sagt in dem Grade, daß die Grenze gestreift wird, wo das Erhabene ins Lächerliche
umschlägt. Gebärden, die der bekleideten Figur allenfalls anstehen würden, wirken
nach Entblößung vulgär und flegelhaft.
Die Bemühung, den massigen Leibern, der prahlerischen Muskelfülle noble
Haltung und Idealität zu verleihen, wirkt in den Stichen von 1530 als verstimmende
Absichtlichkeit, so in „Adam und Eva" (B. 10), den „Tugenden" (B. 127—133).
Im Angesichte der grellen Dreistigkeit, mit der in dem Stiche „Loth und seine
Töchter" (B. 16) bei kahlem Tageslichte die bedenkliche Gemeinschaft geschildert
ist, fällt uns ein, wie dezent Lucas in seiner Jugend das sündige Wesen verschleiert
hat, nämlich in dem Gemälde, das sich im Louvre befindet, wo blitzartige Beleuch-
tung etwas von dem heimlichen Treiben enthüllt.
In späteren Jahren behilft sich der Meister nicht selten mit dem Wirkungsmittel
der aufflatternden Gewandstücke, einem Mittel, das die Antwerpener Manieristen
bevorzugten. Die willkürliche, unmotivierte Bewegung klingt wie eine Phrase. Der
Gewandstoff, zuerst den Leib verdeckend, dann ihn hindurchwirken lassend, end-
lich wie eine Flagge am Fahnenstocke des Körpers.
Der Kupferstecher Lucas ist in den Niederlanden ein Mehrer des Reiches. Er
hat hier zur Ausbildung dieses Ausdrucksmittels Beträchtliches beigesteuert. Zu
Beginn — um 1508 — experimentiert er selbständiger und unabhängiger als
irgendein Zeitgenosse und nähert sich Wirkungen, die im 17. Jahrhundert mit
anderen Mitteln, nämlich mit der „kalten Nadel", erreicht werden. Vor einem
frühen Abdrucke etwa der „Großen Hagar" staunt man über den Tonreichtum,
über die gemäldehafte Geschlossenheit, die dem Schwarz-Weiß abgewonnen ist.
Durch unregelmäßige, bald dichte, bald lockere, bald rauhe, bald zarte, gefühls-
mäßige, mehr ritzende als gravierende Strichführung erzielt der Meister saftige
Fülle und weiche Bettung. Bald aber wandelt sich der Vortrag zu einer mehr
methodischen Arbeitsweise, die dem Grabstichel gemäß, minder malerisch und
weniger persönlich ist. Der Blick auf Dürers Meisterschaft hat dazu beigetragen,
diese Wendung herbeizuführen. Unstatthaft wäre es, das Urteil über die Grab-
stichelarbeit zu trennen von der Betrachtung des Weges, den Auffassung, Gefühls-
weise und Formensprache einschlugen. Mehr und mehr mit gesteigertem Streben
nach einem Schönheitsideale nimmt die Teilnahme an Vegetation, Raumtiefe und
Umwelt ab, wird die Strichführung planmäßig bedacht. Die neuen Visionen steche-
risch zu verwirklichen, bedurfte es der geschmeidig gleitenden, gleißenden, schwel-
lenden Linie. Lucas vermittelt zwischen den Schraffen und dem Weiß des Papiers
durch Punkte, die Mittel des Stechers bereichernd. Er erlernt den Kontrapunkt
des Grabstichels von Dürer und Marcanton. Unebener Erdboden, Wildwuchs,
Tierfell, Baumrinde, Felsgestein, Erscheinungen, deren Stoffcharakter den Zug des
Stichels geleitet hatten, treten zurück; das glatt gewölbte Fleisch, das tote Mauer-
werk, der plane Boden, der wellige Gewandstoff in den späteren Stichen, verlangten
die Wandlung der stecherischen Interpretation.
In demselben Grad, in dem die Stichelführung an systematischer Regelmäßig-
keit, Offenheit und bewußter Meisterschaft gewann, verlor sie an Farbigkeit. Mehr
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umschlägt. Gebärden, die der bekleideten Figur allenfalls anstehen würden, wirken
nach Entblößung vulgär und flegelhaft.
Die Bemühung, den massigen Leibern, der prahlerischen Muskelfülle noble
Haltung und Idealität zu verleihen, wirkt in den Stichen von 1530 als verstimmende
Absichtlichkeit, so in „Adam und Eva" (B. 10), den „Tugenden" (B. 127—133).
Im Angesichte der grellen Dreistigkeit, mit der in dem Stiche „Loth und seine
Töchter" (B. 16) bei kahlem Tageslichte die bedenkliche Gemeinschaft geschildert
ist, fällt uns ein, wie dezent Lucas in seiner Jugend das sündige Wesen verschleiert
hat, nämlich in dem Gemälde, das sich im Louvre befindet, wo blitzartige Beleuch-
tung etwas von dem heimlichen Treiben enthüllt.
In späteren Jahren behilft sich der Meister nicht selten mit dem Wirkungsmittel
der aufflatternden Gewandstücke, einem Mittel, das die Antwerpener Manieristen
bevorzugten. Die willkürliche, unmotivierte Bewegung klingt wie eine Phrase. Der
Gewandstoff, zuerst den Leib verdeckend, dann ihn hindurchwirken lassend, end-
lich wie eine Flagge am Fahnenstocke des Körpers.
Der Kupferstecher Lucas ist in den Niederlanden ein Mehrer des Reiches. Er
hat hier zur Ausbildung dieses Ausdrucksmittels Beträchtliches beigesteuert. Zu
Beginn — um 1508 — experimentiert er selbständiger und unabhängiger als
irgendein Zeitgenosse und nähert sich Wirkungen, die im 17. Jahrhundert mit
anderen Mitteln, nämlich mit der „kalten Nadel", erreicht werden. Vor einem
frühen Abdrucke etwa der „Großen Hagar" staunt man über den Tonreichtum,
über die gemäldehafte Geschlossenheit, die dem Schwarz-Weiß abgewonnen ist.
Durch unregelmäßige, bald dichte, bald lockere, bald rauhe, bald zarte, gefühls-
mäßige, mehr ritzende als gravierende Strichführung erzielt der Meister saftige
Fülle und weiche Bettung. Bald aber wandelt sich der Vortrag zu einer mehr
methodischen Arbeitsweise, die dem Grabstichel gemäß, minder malerisch und
weniger persönlich ist. Der Blick auf Dürers Meisterschaft hat dazu beigetragen,
diese Wendung herbeizuführen. Unstatthaft wäre es, das Urteil über die Grab-
stichelarbeit zu trennen von der Betrachtung des Weges, den Auffassung, Gefühls-
weise und Formensprache einschlugen. Mehr und mehr mit gesteigertem Streben
nach einem Schönheitsideale nimmt die Teilnahme an Vegetation, Raumtiefe und
Umwelt ab, wird die Strichführung planmäßig bedacht. Die neuen Visionen steche-
risch zu verwirklichen, bedurfte es der geschmeidig gleitenden, gleißenden, schwel-
lenden Linie. Lucas vermittelt zwischen den Schraffen und dem Weiß des Papiers
durch Punkte, die Mittel des Stechers bereichernd. Er erlernt den Kontrapunkt
des Grabstichels von Dürer und Marcanton. Unebener Erdboden, Wildwuchs,
Tierfell, Baumrinde, Felsgestein, Erscheinungen, deren Stoffcharakter den Zug des
Stichels geleitet hatten, treten zurück; das glatt gewölbte Fleisch, das tote Mauer-
werk, der plane Boden, der wellige Gewandstoff in den späteren Stichen, verlangten
die Wandlung der stecherischen Interpretation.
In demselben Grad, in dem die Stichelführung an systematischer Regelmäßig-
keit, Offenheit und bewußter Meisterschaft gewann, verlor sie an Farbigkeit. Mehr
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