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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 13.1917

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Kempf, Friedrich: Heimsuchungen und Schicksale des Freiburger Münsters in Kriegsnot, durch Menschenhand und Feuersgefahr: II. Durch Menschenhand
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https://doi.org/10.11588/diglit.2399#0027
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Kempf, Heimsuchungen und Schicksale des Freiburger Münsters in Kriegsnot, durch Menschenhand und Feuersgefahr 23

werks auf ihn verraten. Die beiden seitlichen fest-
stehenden Flügel, die nach Öffnung der äußeren
Türen verdeckt wurden, führen die Gestalten St. Jo-
hannis des Täufers und Johannis des Evangelisten vor.

Zunächst ist zu bedauern, daß man das Altar-
werk aus der Schnewlinkapelle entfernt hat. Schon
Schreiber hat es 1820 nicht mehr dort, sondern in
der ersten Kaiserkapelle gesehen. Nach seiner Be-
schreibung, die er von dem Werke gibt1, war es
damals noch vollständig; er sah auch die heute nicht
mehr vorhandene Predella, von der er sagt: dass
„sich rechts das Wappen der Familie Schnewlin, links
der knieende Stifter findet". Wohin dieses Stück seit-
dem gekommen ist, weiß niemand. Bis zum Jahre
1834 scheint der Altar seine Vollständigkeit bewahrt
zu haben. In diesem Jahre kam man auf den un-
glücklichen Gedanken, zwei Altäre daraus zu machen.
Diesem unvernünftigen Streben zulieb wurde der
Bestand des schönen Werkes geopfert, indem man
die beiderseits bemalten Flügel des Schreins zerlegte.
Mit dieser Arbeit war der Bildhauer Joseph Dominik
Glaenz2 betraut. Ein Rechnungsbuch, das sein Sohn
und Werkstattgehilfe Franz führte und die Jahre
von 1820—1848 umfasst, enthält zum Jahre 1834 fol-
genden bezeichnenden Vermerk: „Es wurden alte
Türflügel von einem alten Altar entnommen, die Ge-
mälde durchgeschnitten weil sie doppelt bemalt waren
und zu zwei kleinen neuen Altären in den Kreuzgang
verwendet. Der eine stellt die Verkündigung Mariens
durch den Engel Gabriel dar, der andere Johannes, wie
er Jesus Christus am Jordan tauft und Johannes Evan-
gelist, wie er die Offenbarung schreibt, für 188 fl".
Es ist wohl überflüssig, besonders hervorzuheben,
dass die Tafeln infolge des Durchsägens eine starke
Beeinträchtigung erleiden mussten, denn sie sind zu
dünn geworden, um den verderblichen natürlichen
Einflüssen Stand zu halten. Die Folge davon war,
daß sie aufgequollen sind und sich verzogen haben;
auch zeigen die Bilder der Verkündigung und der
Taufe Christi mehr oder weniger starke Risse.

Die in einem bescheidenen Rahmen befindlichen
Außenbilder der Flügel haben als Altar in der süd-
lichen Kaiserkapelle Verwendung gefunden, also im
gleichen Raum, wo vor 1834 noch das ganze Werk
sich befand, während die Innenbilder mit der Ver-
kündigung in ebenso schlichtem Rahmen bis zum
Jahre 1880 den Altar der Blumneckkapelle bildeten.
In diesem Jahre wurden sie durch süßlich gemalte,
moderne Bilder verdrängt. Das geschnitzte Mittel-
bild des geöffneten Schreins wurde vermutlich im
Jahre 1834 ausgeschaltet und in einem völlig un-
geeigneten Raum der Domkustodie untergebracht;

1 Geschichte und Beschreibung des Münsters S. 280.

2 Vgl. unsern Aufsatz über die Bildhauerfamilie Glaenz
in der Zeitschrift Schauinsland 34 (1907) S. 49.

ebenso waren die Außenbilder der Verkündigung so-
wie die feststehenden Flügel mit den beiden Johannes
lange Zeit daselbst verwahrt, bis diese wertvollen
Altarbestandteile von uns, nach Einrichtung der
Münster-Schatzkammer, in diese verbracht wurden".

Noch mehr auf Einzelheiten einzugehen, ist an
diesem Orte nicht möglich. Es besteht die Absicht,
das Altarwerk nach einer, seiner Bedeutung entspre-
chenden Wiederherstellung und Ergänzung an dem
ihm von Anfang an zugedachten Platze in seiner
ursprünglichen Gestalt als Flügelaltar wieder zu
Ehren zu bringen, wodurch das Münster ein zweites
ansehnliches, lange Zeit fast gänzlich verkanntes Mei-
sterwerk Baidungs erhalten würde.

Damit sind wir zu den Verstößen gegen die
Denkmalpflege im Dienste des Münsters gekom-
men, die auf Rechnung des 19. Jahrhunderts zu
setzen sind. Wie die Zeiten und mit ihnen der
Geschmack sich doch rasch ändern! Was noch um die
Mitte des 18. Jahrhunderts bewundert und geschätzt
wurde, hat man zu Ende desselben nicht mehr be-
achtet, und das, was so lange Zeit in Misskredit ge-
raten war, ist zum Gegenstand der Hochschätzung
und Bewunderung geworden.

Mit der Herrschaft des Barock und Rokoko im
Münster war es bald vorbei. Von ihrer Kunst ist
uns, abgesehen von einigen Denkmälern im Chor,
nichts mehr erhalten4. Sie teilten das gleiche Los,
das vorher von ihr die Werke der gotischen Periode
erfahren hatten. In demselben Maße nämlich, in
welchem die späte Renaissance die Gotik missachtete,
tat dies die nun folgende, wieder an das Mittelalter
anknüpfende, von dem Münsterprokurator Joseph
Schwarz mit Eifer geförderte Kunstrichtung gegen-
über den Werken der vorausgegangenen Epoche,
denen man im allgemeinen die Berechtigung ab-
sprach. Die Strömung des Zeitgeschmacks rief das
sinnlose und engherzige Bestreben hervor, das Münster,
soweit man es für tunlich hielt, von jenen Werken,
selbst der Renaissance, zu reinigen, die man mit
der Gesamtbezeichnung „Zopf" geringschätzig abzu-
tun pflegte. Die Formenwelt, in der man sich be-

3 Der Johannes-Altar scheint nach Schreiber (Geschichte
und Beschreibung des Münsters S. 266) durch einen Johann-
Baptist-Altar aus dem 18. Jahrhundert, der von einem andern
Platze hinweggekommen war, ersetzt worden zu sein. Aber
auch dieser wurde später wieder entfernt, denn nach Marmon
(Unserer Lieben Frauen Münster zu Freiburg [1878] S. 132) be-
fand sich vor dem heutigen neuen gotischen Altar des F. X.
Marmon in Sigmaringen vom Jahre 1869 mit der Kreuzabnahme
als Hauptbildwerk ein Altar, der das Bild der schmerzhaften
Mutter mit dem Leichnam Jesu auf dem Schöße (Pieta) zeigte.

1 Vgl. Schreiber, Geschichte und Beschreibung des Mün-
sters S. 248, wo er sagt, „die Denktafeln wurden bis auf einige
wenige in den Kapellen schon im vorigen Jahrhundert hinweg-
genommen".
 
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