Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Dem Bildhauer ist der Menschenleib groß, erhaben und heroisch, wie dem
Maler die Weltweite, die Sonne, die Naturkraft. Und in diesem Sinne war
Bruegel durchaus ein Maler.
Von Bruegels örtlichem und geistigem Standpunkte sahen alle nackten Men#
sehen gleich aus. »Kleider machen Leute«. Dies trifft auch in dem Sinne zu,
daß der unbekleidete Mensch zeitlich und örtlich, charakterlos neutral, keinen
bestimmten Platz in der irdischen Gemeinschaft einnimmt. Das Kleid sagt aus,
erzählt von dem Schicksal, der Vergangenheit, dem Stande, der Tätigkeit, dem
Temperament des Bekleideten. Für Bruegel war der nackte Mensch nicht der
vollkommene Mensch, er war auch nicht anstößig, vielmehr ein halber Mensch,
komisch und hilflos, wie seiner Kleider beraubt.
Bruegel sah auf die Wirklichkeit frei von ethischen und ästhetischen Urteilen.
Er erblickte als Mensch Menschliches auf derselben Ebene stehend, auf der er
stand. Aus eigenem Lebensgefühl interessiert für jegliche Regung des »Willens«
— das Wort in Schopenhauers Terminologie genommen —, schaute er ohne
Ehrfurcht, ohne Haß, ohne Mitleid auf Gerechte und Ungerechte, auf arm und
reich, auf jung und alt. Aus seiner Teilnehmung an dem Heimischen erwuchs
der Humor und gab dem Bilde einen neuen Stimmungsgehalt, nachdem ernste
Andächtigkeit und feierliche Geistigkeit geschwunden waren. Der Begriff Genre
wird schließlich positiv durch diesen Stimmungsgehalt. Bruegel wäre der erste
Meister des Genres, selbst wenn er noch weniger reine Genrebilder geschaffen
hätte, da nicht das Thema, sondern die seelische Verfassung des Malers ent#
scheidet.
Bruegel bevorzugt das Breitformat, das sowohl die Bildform des Landschaft#
liehen wie die der Menschenmenge ist, während das Hochformat der einzelnen
Menschengestalt und der Gruppe aus wenigen Figuren gemäß ist. Das Hoch#
format mit seinerTendenz zum Vertikalen ist aristokratisch, heldisch, entspricht
der Anschauung des Bildhauers; das Breitformat mit seiner Tendenz zum
Horizontalen ist demokratisch und dem Maler natürlich.
 
Annotationen