nicht un-
Steine übernommen und sollte „geschäl, brunnensul begründet. Ein deutscher Schmied in Mailand, hieß
und tabernakel, bogen, pfiler und ein stuck under- es, hatte Niesenberger und seinen Sohn wegen einer
brunnengeschäl howen", dazu einen Umgang um den Schuldforderung in Ulm verklagt, und das Hütten-
Brunnen machen und „ein blumen" auf den Taber- gericht hatte die beiden schuldig gesprochen und,
nakel setzen. Die Röhren des Brunnens waren zu anscheinend ohne ihre Gegenwart und Verteidigung,
eng geraten, aber Meister Hans schob die Schuld in Verruf erklärt.
dafür einem Meister Thoman zu, er habe wegen der Der in Ulm erhobene Vorwurf wäre nun im
Röhren nur die Anleitung zu geben gehabt und Urteil der Nachwelt gewiss von keiner schlimmen
Thoman sei seinem Rate nicht gefolgt. Das Gericht Bedeutung. Im Basler Zeugenverhör kam aber auch,
legte Niesenberger auf, diese Rechtfertigung zu be- allerdings nach indirekter Quelle, zur Sprache, Hans
schwören; ob er es getan, ist nicht überliefert'-. von Gretz habe sich während eines halben Jahres
Im Sommer 1486 wurde Meister Hans samt nicht aus Mailand entfernen dürfen und sollte nach
seinen Gesellen wegen grober Fehler am Dombau seiner heimlichen Flucht selbst bekannt haben, wenn
aus Mailand verwiesen. Von hier mag er zunächst die Mailänder ihn und seine Gesellen ergriffen
wieder nach Freiburg zurückgekehrt sein. Urkund- hätten, so hätte es ihnen allen das Leben gekostet,
lieh bezeugt erscheint er aber zuerst wieder in Basel, Im übrigen ergaben die Zeugenaussagen, dass Nuss-
wo er seit 1489 an der St. Leonhardskirche tätig dorf die erwähnte Beleidigung tatsächlich gebraucht
war3. Auffallenderweise wird er, obwohl immer noch und — gemäß den Bruderschaftsstatuten, wie er
in Freiburg „husheblich", seit dem genannten Jahr vorschützte — die Gesellen Niesenbergers einzeln
in Basel als Mitglied der dortigen Spinnwetternzunft zur Niederlegung der Arbeit aufgefordert hatte. Es
in deren Rechnungen aufgeführt, während er, wie war ein Glück für ihn, dass er, um seine Zeugen
schon erwähnt, in den erhaltenen Listen der Frei- in Mailand zu suchen, die übliche Frist von 18
burger Zimmerleutezunft aus den Jahren 1481 —1486 Wochen 9 Tagen zugestanden erhielt. Ehe es noch
und 1491 —1492 nie genannt wird. Sein Aufenthalt zu der neuen Verhandlung kam, hatte das Basler
in Basel war also sicher von längerer Dauer, und Domkapitel, in dessen Diensten Nussdorf stand, in
dass er dort das Zunftrecht erwarb, hat ihm in Frei- Besorgnis um den von ihm geleiteten Münsterbau
bürg zweifellos Anfeindung bereitet.
Über die Tätigkeit Niesenbergers an St. Leon-
hard sind wir durch Stehlins Forschungen unter-
1 Siehe Beilage 8 aus Missiven 5 Bl. 256b.
- Das Archiv des Predigerklosters im Besitz der Freiburger
Universität, in das mir Herr Geh. Hofrat Finke Einsicht gewährte,
enthält über die Bestellung des Brunnens keine Angabe.
3 Stehlin, K., Basler Baumeister des 15. Jahrh., in der Basler
Zeitschr. f. Gesch. u. Altertumsk. 5 (1906) S. 118.
beim Rat der Stadt die Einstellung des Verfahrens
durchgesetzt. Soweit wir heute noch nach dem offen-
kundigen Auskneifen Nussdorfs die Sachlage zu be-
urteilen vermögen, kann es um Niesenbergers Sache
1 Stehlin, Festschrift S. 344ff.
5 Die folgende Darstellung nach Stehlin, Baumeister
S. 118 ff. Leider gibt Stehlin nur einen Auszug der Prozessver-
handlungen. Über den Ulmer Prozess ist mir keine Publikation
bekannt.