T~"\ IE Reformation war in den Niederlanden nicht zum Siege gelangt, wirkte
^aber geistig umso stärker, wie sie, nicht zu dogmatischer Verfassung
erstarrt, gegen die alte Kirchenform einen stummen und zähen Kampf führte
und gleichzeitig die fremde Landesherrschaft zum Gegner hatte. Die Kirche
stand unter dem Schutze der spanischen Gewalt und unterdrückte in den
Regungen der Glaubensfreiheit auch politische Unbotmäßigkeit.
Die erbitterten Dogmenstreitigkeiten wurden durch Glaubensbedürfnisse
angefeuert und führten, indem Kritik, Skepsis und Geistesschärfe das Gebäude
der alten Kirche untergruben, keineswegs zum Rationalismus. Eine tiefere
Gläubigkeit regte sich vielmehr in mannigfachen individuellen Formen. Das
heimlich gepflegte, verfolgte Bekenntnis wurde ernst und opferbereit wie zur
Zeit der Christenverfolgungen. In der Kunst freilich ist von dieser jungen
Religiosität wenig zu sehen, einmal weil sie das Tageslicht scheute, dann weil
sie bilderfeindlich war.
Bruegels Kunst, soweit sie biblische und religiöse Themen gestaltet, läßt
keine Grundsätze erkennen und ist durchaus nicht folgerichtig. Man spürt
in ihr die durcheinander wogenden Kräfte einer aufgerührten Zeit, in der Ver*
nunft, Aberglaube, neuer und alter Glaube miteinander im Kampfe lagen.
Nicht einmal die Formen des Kirchenbildes und den allegorisch mytholo*
gischen Apparat läßt er völlig beiseite. Freilich stehen in seinen Kompositionen
die überlieferten Gestalten blaß, formelhaft und unbeseelt inmitten des ge*
sehenen Lebens. Bruegels Phantasie vermochte sie nicht einzuschmelzen und
von sich aus neu zu gestalten. Stark ist er nur, solange er mit beiden Füßen
auf der Erde steht.
Den Bibelbericht las man mit neuer Andächtigkeit, da ja das Wort Gottes,
nachdem die Kirchenlehre ins Wanken gekommen war, als alleinige Quelle
des Heiles Sicherheit bot. Die bildende Phantasie des Malers aber wurde beim
Lesen der Bibel nur in Bewegung gesetzt, wenn er das einst und in der Ferne
Geschehene als etwas in der Gegenwart und in der Heimat Geschehendes er*
blickte. Seine biblischen Gestaltungen sind Genrebilder ohne kirchliche
Haltung, ja ohne religiösen Gehalt, wie der Kindermord und der Sturz
Pauli.
Wie wenig bewußt kirchenfeindlich aber Bruegel verfuhr, als er das Bibel*
bild vermenschlichte, daß ihn die Schwerkraft seiner Natur zur Erde zog,
nicht eine Absicht, erkennt man schon daran, daß die Gestalten der biblischen
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^aber geistig umso stärker, wie sie, nicht zu dogmatischer Verfassung
erstarrt, gegen die alte Kirchenform einen stummen und zähen Kampf führte
und gleichzeitig die fremde Landesherrschaft zum Gegner hatte. Die Kirche
stand unter dem Schutze der spanischen Gewalt und unterdrückte in den
Regungen der Glaubensfreiheit auch politische Unbotmäßigkeit.
Die erbitterten Dogmenstreitigkeiten wurden durch Glaubensbedürfnisse
angefeuert und führten, indem Kritik, Skepsis und Geistesschärfe das Gebäude
der alten Kirche untergruben, keineswegs zum Rationalismus. Eine tiefere
Gläubigkeit regte sich vielmehr in mannigfachen individuellen Formen. Das
heimlich gepflegte, verfolgte Bekenntnis wurde ernst und opferbereit wie zur
Zeit der Christenverfolgungen. In der Kunst freilich ist von dieser jungen
Religiosität wenig zu sehen, einmal weil sie das Tageslicht scheute, dann weil
sie bilderfeindlich war.
Bruegels Kunst, soweit sie biblische und religiöse Themen gestaltet, läßt
keine Grundsätze erkennen und ist durchaus nicht folgerichtig. Man spürt
in ihr die durcheinander wogenden Kräfte einer aufgerührten Zeit, in der Ver*
nunft, Aberglaube, neuer und alter Glaube miteinander im Kampfe lagen.
Nicht einmal die Formen des Kirchenbildes und den allegorisch mytholo*
gischen Apparat läßt er völlig beiseite. Freilich stehen in seinen Kompositionen
die überlieferten Gestalten blaß, formelhaft und unbeseelt inmitten des ge*
sehenen Lebens. Bruegels Phantasie vermochte sie nicht einzuschmelzen und
von sich aus neu zu gestalten. Stark ist er nur, solange er mit beiden Füßen
auf der Erde steht.
Den Bibelbericht las man mit neuer Andächtigkeit, da ja das Wort Gottes,
nachdem die Kirchenlehre ins Wanken gekommen war, als alleinige Quelle
des Heiles Sicherheit bot. Die bildende Phantasie des Malers aber wurde beim
Lesen der Bibel nur in Bewegung gesetzt, wenn er das einst und in der Ferne
Geschehene als etwas in der Gegenwart und in der Heimat Geschehendes er*
blickte. Seine biblischen Gestaltungen sind Genrebilder ohne kirchliche
Haltung, ja ohne religiösen Gehalt, wie der Kindermord und der Sturz
Pauli.
Wie wenig bewußt kirchenfeindlich aber Bruegel verfuhr, als er das Bibel*
bild vermenschlichte, daß ihn die Schwerkraft seiner Natur zur Erde zog,
nicht eine Absicht, erkennt man schon daran, daß die Gestalten der biblischen
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